Neue Wohnungen kann man nicht nur durch Neubau schaffen. Durch Aus- und Umbauten lassen sich noch viele bestehende Gebäude für Wohnzwecke nutzen.
Eine große ungenutzte Wohnraumreserve befindet sich unter den Dächern Berlins: Die Dachböden vieler Altbauten könnten meist mit relativ geringem Aufwand als Wohnraum ausgebaut werden. Heute werden Dachgeschosswohnungen, meist exklusiv ausgestattet, als „Penthouse“ vermarktet und entsprechend teuer vermietet oder verkauft. Das müsste aber nicht sein. Früher war das Verhältnis zum „Wohnen unter dem Dach“ ein anderes: Je höher die Wohnung lag, desto niedriger war die Miete. In der Dachkammer hauste der sprichwörtliche „arme Poet“. Man kann natürlich auch heute mit durchschnittlichen Ausstattungsstandards bezahlbare Dachgeschosswohnungen schaffen. In den 80er Jahren gab es in West-Berlin dafür sogar ein staatliches Förderprogramm.
Eine Statistik über ausgebaute Dachgeschosse gibt es nicht. Das Potenzial ist aber immens. Rund 26 Prozent des Berliner Wohnungsbestandes befindet sich in Altbauten, die vor 1919 errichtet wurden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich nur die Hälfte dieser Dachgeschosse für den Ausbau eignen, und davon schon die Hälfte ausgebaut worden ist, bleibt überschlagsmäßig noch ungenutzter Dachraum für 30.000 Wohnungen.
Ähnliches gilt auch für die Umnutzung von Gewerberäumen. Alte Fabriketagen werden immer öfter zu großzügigen Wohnungen umgebaut, auch hier hauptsächlich mit luxuriöser Ausstattung. Dabei war das „Loft“-Wohnen anfangs auch nur ein Notbehelf avantgardistischer Künstler. Es ist keine Gesetzmäßigkeit, dass zum Wohnen umgenutzte Gewerberäume immer besonders teuer sein müssen.
Alte Hüllen, neuer Nutzen
Wenig beachtet werden die Remisen auf den Altbau-Hinterhöfen. Die ehemaligen Wagenunterstände, Ställe oder Werkstattgebäude dienen heute oft nur noch als Abstellraum für das Werkzeug des Hausmeisters oder stehen sogar ganz leer. Mit ihrer ruhigen Lage im letzten Hof drängen sich die Remisen buchstäblich dazu auf, zum Wohnen umgebaut zu werden.
In Berlin gibt es zudem immer noch einen nennenswerten Büroflächenleerstand. Dem Büromarktbericht des Maklerunternehmens Angermann zufolge stehen in Berlin rund 940.000 Quadratmeter Bürofläche leer. Darunter sind auch einige ungenutzte Verwaltungsgebäude des Landes Berlin. Was liegt näher, als diese in Wohnhäuser umzubauen? Grund und Boden befinden sich bereits in öffentlicher Hand, die Gebäudehülle ist vorhanden, es muss nur Geld für den Innenausbau aufgewendet werden.
Ein Beispiel wäre das Hochhaus des Steglitzer Kreisels, dessen Asbestsanierung das Land Berlin ohnehin zahlen muss. Nachdem das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf 2007 ausgezogen ist und sich kein anderer Büronutzungsinteressent gefunden hat, hätte man auch auf die Idee kommen können, dort in öffentlicher Regie preisgünstige Wohnungen einzurichten. Stattdessen zahlt das Land Berlin Jahr für Jahr rund eine Million Euro für den Unterhalt des leeren Hochhauses. Im Sommer 2013 trat ein Investor auf den Plan, der aus dem Kreisel tatsächlich ein Wohnhochhaus mit 250 Wohnungen machen will – im Luxussegment. Berlin hat schon viele öffentliche Immobilien verkauft, die andere schließlich für Wohnzwecke umgebaut haben. So hat eine Baugruppe die Altbauten des Urbankrankenhaus in Kreuzberg gekauft und hier 145 Wohnungen eingerichtet. Die Neubewohner haben zwischen 2300 und stolzen 3500 Euro für den Quadratmeter Wohnfläche bezahlt. Selbst das ehemalige Gefängnis in Rummelsburg wurde zu einer edlen Wohnadresse. Wo einmal bis zu 1000 Häftlinge einsaßen, sind nun 143 Wohnungen entstanden.
Dass öffentliche Gebäude auch billiger umgenutzt werden können, haben zwei Baugemeinschaften vorgemacht. Eine aufgegebene Kindertagesstätte in der Lichtenberger Alfred-Jung-Straße wurde 2008 bis 2010 in ein Wohnhaus mit 20 Wohnungen umgebaut. Der Plattenbau entspricht nun dem Niedrigenergiestandard. Dennoch haben die Kosten nur 1000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche betragen.
Die alte Schule Karlshorst wurde nach 14 Jahren Leerstand 2006 bis 2008 in ein Mehrgenerationenwohnhaus mit 21 Wohnungen umgebaut. Die Hausgemeinschaft hat sich einer Genossenschaft angeschlossen. Die Nettokaltmiete beträgt zwischen 4,65 Euro und 7,50 Euro pro Quadratmeter – deutlich weniger als die 8,50 Euro, die üblicherweise als geringste Miete gelten, die mit Neubau erzielt werden kann.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/14
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04.01.2016