In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stieg Berlin zu einer der Metropolen des modernen Bauens auf. Vor allem die Wohnsiedlungen von Architekten wie Bruno Taut, Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder Hans Scharoun prägten das Bild vom „Neuen Berlin“. Doch ohne den von 1926 bis 1933 amtierenden Stadtbaurat Martin Wagner wären der Aufbruch in eine neue Architektur und das große Wohnungsbauprogramm der Weimarer Republik in Berlin unmöglich gewesen. In diesem Frühling jährt sich Martin Wagners Todestag zum 50. Mal.
In seiner siebenjährigen Amtszeit als Berliner Stadtbaurat war Martin Wagner die Schnittstelle zwischen der Politik, den Wohnungsbaugesellschaften und den Architekten.
Der 1885 in Königsberg geborene Martin Wagner hatte in Dresden und Berlin Architektur studiert und arbeitete danach im Atelier des Architekten Hermann Muthesius. Nach weiteren Stationen in Hamburg und Wilhelmshaven wechselte er 1914 zum Zweckverband Groß-Berlin, wo er als Abteilungsleiter für die Planung der Grünflächen arbeitete. In seiner 1915 vorgelegten Dissertation „Das sanitäre Grün der Städte“ erarbeitete er für Berlin eine Konzeption, in der die Freiflächen nahe bei den Wohngebieten angesiedelt wurden.
1918 wurde Wagner Stadtbaurat von Schöneberg, mit der Eingemeindung der Berliner Vorstädte fiel dieses Amt jedoch schon 1920 wieder weg. In dieser Zeit plante er die Lindenhof-Siedlung, die als mustergültig bei der Planung der Grünbereiche gilt. Um einen Teich herum sind Reihenhäuser und dreigeschossige Wohnbauten gruppiert. Die meisten Wohnungen haben einen Mietergarten.
Wagner setzte sich stark für die Gründung genossenschaftlicher Bau- und Wohnungsunternehmen ein. Er wurde Geschäftsführer des Verbands der gewerkschaftlichen sozialen Baubetriebe und war 1924 treibende Kraft bei der Gründung der gewerkschaftlich getragenen Deutschen Wohnungsfürsorge-Aktiengesellschaft (Dewog), deren Geschäftsführung er ebenfalls übernahm. In dieser Funktion war er auch Herausgeber der Zeitschrift „Die Wohnungswirtschaft“, mit der er für eine soziale Wohnungspolitik warb.
Die Stadt – ein Betrieb
In seiner Zeit als Stadtbaurat setzte er sich konsequent für die praktische Umsetzung des Wohnungsbaus ein. Er ebnete den Weg für den Bau großer moderner Wohnsiedlungen und lotste dazu einige der fortschrittlichsten Architekten nach Berlin. Wagner verstand sich selbst als „Regisseur“ und die Stadt als „Betrieb“. Beim Städtebau stand für ihn die Frage der Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Das Bauen sollte billiger und rationeller werden. In der von ihm geplanten und von 1926 bis 1930 gebauten „Kriegerheimsiedlung“ in Friedrichsfelde (heute als Splanemann-Siedlung bekannt) wurden die Häuser aus vorgefertigten Wandtafeln montiert – Deutschlands erste Plattenbauten. Auch in der von Bruno Taut und Martin Wagner geplanten Hufeisensiedlung wurden standardisierte Bauteile verwendet.
Nach der Machtübernahme der Nazis wurde Wagner wie auch die übrigen sozialdemokratischen Magistratsmitglieder am 13. März 1933 „beurlaubt“. Noch im gleichen Jahr emigrierte er in die Türkei, wo er die Regierung in Städtebaufragen beriet. 1938 ging er in die USA, wo er an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) eine Professur für Städtebau übernahm. Nach dem Krieg bemühte er sich vergeblich um den Stadtbauratsposten in West-Berlin. Er blieb in den USA, nahm aber am Baugeschehen in Berlin Anteil. So kritisierte er den Bau von Hochhäusern im Hansaviertel heftig: Sie seien in der Herstellung und im Unterhalt zu unwirtschaftlich und für den Massenwohnungsbau ungeeignet. Am 28. Mai 1957 starb Wagner in Cambridge.
Jens Sethmann
MieterMagazin 3/07
Deutschlands erste Plattenbauten in der Berliner Splanemann-Siedlung sind ein Projekt von Martin Wagner
Foto: Christian Muhrbeck
Wagners Weltstadtpläne
Der Berliner Innenstadt versuchte Wagner ein weltstädtisches Gepräge zu geben. 1929 initiierte er für die zwei wichtigsten Plätze der Stadt, den Alexanderplatz und den Potsdamer Platz, vielbeachtete Städtebauwettbewerbe. In den Entwürfen wurden die alten Plätze mit modernen Hochhäusern und kreuzungsfreien Schnellstraßen völlig überformt. Verwirklicht worden sind davon nur kleine Bruchstücke. Zusammen mit Richard Ermisch baute Wagner 1930 das Strandbad Wannsee. Das mit Hans Poelzig geplante Messezentrum am Funkturm konnte nur zum Teil realisiert werden.
js
18.07.2013