„Hier verlassen Sie den Sektor der Spekulation“, hieß es auf einem Transparent beim Richtfest des Hauses Malmöer Straße 29 in Prenzlauer Berg. Das Projekt wurde schnell als „Zimmer-Sozialismus“ und „letzte Kommune“ diskreditiert. Tatsächlich entsteht hier ein alternatives, selbstverwaltetes Haus, das das Potenzial besitzt, neue Akzente für ein selbstbestimmtes Wohnen zu setzen. Das Motto: „Kollektiv ein Stück andere Welt bauen!“
Eigentümerin der vermutlich größten Wohngemeinschaft Berlins in der Malmöer Straße 29 – zwischen S-Bahn-Ring und BSR-Recyclinghof – ist die „Hausprojekt M29 GmbH“, einer ihrer Gesellschafter wiederum das „Mietshäuser Syndikat“ (siehe Kasten). Das Projekt kostet insgesamt rund eine Million Euro. 75 Prozent werden über einen Bankkredit finanziert, ein Viertel wird als Eigenkapital in Form von Direktkrediten aufgebracht. Noch sind Anleger willkommen.
Die Miete ist mit 5,92 Euro netto kalt pro Quadratmeter moderat, nach drei Jahren steigt sie auf 7,20 Euro und bleibt bis 2022 stabil. Im November 2011 begannen die Bauarbeiten auf dem bis dahin mit Garagen bebauten Grundstück.
Demnächst leben hier 20 Menschen in einem dreistöckigen Gebäude. Sie sind zwischen 21 und 37 Jahre alt und WG-erfahren. Auch drei Kinder wohnen im Haus. Unter den Bewohnern sind Akademiker, Freiberufler und Handwerker, nur wenige wohnten zuvor schon im Bezirk Prenzlauer Berg – eine bunte Mischung. Um die Baukosten zu reduzieren, wurde der Bauablauf optimiert und kontrolliert, beim Innenausbau wurde auf teure Baumaterialien verzichtet. Mit 985 Euro pro Quadratmeter inklusive aller Nebenkosten sind die Baukosten sehr günstig. Die Zimmer sind relativ klein, die Gemeinschaftsflächen dafür umso größer. Ein Blockheizkraftwerk, der gute KfW-70-Energiestandard sowie das Beziehen von Ökostrom, die Versorgung mit regionalem Gemüse und die Kompostierung von Abfällen im Garten sind Beiträge zum Umweltschutz.
Das Haus soll nicht nur ein Ort gemeinschaftlichen Wohnens sein, sondern auch der „politischen Arbeit und der subkulturellen Bereicherung des Stadtteils dienen“. Ein großer Projektraum im Dachgeschoss steht politischen Gruppen oder anderen Initiativen als Treffpunkt zur Verfügung und kann auch von den Anwohnern aus dem Kiez genutzt werden. Weitere Ideen: ein Dachgarten, eine Food-Coop, eine „Volxküche“ und eine offene Fahrradwerkstatt.
Ein Modell für die Gesellschaft
Die Bewohner leben auf zwei Etagen in einem zusammenhängenden Wohnbereich. Im Dachgeschoss gibt es eine vegetarische Gemeinschaftsküche mit gemeinsamer Haushaltskasse, in der ersten und zweiten Etage vier weitere Küchen, davon eine für Raucher. Auch die sechs Bäder werden gemeinsam genutzt.
„Das Hauskonzept ist zukunftsweisend“, lobte Ephraim Gothe, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, bei einer Besichtigung. Zurzeit ist neben einigen Altbauten ein weiteres Neubauprojekt des Syndikats in der Sophienstraße in Lichtenberg in Vorbereitung. David Scheller, Ur-Berliner und einer der Initiatoren des Projekts: „Die Idee, Ressourcen gemeinsam zu nutzen, ist ein Wesensmerkmal unserer Solidargemeinschaft – vielleicht ist das auch ein Beispiel für die Gesellschaft.“
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 10/12
„Subkulturelle Bereicherung des Stadtteils“: Das Wohnprojekt in der Malmöer Straße will mehr als gutes und preiswertes Wohnen
Fotos: Christian Muhrbeck
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Das Syndikat
Das bundesweit agierende Mietshäuser Syndikat (MHS), 1992 in Freiburg im Umfeld ehemaliger Hausbesetzer gegründet, ist eine nicht-kommerziell organisierte Beteiligungsgesellschaft zum kapitalmarktunabhängigen Erwerb von Häusern. Diese werden in Gemeineigentum überführt, um bezahlbare Wohnungen und Raum für Initiativen zu schaffen. Das MHS versucht, Immobilien gemeinsam mit den Bewohnern zu kaufen und den Wiederverkauf vertraglich auszuschließen. Zurzeit ist das MHS an 63 Hausprojekten mit 1800 Bewohnern beteiligt – davon 14 in Berlin und Potsdam. Der aktuelle Gesamtwert der Häuser beträgt etwa 75 Millionen Euro bei einer verhältnismäßig geringen Bankverschuldung von etwa 20 Millionen Euro. Das Syndikat will den Ausverkauf der Städte stoppen und bezahlbare Wohn- oder Kulturprojekte dauerhaft erhalten. „Stadt und Wohnraum sind ein Recht für alle“, so das Credo. Alle bestehenden Projekte zahlen in einen Solidarfonds ein, um neue Wohnprojekte zu initiieren.
rb
13.12.2015