Seit über zehn Jahren versucht die Eigentümerin „Dibag“ das Wohngebäude am Lützowplatz 2-18 abzureißen, doch bisher konnten die Mieter alle Kündigungen und Räumungsklagen vor Gericht abwehren. Im Oktober 2011 wendete sich das Blatt gegen die noch verbliebenen zehn Mieter, nachdem die Zuständigkeit an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin gewechselt hatte. Der Richter signalisierte nun deutlich, dass er den Räumungsklagen der Eigentümerin stattgeben werde.
Die „Dibag Industriebau AG“ hat keine Kosten gescheut, den angeblich „bauphysikalisch völlig desolaten“ Zustand des 1983 fertiggestellten Gebäudes zu beweisen. Renommierte Bausachverständige bescheinigten der Eigentümerin, dass die Sanierung teurer als der Abriss und der anschließende Neubau sei. Allein auf dieses Partei-Gutachten stützt sich das Landgericht. Die seit 2006 mit derselben Begründung ausgesprochenen Kündigungen wurden zwar noch alle zurückgewiesen, eine andere Kammer desselben Gerichts urteilt nun aber völlig entgegengesetzt und rät den Mietern, einen Vergleich einzugehen.
„Die Ausgangslage hat sich in keiner Weise geändert“, sagt Imke Oevermann, die als Rechtsberaterin des Berliner Mietervereins eine Mieterin betreut. „Das versteht kein Mensch.“
Alexander Ziemann, der drei Mietparteien als Rechtsanwalt vertreten hat, erbittert besonders, dass das Gericht als Gegengutachten nur einen ebenso aufwendigen Sachverständigenbericht gelten lassen wollte. „Mieter können nicht 20.000 oder 30.000 Euro für ein Gutachten ausgeben“, so Ziemann. „Das läuft auf ein Zwei-Klassen-Rechtssystem hinaus.“
Abrisskündigungen hatten bisher nur bei nahezu vollständigem Leerstand, unrettbarer Bausubstanz oder unvermietbaren, nicht zu ändernden Wohnungsgrundrissen vor Gericht Bestand. Am Lützowplatz trifft nichts davon zu. Die vorhandenen Setzungsrisse sind reparierbar, die großzügigen Wohnungen wären mit ihren zum grünen Innenbereich gelegenen Terrassen problemlos vermietbar. Die ursprünglich 84 Wohnungen umfassende Anlage wurde vom Architekten Oswald Mathias Ungers im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in den 80er Jahren gebaut.
Die Dibag, seit 1998 Eigentümerin der Wohnanlage, stellte bereits im März 2001 einen Abrissantrag. Freiwerdende Wohnungen wurden ab 1999 nicht mehr vermietet, wie die Bewohner beobachtet haben. Die als Begründung benannten Baumängel hielten die Mieter schon damals für vorgeschoben. Später wurden die Pläne der Eigentümerin für ein Ensemble aus einem Hotel, Büros und hochwertigen Wohnungen bekannt. An diesem zentralen Standort in Tiergarten-Nähe, der inzwischen von Botschaften, Partei- und Verbandszentralen und Luxuswohnanlagen geprägt ist, verspricht das eine weitaus größere Rendite.
Im Herbst 2001 waren noch 66 Wohnungen bewohnt, nach den ersten Kündigungen zogen etwa 25 Mietparteien aus, jetzt sind nur noch zehn da. 2009 wurde die hintere Häuserzeile abgerissen. Einige der verbliebenen Mieter haben jedoch noch nicht aufgegeben und angekündigt, sie würden auch in eine Revision gehen.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/12
Die „Ungers“-Häuser am Lützowplatz wären problemlos vermietbar – und sollen doch abgerissen werden
Foto: Sabine Münch
31.03.2013