Die hektische Großstadt hinter sich lassen und jede freie Minute in seinem zweiten Zuhause mitten in der Natur zu verbringen – für immer mehr Menschen ist das eine verlockende Vorstellung. Das belegt die steigende Nachfrage nach Dauercampingplätzen in und um Berlin. Viele sind nur an den Wochenenden auf dem Platz, andere pendeln den Sommer über täglich zur Arbeit, und für einige ist der Wohnwagen sogar Wohnungsersatz. Wie lebt es sich auf wenigen Quadratmetern, ohne WLAN und Arztpraxis um die Ecke?
Bei Familie Schröder war es der „Betonkoller“, der sie vor über 30 Jahren zu überzeugten Campern machte. „Ich bin in der Uckermark aufgewachsen – als wir nach Marzahn gezogen sind, war da kein Baum und kein Strauch“, erzählt Sigrid Schröder. Die Familie legte sich ein Segelboot zu, und kurze Zeit später pachteten sie einen Dauercampingplatz. Obwohl es erst ihre zweite Saison im Wohnwagen ist – vorher hatten sie ein Zelt –, ist das Wohnmobil samt Vorplatz liebevoll dekoriert und mit jeder Menge Finessen ausgestattet, inklusive Lichtanlage und richtiger Klingel – alles funkgesteuert, wie Norbert Schröder stolz erklärt. Sogar eine Klimaanlage für heiße Nächte hat er eingebaut. Der gelernte Koch ist handwerklich geschickt und würde am liebsten den ganzen Tag bosseln und tüfteln. Das Rentnerehepaar ist von Donnerstag bis Sonntag auf dem Platz. Sie haben kein Auto, die Fahrt in ihre Marzahner Wohnung dauert fast zwei Stunden. Dort werden dann Arztbesuche erledigt und Wäsche gewaschen.
Im Laufe der Jahre haben sie sich in die begehrte erste Reihe, direkt am See, vorgearbeitet. Von ihrem Sitzplatz aus blicken sie direkt auf die Große Krampe, und zum Wasser sind es nur wenige Schritte. Der Zeltplatz „Kuhle Wampe“ in Köpenick ist ein nicht-kommerzieller Vereinscampingplatz. Das bedeutet: ehrenamtliche Arbeitseinsätze, etwa bei der Instandhaltung der Gemeinschaftsanlagen, werden erwartet. Für die Schröders ist das kein Problem. Im Gegensatz zu DDR-Zeiten, wo man schon mal schief angeguckt wurde,
Das gemeinsame Interesse verbindet
wenn man beim Sportfest nicht mitmachte, werde kein Druck ausgeübt, sagt Sigrid Schröder. Neben ihrem erschwinglichen Wassergrundstück schätzen die Schröders vor allem das Gemeinschaftsleben. „Es ist wie auf dem Dorf, man hat die Kinder groß werden sehen, feiert gemeinsam Geburtstag und hilft sich gegenseitig“, sagt Sigrid Schröder. Natürlich gebe es manchmal auch Konflikte, etwa wenn Leute Parties feiern oder laut Musik hören. „Aber uns verbindet, dass wir alle das gleiche Hobby haben: draußen in der Natur zu sein.“
Einer der Neuzugänge ist Mario Uhlmann. Der 45-Jährige ist erst seit der letzten Saison dabei und hat gleich eines der Sahnestückchen ergattert: eine Hütte direkt am Wasser, mit großer Terrasse und Grillplatz. Morgens als erstes in den See zu springen – für den gebürtigen Saarländer gibt es nichts Schöneres: „Ich freue mich tierisch darauf, an den Wochenenden hierher zu kommen, hier kann man gut abschalten.“ Zusammen mit seiner Frau wohnt er im Prenzlauer Berg. Die Hütte ist für beide ein Ausgleich zum lauten Stadtleben.
Für die Hütten gibt es eine Warteliste
Obwohl Mario Uhlmann einen anstrengenden Job auf dem Bau hat, stört es ihn nicht, dass er nun auch in seiner Freizeit handwerklich tätig sein muss. Die kleinen Hütten bekommt man nämlich nur, wenn man sie selber in Schuss hält. Mario Uhlmann hat nicht nur seine eigene Hütte tiptop hergerichtet und im Gemeinschafts-Sportzentrum sowie im Kinderraum neue Böden verlegt, sondern hilft auch den älteren Nachbarn bei kleineren Reparaturen. „Spätestens nach zwei Tagen Ausruhen brauche ich sowieso ein bisschen Action“, meint er dazu.
Der Verein freut sich über so viel Engagement. Zum einen, weil man den älteren Mitgliedern – einige der Dauercamper sind fast 90 Jahre alt – ermöglichen will, zu bleiben. Zum anderen, weil man den Zeltplatz für jeden Geldbeutel erschwinglich halten will. „Wir wünschen uns eine gute Durchmischung von Jung und Alt, Arm und Wohlhabend“, betont Norman Heinz, der im Verein für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. In letzter Zeit sind viele junge Familien mit Kindern sowie Akademiker hinzugekommen, darunter auch Norman Heinz‘ ehemalige Uniprofessorin. „Wir haben eine lange Warteliste“, berichtet Heinz.
Wie ist das wachsende Interesse zu erklären? „Ich denke, es gibt ein großes Bedürfnis nach Natur“, meint der 37-Jährige, dessen Vater zu den Mitbegründern des Vereins gehört. Viele wüssten auch zu schätzen, dass es hier so unverkrampft zugeht. Man kann auch mal im Schlafanzug oder im Unterhemd über den Platz marschieren. Es sei zwar nicht so, dass soziale Unterschiede gar keine Rolle spielen, meint Heinz. „Aber es bereichert uns, dass wir Reibungspunkte haben und Konflikte jeden Tag neu ausgehandelt werden.“ Wer sich allerdings abschotten will und nicht damit klar kommt, dass kaum einen Meter entfernt der Nachbar sein Domizil hat, der werde hier nicht glücklich.
Während auf der Kuhlen Wampe zum Saisonende Ende Oktober alles dicht gemacht wird, ist der Campingplatz am Krossinsee auch im Winter bewohnt. Zumindest von Uwe, der hier Parzelle 298 bewohnt, sommers wie winters. Für die Behörden sei er ein Obdachloser, erzählt er, dabei brauche er als Rentner gar keine Wohnanschrift, sondern lediglich ein Postfach. Uwe selber bezeichnet sich als „Wasser-Zigeuner“. Der gelernte Seemann hat bis 1972 in der Schifffahrt gearbeitet. Seit 2012 hat er keine Wohnung mehr. Damals sagte ihm seine Frau: „Wenn du dir ein Boot kaufst, lass ich mich scheiden.“ Der heute 75-Jährige entschied sich für das Boot und trennte sich von Frau und Einfamilienhaus in Pankow.
Vom Verkauf seiner Sachen kaufte er sich ein neun Meter langes Segelboot, mit dem er sogar bis in die USA schipperte. Später kam dann der Wohnwagen dazu, wo er bis heute mit Paul und Paula, seinen beiden Hunden lebt. Als Abstieg sieht er das nicht. „Das Leben in der Natur ist doch herrlich, ich bin glücklich und zufrieden.“ Eine Mietwohnung kann er sich nicht mehr vorstellen. Im Winter sei es schon recht einsam. Doch Langeweile kennt er nicht. Rund um Wohnwagen und Boot gibt es immer etwas zu tun. Gegen die Kälte hilft ein Heizöfchen, das er allerdings nur bei Minusgraden anmacht. Uwe, der schon zu DDR-Zeiten in keine Schublade gepasst hat, ist mit seinem freien Leben voll und ganz zufrieden: „Kein Miethai hat Einfluss auf mein Leben, hier bin ich mein eigener Herr.“
Birgit Leiß
Ein Zuhause in der Natur auf Zeit
Als Dauercamper bezeichnet man Leute, die im Gegensatz zu Urlaubern nicht nur für Tage oder Wochen, sondern auf Dauer einen Stellplatz für einen Wohnwagen oder ein Zelt anmieten. Häufig läuft der Vertrag eine Saison, also von April bis Oktober, manchmal auch ganzjährig. Die Preise liegen bei rund 700 bis 1000 Euro pro Saison. Vereinscampingplätze, bei denen man Mitglied im Verein werden muss, sind wesentlich günstiger. Im Berliner Stadtgebiet gibt es rund 1000 Dauerstandplätze.
Camping wurde in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts populär. Die ersten Zeltplätze wurden von Naturfreunden gegründet, so auch der Platz Kuhle Wampe. 1920 übernahmen hier Köpenicker Naturfreunde zwei ausgediente Fischerhütten und bauten sie zu einem Wanderstützpunkt aus. 1976 bekam er in Gedenken an die bereits 1913 gegründete Arbeiter-Zeltkolonie den Namen „Kuhle Wampe“. Dort wurden auch Teile des berühmten Films „Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt“ gedreht. Er spielt im Berlin der 1930er Jahre und erzählt die Geschichte einer Familie, die nach der Kündigung ihrer Mietwohnung in eine Gartenkolonie ziehen muss.
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Eine Liste aller Campingplätze in Berlin und Umland findet sich unter
www.berlin.de/tourismus/unterkunft/campingplaetze
zum Zeltplatz Kuhle Wampe: www.zeltplatz-kuhle-wampe.de
09.09.2019