Das Auto gilt bekanntlich als der Deutschen liebstes Spielzeug. Für Berlin stimmt das nur bedingt. In keiner anderen deutschen Großstadt leben so viele Haushalte, nämlich 49 Prozent, ohne einen eigenen Pkw. Je nachdem, zu welcher Hälfte der Bevölkerung man gehört, unterscheiden sich die Ansprüche an das Wohnumfeld. Viele Autobesitzer gehen davon aus, dass sie quasi ein Grundrecht auf einen kostenlosen Parkplatz vor der Haustür haben. Irgendwo muss das gute Stück ja schließlich hin. Andere würden diesen Platz gern sinnvoller nutzen, für Mietergärten oder Gemeinschaftsflächen beispielsweise. Für sie sind Autos im Wohngebiet ein ständiges Ärgernis, das Krach macht und ihre Kinder am gefahrlosen Spielen hindert. Ein unlösbarer Konflikt?
Wohnen und Mobilität gehören für viele so selbstverständlich zusammen, dass die Anfrage einer Mieterin nicht weiter befremden muss: Ob sie „im 43. Wohnjahr nicht Anspruch auf einen kostenlosen Pkw-Stellplatz innerhalb der Wohnungsgenossenschaft“ habe, wollte sie vom Berliner Mieterverein (BMV) wissen. Kaum einer weiß, dass es in Berlin sogar beim Neubau keine Verpflichtung mehr gibt, Stellplätze bereit zu stellen – übrigens ein Einzelfall im bundesdeutschen Baurecht. Kein Zweifel: Für viele Mieter ist der feste Parkplatz ein Stück Wohnqualität. Für Nicole Stein* aus Friedenau jedenfalls waren die Querelen um ihren Mieterparkplatz Grund genug, die Wohnung zu kündigen. Immer wieder fand sie den Stellplatz für ihren geliebten Porsche schon besetzt vor. Ihr Vermieter, ein Einzeleigentümer, war mit seinem „Latein“ am Ende.
Keine Gewohnheitsrechte
Denn nur die Eigentümergemeinschaft hätte weitergehende Maßnahmen gegen die missbräuchliche Nutzung beschließem können. Weil die Ärztin auf den Stellplatz angewiesen war, zog sie schließlich aus – in eine Wohnung mit Tiefgarage.
Die Konstellation, dass eine Wohnung zusammen mit einem Stellplatz angemietet wird, gibt es in Berlin nur relativ selten. Meist existieren von der Wohnung unabhängige Nutzungsverträge (hierzu unser Kasten auf Seite 15). Rechtlich ist dann meist nichts zu machen, wenn der Vermieter plötzlich Geld für den Stellplatz will oder die bisherige Pacht anhebt: „Da gibt es nicht viel Handlungsspielraum, man sollte die höhere Miete lieber akzeptieren, sonst ist der Stellplatz oder die Garage weg“, rät Dr. Jutta Reismann, Rechtsberaterin beim BMV. „Viele Mieter glauben auch, dass sie auf einen Parkplatz, der ihnen einmal vom Vermieter zur Verfügung gestellt wurde, für alle Zeiten Anspruch haben“, so Dr. Reismann. Ein solches Gewohnheitsrecht gibt es natürlich nicht – es sei denn, der Stellplatz ist Bestandteil des Mietvertrages. Als die großen Wohnungsbaugesellschaften im Osten vor einigen Jahren dazu übergingen, Mieterparkplätze anzubieten, war die Empörung über die „Abzocke“ groß. „Viele Mieter begreifen nicht, warum dort, wo sie 30 Jahre lang ihr Auto hingestellt haben, plötzlich Schranken errichtet werden und sie nun Geld fürs Parken bezahlen sollen“, weiß BMV-Rechtsberaterin Sabine Mettin. Doch der Platz in der Stadt ist nun mal begrenzt – und die Großsiedlungen sind ursprünglich nicht für so viele Autos angelegt worden. „Wir haben eine Befragung durchgeführt und da sprachen sich viele für Mieterparkplätze aus“, erklärt dazu die Sprecherin der WBG Marzahn, Erika Kröber. Doch die angebotenen Stellplätze erwiesen sich „nicht gerade als Renner“, wie die Sprecherin einräumt.
Bessere Chancen mit der Vignette
Während man in Marzahn ohne Probleme auch einen kostenlosen Platz findet, sieht es in den dicht bebauten innerstädtischen Altbauquartieren ganz anders aus. Vor 100 Jahren, als die Häuser gebaut wurden, dachte schließlich noch keiner an Autos. Mieterparkplätze sind hier Mangelware. Allenfalls im Hofbereich gibt es manchmal Stellplätze – und das auch nur, weil die Höfe damals so groß sein mussten, dass ein Feuerwehrfahrzeug wenden konnte.
Mittlerweile herumgesprochen hat sich der Vorteil der Parkraumbewirtschaftung, wie sie in immer mehr Gebieten eingeführt wird. Das Prinzip: Für 50 Euro im Jahr können Anwohner eine Vignette kaufen, die ihnen zwar keinen Parkplatz im öffentlichen Straßenland garantiert, wohl aber die Chancen erheblich steigert, einen zu finden. In Altbaugebieten ohne eine Parkraumbewirtschaftung ist die Stellplatznot so groß, dass jede nicht eingezäunte Brache innerhalb kürzester Zeit als Pkw-Abstellplatz zweckentfremdet wird – illegal oder mit offizieller Genehmigung des Bezirksamtes, wie in der Pappelallee oder in der Lychener Straße in Prenzlauer Berg.
Umstrittene Tiefgaragen
Von dem damit verbundenen Verlust an Lebensqualität sind alle betroffen. Jede Remise im Hof, die als Garage vermietet wird, bedeutet für die Anwohner Lärm. Jede Freifläche, die von Autos zugeparkt ist, steht den Bürgern nicht mehr für Gemeinschaftsaktivitäten zur Verfügung. Bestes Beispiel: das Bötzowviertel in Prenzlauer Berg, bekanntlich die Kinderhochburg Berlins. Viele der zahlreichen zugezogenen Familien besitzen ein Auto. Geparkt wird, wo immer sich ein Plätzchen findet. Die Folge: Selbst die Gehwege sind zugestellt, für Eltern mit Kinderwagen wird jeder Spaziergang zum Hindernislauf. Als familienfreundlich kann ein solches Viertel wohl kaum gelten. „Die Leute sind sehr widersprüchlich, auf der einen Seite leiden sie unter dem Verlust an Wohnqualität, auf der anderen Seite wollen sie nicht aufs Auto verzichten“, meint Markus Heller. Der Architekt ist einer der Hauptinitiatoren für ein autofreies Viertel in Berlin. „Es wird immer so getan, als ob der Normalfall der autobesitzende Haushalt ist. Für den wird geplant und gebaut – dabei hat die Hälfte aller Berliner gar kein Auto“, kritisiert Heller. Tatsächlich entstanden im Wohnungsbau der 50er, 60er und 70er Jahre einige „städtebauliche Katastrophen“ aus der Idee einer autogerechten Stadt. Man denke nur an die High-Deck-Siedlung in Neukölln. Die monotonen Straßenebenen sind von Stellplätzen dominiert – ein wenig einladender Ort für ein Schwätzchen unter Nachbarn. Aber auch spätere Neubauvorhaben wie Karow-Nord oder die Rummelsburger Bucht bieten meist phantasielose Standardstellplätze oder Tiefgaragen. Allerdings sah die Berliner Bauordnung bis 1997 eine Stellplatzverordnung vor, das heißt, bei jedem Neubau musste eine bestimmte Anzahl von Parkplätzen geschaffen werden. Deren ersatzlose Streichung hatte nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung keine umwelt- oder verkehrspolitischen Gründe, sondern sollte zur Entbürokratisierung beitragen. Viele Investoren führen Vermarktungsprobleme an, wenn nicht mindestens ein, möglichst sogar zwei Stellplätze pro Wohnung angeboten werden. Auch bei der Baugruppe „Groth + Graalfs“ sah man das noch vor zehn Jahren so. Mittlerweile urteilt man differenzierter: „Es kommt auf die Lage an und auf das Klientel, für das gebaut wird“, sagt Rainer Kieschke von der Geschäftsführung des Bauunternehmens. Bei einem Neubau direkt neben der CDU-Zentrale seien die angebotenen Stellplätze nicht nachgefragt worden. „Die Mieter waren Geschäftsleute, die hier nur ihre Zweitwohnung haben und in Berlin mit dem Taxi unterwegs sind“, so Kieschke. Beim Kirchsteigfeld in Potsdam baute man dagegen einen Stellplatz pro Wohnung. Allerdings fand man eine architektonisch elegante Lösung. Die Stellplätze entstanden – anstelle von schwer vermietbaren Parterrewohnungen – in den Erdgeschosszonen der Häuser.
Im Altbau hat man dagegen nur die Möglichkeit, die Autos unter die Erde zu verlegen, wie zum Beispiel bei den Kreuzberger Paul-Lincke-Höfen. Auch in Mitte und Prenzlauer Berg werden zunehmend Tiefgaragen unter Gründerzeitgebäuden errichtet. Markus Heller hält von diesem Trend nichts: „Das ist extrem teuer“, meint der Architekt. Viele Anwohner begrüßen trotzdem den Bau der Tiefgaragen. Immerhin vermindern sie die Lärmbelästigung und die Wohnviertel sind wenigstens optisch autofrei.
Bislang zeigt die Wohnungswirtschaft wenig Interesse, die Mobilität ihrer Mieter auf andere Weise zu unterstützen als Stellplätze anzubieten. Dabei belegen Umfragen immer wieder, dass die Menschen weniger autofixiert sind als vielfach angenommen. Bei einer Umfrage des Umweltbundesamtes von 2004 gaben 37 Prozent an, sie fänden es schön, in einer Siedlung zu wohnen, wo außerhalb geparkt werden muss. Besonders junge Familien finden diese Vorstellung attraktiv.
Neue Idee sind gefragt
Es muss freilich nicht immer die komplett autofreie Siedlung sein. Der Verkehr in der Stadt wird auch zurückgedrängt, wenn nicht für jeden Weg das Auto genommen wird. Auch Vermieter können ihren Teil dazu leisten. Beim Dortmunder Informationsnetzwerk „Wohnen und Mobilität“ koordiniert man bundesweit Projekte, in denen Wohnungsunternehmen ihren Mietern Mobilitätsdienstleistungen anbieten. „Das ist ein neues, noch wenig entwickeltes Servicefeld der Wohnungswirtschaft“, sagt Ulrike Reutter vom Netzwerk, das zum Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW) gehört. „Für die Wohnungsunternehmen ist das eine gute Möglichkeit sich zu profilieren und ihr Kernprodukt, die Wohnung, aufzuwerten“, so Reutter. Mittlerweile gibt es im gesamten Bundesgebiet ermunternde Beispiele. Die meisten sind jedoch erst in der Erprobungsphase. In Berlin hat sich hier schon früh die Wohnungsbaugesellschaft GSW hervorgetan – allerdings bisher mit bescheidenem Erfolg. Das 1998 eingeführte Mieterticket, mit dem Mieter der GSW um fünf Prozent billiger mit der BVG fahren konnten, wurde 2003 wegen rechtlicher Bedenken wieder abgeschafft. Das Ticket war nicht personengebunden und konnte daher auch an Nicht-GSW-Mieter weitergegeben werden. Auch das Car-Sharing-Projekt, eine Kooperation mit „StattAuto“, läuft bislang schleppend. Mieter der GSW erhalten bei StattAuto besonders günstige Konditionen. Warum das Angebot so schlecht ankommt, kann man weder bei der GSW noch bei StattAuto sagen. „Wir halten das Konzept für gut und wollen das jetzt wieder verstärkt bewerben“, sagt Anja Blaschke von der GSW. Besonders für Stadtviertel mit schlechter Verkehrsanbindung sei das ein interessantes Angebot. Trotzdem werden die eingerichteten Stationen, zum Beispiel im Wohngebiet Pulvermühle/Spandau oder in der Thermometersiedlung nicht gut angenommen. „Dabei ist Car-Sharing gerade für Haushalte, die sich kein Auto leisten können, eine prima Sache“, meint Blaschke.
Gut gedacht und schlecht gelöst
Möglicherweise liegt die mangelnde Akzeptanz auch daran, dass das Auto für viele Menschen mehr ist als nur ein Fortbewegungsmittel. Es bedeutet ein Stück Freiheit, sich jederzeit ins Auto setzen zu können – und zwar in ein Fahrzeug, dass man sich individuell gestalten kann.
Viele Menschen legen denn auch eine bemerkenswerte Widersprüchlichkeit an den Tag, wenn es um ihr liebstes Spielzeug geht. So spricht sich in der erwähnten Studie des Umweltbundesamtes zwar eine deutliche Mehrheit für Maßnahmen aus, die auf eine Zurückdrängung des Autoverkehrs abzielen, wie beispielsweise die Sperrung der Innenstadt für Pkws. Gleichzeitig hat das Auto seinen Vorsprung als meist genutztes Verkehrsmittel im Nahverkehr weiter ausgebaut. Offenbar klaffen also theoretisches Umweltbewusstsein und gelebtes Verhalten weit auseinander.
Doch wie würde Berlin aussehen, wenn nicht 49, sondern 60 oder 70 Prozent der Haushalte ein Auto hätten? Und wie würden unsere Stadtteile aussehen, wenn zu jeder Wohnung ein oder gar zwei Stellplätze gehören würden?
Birgit Leiß
* Name von der Redaktion geändert
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07.10.2018