Am 20. Juni 2022 haben 25 beteiligte Organisationen, Verbände, Unternehmen und Vertreter:innen der rot-grün-roten Koalition aus Land und Bezirken eine Bündnisvereinbarung für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen unterzeichnet. Nach viermonatigen Verhandlungen in zahlreichen Plenumssitzungen und Arbeitsgruppen konnte damit ein politischer „Letter of Intent“, also eine Absichtserklärung zwischen Vertreter:innen der Bau- und Immobilienwirtschaft, Sozialverbänden und den Koalitionsparteien das Berliner Bündnis begründen.
Auch wir haben – als einzige eingeladene Mieter:innenvertretung – engagiert verhandelt und waren bemüht, mit unseren Vorschlägen die Interessen der Mieter:innen zu vertreten. Die Beschlüsse haben jedoch nicht gereicht, dem Bündnis qua Unterzeichnung beizutreten. Bereits zur Auftaktsitzung der Bündnisverhandlungen am 28. Januar dieses Jahres haben wir auf verschiedene Probleme beim Vorhaben der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hingewiesen: a) das Fehlen weiterer Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, b) die Überbetonung des Neubaus und c) die Zielsetzung einer politischen Vereinbarung, die für Mieter:innen jedoch unverbindlich bleibt. Wir haben das Engagement für dieses Bündnis begrüßt, waren jedoch skeptisch, ob es auf diesem Weg gelingen kann, die Wohnungswirtschaft zu sozialen Verpflichtungen zu bringen. Vielleicht wäre es ein realistischeres Ziel gewesen, einen Dialog zwischen den am Berliner Wohnungsmarkt Beteiligten zu etablieren.
Die Forderungen des Mietervereins sind hinreichend bekannt. Die deutliche Ausweitung des gemeinwohlorientierten Sektors im Berliner Wohnungsmarkt auf mindestens 50 Prozent sowie verbindliche Mietpreisbegrenzungen im Bestand und bei Neuvermietungen sind die übergeordneten Ziele der Mieter:innen Berlins, die politisch an Bedeutung gewinnen müssen. Die Bündnisvereinbarung trägt diesen Forderungen aus unserer Sicht nicht ausreichend Rechnung. Dem BMV war klar, dass am Ende natürlich alle Beteiligten Abstriche von ihren Maximalforderungen machen müssen. Doch die Angebote der Immobilienwirtschaft waren zu gering, als dass eine Breitenwirkung für mehr Mieter:innenschutz entstehen kann. Für Symbolhaftes aber steht der BMV nicht zur Verfügung. Darüber hinaus ist die Rolle des Mietervereins in einem solchen Bündnis ebenso wenig definiert wie die sich daraus ergebende Verantwortung. Die folgende Analyse fasst die wesentlichen Erklärungen zusammen, auf die sich die Unterzeichnenden der Bündnisvereinbarung einigen konnten und arbeitet die Kritik des Berliner Mietervereins heraus.
Die Themen im Bündnis für Neubau und bezahlbares Wohnen
1. Neubau ohne Gemeinwohlorientierung
Zentrales Element der Bündnisvereinbarung ist der Wohnungsneubau. 20.000 Wohnungen sollen jährlich gebaut werden, 5.000 davon als Sozialwohnungen (25 Prozent). Die veränderten Rahmenbedingungen wie Baukostensteigerungen und verringerte Personalkapazitäten lassen nunmehr auch die Regierende Bürgermeisterin und den Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen leiser treten: „20.000 Wohnungen pro Jahr“ soll ein Durchschnittswert sein. An dem Ziel, 100.000 Wohnungen bis zum Ende der Legislatur 2026 fertiggestellt zu haben, wird festgehalten. Die unterzeichnenden Verbände wollen auf ihre Mitglieder „einwirken“; die mitzeichnenden Unternehmen der Bau- und Wohnungswirtschaft „streben an“, folgende Zahlen zu erreichen: 35.000 Wohnungen sollen die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen errichten, 60.000 die privaten Träger:innen und 2.500 bis 5.000 Wohnungen die Wohnungsgenossenschaften – abhängig von den Möglichkeiten des Landes, den Genossenschaften günstige Baugrundstücke sowie eine gesonderte Genossenschaftsförderung bereitzustellen. „Erklärtes Ziel“ ist es, davon 25 Prozent als sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen, was wir begrüßen.
Dennoch gilt es, die Formulierungen genau unter die Lupe zu nehmen: Nach wie vor steckt in diesen Zahlen die Annahme, dass ein ausreichendes Angebot an neuen Wohnungen allein die Anspannung des Marktes relativieren könne. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass die schlichte Ausweitung des Wohnungsangebotes nicht zu einer Entspannung bei den Miethöhen führt – das ist für Mieter:innen und Wohnungssuchende jedoch zentral. Es wäre also notwendig gewesen, die tatsächlichen Bedarfe genauer zu betrachten. Wir haben bereits bei Antritt der neuen Landesregierung darauf hingewiesen, dass Wohnungsneubau gemeinwohlorientierter Träger:innen von größter Bedeutung ist und haben einen Anteil von mindestens 50 Prozent am gesamten Wohnungsneubau gefordert. Unternehmen, die sich dem Gemeinwohl verpflichten, müssen folgende Kriterien erfüllen: 1. Segment: 1. Fördermodell, 20 Prozent (WBS-berechtigte Haushalte mit 100 bis 140 Prozent der Bundeseinkommensgrenzen BEG); 2. Segment: 2. Fördermodell, 5 Prozent (WBS 140 bis 180 BEG); 3. Segment: ohne Förderung, 75 Prozent, Einstiegsmiete bis 10,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt, mit Einschränkungen bei Mieterhöhungen; 4. Segment: davon geschütztes Marktsegment, 2 Prozent, für akut von Wohnungslosigkeit Betroffene. Gemeinwohl im Wohnungsmarkt muss über die Schaffung geförderter Wohnungen hinaus Kriterien erfüllen, denn auch beim nicht geförderten Anteil geht es um soziale Verpflichtungen gegenüber den Mieter:innen, zum Beispiel im Bezug auf die Miethöhen, die Renditehöhen sowie die soziale Ausrichtung bei der Bewirtschaftung des Wohnungsbestands. Besondere Bedarfe und soziale Verpflichtungen fehlen in diesem Kapitel der Bündnisvereinbarung ganz. Im Übrigen erwartet aktuell wohl niemand, dass in Berlin 20.000 Wohnungen pro Jahr im Durchschnitt bis 2026 gebaut werden. Wegen des hohen Anteils teurer Wohnungen ist das kein Verlust. Sehr bedauerlich aber ist, dass auch die Fertigstellung von neuen Wohnungen im geförderten und mittleren Preissegment deutlich hinter den Bedarfen zurückbleibt. Für dieses Manko wird man dann auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen in die Verantwortung nehmen können.
2. Soziale Wohnraumförderung ohne Verpflichtungen
Die Koalitionsvereinbarung sieht das politische Ziel von 5.000 geförderten Sozialwohnungen pro Jahr vor. Im Landeshaushalt sind 750 Millionen Euro jeweils für 2022 und 2023 eingeplant. Die in Vorbereitung befindlichen neuen Wohnraumförderungsbestimmungen (WFB 2022) sehen vor, dass das Fördermodell 2 „zusätzlich gestärkt“ wird, „weitere Flexibilisierungen“ sind geplant. Auf einen ersten Referentenentwurf hat der BMV gegenüber dem Senat Stellung genommen. Dem Entwurf zufolge soll die Förderintensität insgesamt erhöht und jährlich angepasst werden. Eine Arbeitsgruppe Wohnbauförderung mit der Wohnungswirtschaft beziehungsweise ihren Verbänden soll bereits im 2. Halbjahr 2022 weitere Vorschläge für attraktive Förderungen erarbeiten. Bisher ist die Mieter:innenperspektive nicht zu der Arbeitsgruppe eingeladen, daher erwarten wir, dass hier auch keine Miethöhen festgelegt werden. Wir befürchten jedoch, dass die soziale Wohnraumförderung wieder mehr im Interesse der Wohnungswirtschaft und nicht im Interesse der Mietenden ausgestaltet wird. Erste Hinweise auf deutlich angehobene Einstiegsmieten liegen vor.
Es fehlt eine klare Festlegung auf die Kopplung der Fördermodelle miteinander und damit eine Sicherung des unteren Segments für WBS bis 140 Prozent der Bundeseinkommensgrenzen (BEG; immerhin 36 Prozent der Berliner Haushalte). Das heißt, dass Bauherren aus der Verpflichtung zum Sozialwohnungsbau für den Hauptteil der WBS-berechtigten Haushalte mit den kleinsten Einkommen ausgenommen werden, vermutlich ein Angebot an die private Wohnungswirtschaft. Die Kopplung der Fördermodelle hatte die vorherige rot-rot-grüne Landesregierung in die WFB aufgenommen, um Anreize zu setzen, immer auch für die unteren Einkommen Wohnungen zu bauen. Die Konzeption der Förderarchitektur ohne Verpflichtung zum Bau von Wohnungen für das untere Einkommenssegment birgt die Gefahr einer Stärkung des Sektors für mittlere Einkommen zulasten der unteren Einkommen.
Wir sehen zudem die reale Gefahr, dass grundsätzlich am Bedarf vorbei gebaut wird. Mehr als 50 Prozent der Berliner Haushalte sind insgesamt WBS-berechtigt, also WBS-berechtigt bis 180 Prozent der BEG. Obwohl also der Bedarf an preisgünstigen Neubauwohnungen offenkundig hoch ist und mit zunehmendem Zuzug von Kriegsgeflüchteten noch steigen wird, findet sich dazu in der Bündnisvereinbarung keine Lösung. Es gibt zudem kaum noch belegungsgebundenen Wohnraum – derzeit sind es nur noch 10,8 Prozent (2019: 11,3 Prozent; IBB Wohnungsmarktbericht 2021) des gesamten Berliner Mietwohnungsbestandes und das bei einem anhaltend steigenden Bedarf.
3. Geschütztes Marktsegment
Im Kapitel Liegenschaftspolitik findet das „Geschützte Segment“ wie auch das Berliner Projekt „Housing first“ Erwähnung. Landeseigene Grundstücke sollen verpflichtend per Erbbaurecht an gemeinwohlorientierte beziehungsweise soziale Träger vergeben werden. Das geschützte Marktsegment, soziale Belange und besondere Bedarfe wie etwa barrierefreier Wohnraum sind bei der Vergabe vorrangig zu behandeln. Die Verpflichtung bezieht sich auf das 2021 initiierte Pilotprojekt mit 16 landeseigenen Grundstücken. Die Höhe des Erbbauzinses kann den Maximalwert in Höhe von 1,8 Prozent dann unterschreiten, wenn im Erbbauvertrag längere Wohnungsbindungsfristen vereinbart werden.
Unser Vorschlag, das geschützte Segment auf 5 Prozent beim Wohnungsneubau auszuweiten, wurde nicht angenommen. Grundsätzlich handelt es sich bei den Ausführungen um eine Verpflichtung des Landes Berlin die eigenen Grundstücke betreffend. Wir begrüßen diese Verpflichtung, hätten uns jedoch konkrete Angaben zu den Zahlen von Trägerwohnungen sowie dem geschützten Marktsegment im Neubau gewünscht. Darüber hinaus kritisieren wir, dass die privaten Bauträger offenkundig nicht zu solchen sozialen Vorgaben verpflichtet werden konnten. Lediglich die Wohnraumvermittlungen im Rahmen des geschützten Marktssegments (vorrangig Bestandswohnungen) sollen mit 2.500 pro Jahr (zuvor 1.350 pro Jahr) hälftig auch von den privaten Wohnungsunternehmen geleistet werden. Formulierungen wie „verfolgen gemeinsam das Ziel“ sowie „wenn möglich“ reichen hier ebenso wenig aus wie die absoluten Zahlen.
4. Klimaschutz beim Neubau
Der Klimaschutz ist eines der drängendsten Ziele unserer Zeit. Auch im Wohnbereich muss hier einiges passieren. Die Bündnispartner:innen streben dazu zukunftsweisende Modelle in neuen Quartieren an sowie Kompensationsmodelle, die Qualifizierung von Freiflächen, die Prüfung von Aufstockungen und Nachverdichtungen als bevorzugte Alternative zum Neubau. Darüber hinaus sollen Dachflächen auf ihre Solareignung überprüft und das Solargesetz bis Januar 2023 erfüllt werden.
Außerdem soll auf fossile Energieträger möglichst verzichtet werden. Das ist jedoch zu zaghaft formuliert und stellt keine eigene und weiterführende Selbstverpflichtung dar, da die Ampelkoalition ohnehin vorsieht, dass ab dem 1. Januar 2024 die Beheizung nur noch mit 65 Prozent erneuerbaren Energien (65-Prozent-Klausel) zulässig ist.
Aus unserer Sicht muss die Bestandsentwicklung deutlich stärker und als Vorrang zum Neubau behandelt werden (siehe dazu Punkt 7). In Hinblick auf ganzheitliche Lösungen ist es zudem wichtig, angrenzende Bereiche, wie die Kreislaufwirtschaft und den Ressourcenschutz mitzudenken. Um Letzterem gerechter zu werden, ist es dringend notwendig, eine allgemeine Genehmigungspflicht für Abrisse einzuführen.
5. Energetische Modernisierung im Bestand
Zur Verbesserung des Klimaschutzes im Bestand wollen sich die Bündnispartner:innen für die Mobilisierung von Investitionen in Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestandes einsetzen. Zielgerichtete Handlungsstrategien zur Wärmewende und Klimaneutralität sollen angepasst an die Gegebenheiten und Bedarfe vor Ort erarbeitet werden. Es wird zudem ein Förderprogramm für eine weitgehende Warmmietenneutralität angestrebt. Durch diese Förderung sollen Mietpreis- und Belegungsbindungen sichergestellt werden, die die Modernisierungsumlage auf ein Maß reduzieren, dass durch die daraus resultierenden Energieeinsparungen nahezu abgedeckt wird.
Damit wurden unsere Forderungen übernommen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie es zu einer Steigerung der Sanierungsrate kommen soll. Das auch von uns geforderte Förderprogramm ist zu begrüßen, es wurde jedoch nicht festgelegt, dass die Bündnispartner:innen dieses nutzen werden. Es sollte zudem eine Beteiligung der Immobilienwirtschaft an Quartierskonzepten im Sinne des Klimaschutzes eingefordert werden. Insgesamt ist im Bündnis die Chance verpasst worden, für die Ziele des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms die Immobilienwirtschaft einzufangen.
Darüber hinaus ist uns wichtig, dass die Bestände mit den schlechtesten Energiekennwerten und dem höchsten CO2-Ausstoß identifiziert werden. Hierzu ist es wichtig, eine Datenlieferung für ein Wärmekataster zu ermöglichen. Die Voraussetzung dafür ist bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zu schaffen. Berlin muss sich beim Bund dringend dafür einsetzen, dass die Wohnungsbestände mit den schlechtesten Energie-Kennwerten innerhalb bestimmter Fristen die Heizsysteme auf erneuerbare Energien umstellen und eine Reduzierung des Wärmeverlustes umsetzen. Dies einzufordern ist beispielsweise mit einem Stufenmodell in jeweils 5-jährigen Abständen möglich. Die geplante Umsetzung der Energieeffizienz-Richtlinie der EU sollte in diesem Zuge vorgezogen werden.
6. Baubeschleunigung und Planungsprozesse
7. Stadtentwicklung
Für eine positive Entwicklung der Stadt, ist die Unterstützung von Nachbarschaften in neuen Stadtquartieren vorgesehen. Die Handschrift der Immobilienwirtschaft ist in der Bündnisvereinbarung jedoch unverkennbar.
Uns ist wichtig, dass Berlin eine Stadt für alle bleibt. Dafür ist ein Schwerpunkt auf die Erhaltung und Schaffung durchmischter Bevölkerungsstrukturen zu legen. Ein wichtiger Aspekt, der in der Bündnisvereinbarung kaum behandelt wird.
8. Wohnraumbedarfe
In Berlin zählen mehr als die Hälfte aller Menschen zu unteren und mittleren Einkommensgruppen. Ganz besonders die Menschen der unteren Einkommen finden keine bezahlbare Wohnung mehr. Wir haben daher gefordert, dass analog dazu ein bestimmter Teil der Wohnungen für Menschen mit WBS 100 Prozent der Bundeseinkommensgrenze (= rund 1.000 Euro Einkommen bei einem Ein-Personen-Haushalt) bereitgestellt wird, ein weiterer Teil für 100 bis 140 Prozent und ein Teil für 140 bis 180 Prozent.
Das Bündnis beschließt das Gegenteil und verkauft das Ergebnis als Erfolg:
„Um zielgenauer den unteren und mittleren Einkommensschichten der Bevölkerung einen Zugang zu belegungsgebundenen Wohnraum zu ermöglichen und die Ziele der sozial durchmischten Stadtentwicklung unternehmens- und quartiersbezogen besser umsetzen zu können, werden verstärkt die Berliner WBS-Einkommensgrenzen bis 180 Prozent der Einkommensgrenzen nach § 9 Abs. 2 WoFG als Grundlage für Wohnungsangebote angewendet.“
Bisher lag bei der sozialen Wohnraumförderung die WBS-Grenze vorrangig bei 140 Prozent. Wenn sie jetzt generell auf 180 Prozent angehoben wird, ist das gut für die mittleren Einkommen, aber schlecht für die unteren, denn es werden mehr Menschen für WBS zugelassen, aber nicht mehr Wohnungen bereitgestellt. Da die Hälfte der Stadt ein Anrecht auf einen WBS 180 hat, sollten auch mehr als die Hälfte der Wohnungen zur Verfügung gestellt werden und nicht nur ein Drittel. Dieses Missverhältnis geht am Bedarf der Hälfte aller Berliner:innen vorbei und verschärft die Konkurrenz um die wenigen Wohnungen, die WBS-Berechtigten angeboten werden sollen.
9. Wohnungstausch
10. Überwindung und Vermeidung von Obdachlosigkeit
Im September 2021 hat die damalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach den Masterplan 2030 zur Überwindung von Wohnungslosigkeit in Berlin präsentiert. Die Bündnispartner:innen geben an, sich regelmäßig darüber auszutauschen und das dem Plan zugrunde liegende Projekt „Housing first“ zu unterstützen. Eine verbindliche Teilnahme bleibt damit offen. Aus unserer Sicht reicht das nicht aus, um den wachsenden Problemen der Wohnungs- und Obdachlosigkeit angemessen und systematisch zu begegnen.
Als Unterstützung ist geplant, das geschützte Marktsegment zu erhöhen. Von den bislang 1.350 Wohnungen sollen bis 2024 insgesamt 2.500 Wohnungen vermittelt werden – jeweils zur Hälfte von landeseigenen und privaten Bestandshalter:innen. Zuvor hatten sich die LWU zu 1.123 Wohnungen verpflichtet, die Privaten zu 227 Wohnungen. Das macht bei den LWU einen Unterschied von lediglich 227 Wohnungen, und auch die 1.023 zusätzlichen Wohnungen im privaten Bestand sind viel zu wenig, um dem Ziel der Beendigung der Wohnungslosigkeit bis 2030 ein Stück näher zu kommen. Hinzu kommt, dass die Bündnisvereinbarung keine Zustimmung der privaten Wohnungswirtschaft für die Beteiligung mit rund 1.000 Wohnungen vorsieht.
11. Mietentwicklung / Mietbelastung
Die von der Bundesregierung geplante Absenkung der Kappungsgrenze von 15 auf 11 Prozent bei Mieterhöhungen soll von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohneinheiten in Berlin ab Unterzeichnung der Bündnisvereinbarung berücksichtigt werden. Die Begrenzung auf diese Unternehmensgröße ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar, weil die Anzahl der Wohnungen für Mieter:innen und ihre Miethöhe keine Relevanz hat. Ein weiteres Problem ist, dass die Kappungsgrenze nicht einklagbar ist, zumindest nicht bevor die Bundesregierung das Mietrecht entsprechend angepasst hat – voraussichtlich beginnend ab Frühjahr 2023 (die Absenkung der Kappungsgrenze auf 11 Prozent in angespannten Wohnungsmärkten ist Bestandteil der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung). Bislang können nur Mieter:innen von Vonovia und der Adler Group von dieser Regelung profitieren.
Private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohneinheiten sollen zudem bei allen WBS-berechtigten Haushalten die jährliche Mieterhöhung bis zum 31. Dezember 2023 auf maximal zwei Prozent begrenzen. Insgesamt ist in der Bündnisvereinbarung vorgesehen, dass sich Mieterhöhungen im Bestand an der ortsüblichen Vergleichsmiete und dem nachgewiesenen Haushaltseinkommen der Mieter:innen orientieren. Irreführend ist dabei, dass in der Bündnisvereinbarung von einer „mietsenkenden Kappungsgrenze“ gesprochen wird, obwohl eine Mietabsenkung nicht vorgesehen ist. Vielmehr können Mieter:innen im Rahmen einer Härtefallregelung nach Zustellung einer Mieterhöhung beim Vermieter darauf dringen, dass die Nettokaltmietenerhöhung so begrenzt wird, dass damit die Belastung nicht mehr 30 Prozent des jährlichen Haushaltsnettoeinkommens ausmacht. Als Einkommensgrenzen gelten die Bezüge eines Wohnberechtigungsscheins von bis zu 180 Prozent sowie die Wohnflächengrenzen. Leistungsbezüge, wie zum Beispiel Wohngeld, werden in die 30-Prozent-Rechnung einbezogen. Daraus resultierende Verzichte auf Mieterhöhungen sollen dem Land Berlin einmal jährlich zum Monitoring übermittelt werden. Diese Begrenzung wird keine Breitenwirkung erzielen und ist zudem ungerecht, weil Haushalte mit niedrigem Einkommen schon mit 30 Prozent zu hoch belastet sind. Bei einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 2.000 Euro monatlich sollte die Nettokaltmiete maximal 25 Prozent betragen, bei 2.000 bis 3.000 Euro nicht mehr als 30 Prozent. Nach bisherigen Erfahrungen werden Härtefallregelungen aus Scham und anderen Gründen nicht in Anspruch genommen, der Effekt der Mietbegrenzung wird also minimal sein. Hinzu kommt, dass die Kappung auf Basis der Nettokaltmiete viel zu kurz greift. denn für die Haushalte kommt es auf die gesamten Wohnkosten, also inklusive der Heiz- und Warmwasserkosten an. Durch die enorm steigenden Energiepreise wird daher die gesamte Wohnkostenbelastung bei Haushalten mit unterdurchschnittlichem Einkommen deutlich über 30 Prozent liegen. Deshalb müsste die Kaltmietenbelastung eigentlich sinken. Statt des von uns geforderten Mieterhöhungsstopps bedeutet diese Vereinbarung zudem, dass auch niedrige Einkommen bis Ende nächsten Jahres mit Mieterhöhungen um vier Prozent rechnen müssen.
12. Mietspiegel
Die Bündnisvereinbarung hält am Instrument des rechtssicheren, qualifizierten Mietspiegels fest. Die Bündnispartner unterstützen die Arbeitsgruppe Mietspiegel und erkennen die zukünftigen Mietspiegel an. Dabei sind die mietrechtlichen Vorgaben einzuhalten. Darüber hinaus sollen die Berliner Bezirke Beratungsstellen für Mieter:innen anbieten. Das Land Berlin wird Bundesratsinitiativen starten oder unterstützen, die eine öffentliche Mietpreisprüfstelle anstreben oder sich aktiv gegen überhöhte Möblierungszuschläge bei Vermietung richten.
Es ist wichtig, dass alle Beteiligten den Mietspiegel anerkennen. Dennoch wird eine pauschale Anerkennung kaum möglich sein. Ob der Bündnispartner BfW, der in früheren Zeiten die Mietspiegelanerkennung schon verweigerte, hier eine Generalabsolution erteilt hat, wird zu überprüfen sein. Nach Auffassung des BMV sollten Vermieter Mieterhöhungen im freifinanzierten Wohnungsbau ausschließlich mit dem Mietspiegel begründen. Dazu muss in der Mieterhöhungsankündigung dargelegt werden, warum und inwiefern vom jeweiligen Mietspiegelwert abgewichen werden soll.
13. Miethöhe bei Wiedervermietung
14. Miethöhe nach Modernisierung
Für Mieter:innen ist eine Modernisierungsankündigung meist mit der großen Sorge verbunden, in Zukunft deutlich mehr Miete zahlen zu müssen. Im Zuge dessen stellt sich nicht selten auch die Frage der Sinnhaftigkeit der geplanten Modernisierungsmaßnahme. In Hinblick auf den Klimaschutz braucht es daher sozialverträgliche Lösungen, die sinnvolle energetische Maßnahmen ermöglichen und Mieter:innen gleichzeitig vor hohen (und nicht notwendigen) Belastungen schützen. Die Bündnispartner verpflichten sich dahingehend, Mieterhöhungen im Bestand und bei Modernisierungen „mit Augenmaß“ vorzunehmen und die gesetzlichen Vorgaben und Härtefallkriterien in jedem Fall zu berücksichtigen. Um den Klimaschutzzielen zu begegnen, sollen sich die Bündnispartner aktiv für die Mobilisierung von Investitionen in die energetischen Sanierungen einsetzen. Die Beurteilung der Sinnhaftigkeit soll erleichtert werden, indem eine Konkretisierung zielgerichteter Handlungsstrategien zur Wärmewende und zur Klimaneutralität angepasst an den Ort erarbeitet wird.
Aus unserer Sicht sollten Mieter:innen darüber hinaus bereits bei der Modernisierungsankündigung eine Vereinbarung angeboten bekommen. Das „Augenmaß“ sollte konkretisiert werden, indem die Schritte zunächst transparent gemacht und ausführlich begründet werden. Mieterhöhungen nach Modernisierung gemäß § 559 Abs. 1 BGB müssen auf vier Prozent der für die Wohnung anfallenden Kosten begrenzt werden – mit einer Kappung bei 1,50 Euro pro Quadratmeter. Die Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete darf nach Modernisierung nicht mehr als zehn Prozent betragen. Instandsetzungsabzüge sollten pauschal bei 30 Prozent liegen. Die finanziellen Härten werden im Bündnispapier nicht konkretisiert. Wir schlagen vor, die Miete inklusive aller Betriebskosten an die Maximalgrenze von 20 bis 30 Prozent des Nettoeinkommens zu koppeln – alles darüber wäre ein finanzieller Härtefall und in diesem Sinne zu behandeln. Die Härtefallregelung sollte auch gelten, wenn Eigentümer:innen mit den Maßnahmen den „üblichen Standard“ herstellen. Eine energetische Modernisierung ist vor allem dann erfolgreich, wenn die Miethaushalte spürbare Energieeinsparungen im Anschluss an die Maßnahmen wahrnehmen.
15. Betriebskosten
Die derzeit steigenden Energiepreise und die Inflation machen sichtbar, dass die Betriebskosten zu einer unzumutbaren finanziellen Belastung für Haushalte werden können. Hinzu kommt, dass die Betriebskostenabrechnungen für Mieter:innen meist undurchsichtig sind und gleichzeitig in vielen Fällen Fehler aufweisen. Die Bündnisvereinbarung sieht deshalb vor, die Transparenz zu erhöhen und Mieter:innen durch Aufklärung über die Möglichkeiten zur Senkung der verbrauchsabhängigen Kosten zu stärken. Zudem soll der Senat prüfen, ob Betriebskosten, auf jene die Landesregierung Einfluss hat, wie zum Beispiel für Wasser und Grundsteuer, gesenkt werden können.
Doch mit diesen Vorhaben ist keine Verbesserung für Mieter:innen hinsichtlich der Betriebskosten erreicht, denn das Transparenzgebot ist viel zu allgemein. Aus unserer Sicht sollten Vermieter:innen angehalten sein, binnen zwei Monaten nach Zustellung einer Betriebskostenabrechnung, etwaigen Einwendungen von Mieter:innen abgeholfen zu haben. Andernfalls verliert der/die Vermieter:in den Anspruch auf Nachzahlung. Dramatische Nachzahlungen für Heiz- und Warmwasserkosten stehen bevor. Vermieter:innen sollten sich daher verpflichten, eine Ratenzahlung für Nachforderungen aufgrund erhöhter Kosten für Heizung und Warmwasser aber auch für die Grundsteuer anzubieten. Da Vermieter:innen für den Zustand des Hauses und die Wahl der Heizanlagen verantwortlich sind, sollten diese bei Gebäuden mit den Energieeffizienzklassen E,F, G und H 30 Prozent der Heizkosten tragen.
16. Kündigungsschutz
Um den Schutz vor Wohnraumverlust für Mieter:innen zu verbessern, sollen außerordentliche Kündigungen nur noch im Ausnahmefall möglich sein, soziale Wohnhilfe grundsätzlich mit einbezogen und Ersatzwohnraum – wann immer möglich – gestellt werden. Zu den Fachstellen der Bezirksämter und den freien Trägern der Wohnungsnotfallhilfe soll bei Kündigungen Kontakt aufgenommen werden. Es ist zudem vorgesehen, dass sich die Bündnispartner schon vorab im Bund für eine Harmonisierung der Schonfristzahlung bei fristloser wie ordentlicher Kündigung einsetzen. Diese Maßnahmen sind notwendig und sinnvoll, weil sie weiter reichen als die bisherigen Regelungen. Denn die Bündnispartner verpflichten sich, auch ordentliche fristgemäße Kündigungen bei Zahlung von Mietrückständen zurückzunehmen
Der BMV begrüßt diese Bereitschaft, geht jedoch noch etwas weiter. Kündigungen wegen minderungsbedingter Mietforderungen oder aufgrund von Streitigkeiten um Nebenkosten sollten erst ausgesprochen werden, wenn ein Vollstreckungsversuch aus einem amtsgerichtlichen Urteil erfolglos blieb.
17. Mieter:innenmitwirkung
Zur Verbesserung der Mieter:innenmitbestimmung sieht die Bündnisvereinbarung vor, dass große Wohnungsbaugesellschaften Möglichkeiten zur Selbstorganisation der Mieter:innen entwickeln sollen. Grundsätzlich ist eine Verbesserung der Mitbestimmung und die Einbindung privater Wohnungsbaugesellschaften sehr zu begrüßen, die Vereinbarung bleibt jedoch vage und ohne verbindliche Umsetzungsvorschläge.
Wir hatten vorgeschlagen, dass Wirtschaftseinheiten mit mehr als 300 Wohnungen Mieter:innenbeiräte erlauben und in der Vorbereitung der dazugehörigen Wahlen im dreijährigen Turnus unterstützend mitwirken. Die Beiräte sollten in grundlegende Vorhaben eingebunden werden. Dazu zählen beispielsweise umfassende Instandsetzungen und Modernisierungen, Abrisse, Neubau und Betriebskosten.
18. Milieuschutz
Die Bündnisvereinbarung sieht vor, Erleichterungen für die Genehmigungspraxis zu schaffen und dabei ein besonderes Augenmerk auf sozialverträgliche energetische Modernisierungsmaßnahmen mit Kosten-Nutzen-Effekten zu legen, die in den Milieuschutzgebieten für zeitgemäße Wohnstandards sorgen. Es soll dazu eine Arbeitsgruppe Milieuschutz eingerichtet werden, in die wohnungswirtschaftliche Verbände und die Bezirke eingebunden sind. Ziel ist, die Erleichterungen zur Ausweisung innerhalb eines Jahres zu evaluieren und zu verbessern. Bezüglich des Klimaschutzes sollen Beratungs- und Informationszentren für Verbraucher:innen eingerichtet und Fördermittel über die IBB bereitgestellt werden.
Der BMV bedauert, dass die vom Neuköllner Stadtrat Jochen Biedermann (Bündnis 90/Grüne) in die Bündnisverhandlungen eingebrachten Vorschläge, mit denen das Dilemma zwischen notwendigem Klimaschutz und Wahrung der Sozialverträglichkeit aufgelöst werden sollen, vom Senat komplett verworfen wurden. Mit Blick auf die neue Arbeitsgruppe wächst beim BMV die Sorge, dass der Milieuschutz zugunsten von Investor:innen aufgeweicht werden soll.
14.07.2022