Der Bebauungsplan am Alexanderplatz setzt auf Geschäfte, Hotels und Büros. Das Wohnen wird zur Randerscheinung. Und für die verbliebenen rund 900 Mieter und Anwohner im Quartier Moll-/Otto-Braun-Straße wird es eng: Ein ganzer Straßenzug wird zum Hinterhof – zum zentralsten der Hauptstadt.
Fast 20 Jahre ist es her, dass die Architekten Hans Kollhoff und Helga Timmermann den Wettbewerb zum Umbau des Alexanderplatzes gewonnen haben. Aus dem Masterplan ist zu ihrem Verdruss nichts geworden. Vor allem für die vorgesehenen 13 bis zu 150 Meter hohen Büro- und Geschäftsgebäude fanden sich nie Investoren. Nun überraschte der texanische Investor „Hines Interests Limited Partnership“ im September letzten Jahres mit der Ankündigung, den ersten „Wolkenkratzer“ am Alex als Wohnturm bauen zu wollen.
Rund 400 Appartements sollen entstehen, bis hinauf in 150 Meter Höhe. Zwischen 40 und 400 Quadratmeter Wohnfläche haben die City-Appartements und Luxuswohnungen. Und Hines hat es offenbar eilig: Ein beschleunigtes Genehmigungsverfahren gab Anliegern nur kurze Zeit, um Einsprüche vorzubringen. Das vom Senat verkündete Wohnungsneubauziel bringt offenbar Tempo in die Verwaltung.
Wird vom Alexanderplatz gesprochen, dann ist nicht nur die Freifläche zwischen Weltzeituhr und Kaufhof gemeint. Das Plangebiet reicht von der Otto-Braun- bis zur Karl-Liebknecht-Straße und vom S-Bahnhof bis hinauf zur Mollstraße. Und dort gibt es auch einen einzigen Häuserblock, der 408 Wohnungen umfasst, in früheren Planungen aber völlig unberücksichtigt blieb.
Ein Großteil der Bewohner lebt hier seit Fertigstellung vor 42 Jahren. Ab Mitte der 90er Jahre wurde den Bewohnern vom Eigentümer, der Wohnungsbaugesellschaft WBM, der Kauf ihrer eigenen Wohnung angeboten. Mündliche Zusage: In den nächsten 40 Jahren würde an dieser Stelle nichts gebaut werden. Rund die Hälfte der Mieter machte Gebrauch von der Offerte.
So war das Entsetzen auch entsprechend groß, als die Bewohner 2010 eher zufällig den Stadtentwicklungsplan in die Hände bekamen: Der schematische Aufriss zeigt einen klammerartigen Neubau, der ihre gesamte Ostfassade umschließt, verdeckt und überragt.
Detlef Wolf, seit 20 Jahren im Viertel und seit vier Jahren im Karree wohnhaft, zeigt auf die Hausecke im ersten Stock, wo seine Wohnung liegt. „Nur 80 Zentimeter von meinem Küchenfenster entfernt geht dann die Wand zwölf Etagen in die Höhe,“ klagt der Mieter, „dann sehe ich überhaupt nichts mehr.“ Im März 2011 begannen die Anlieger, sich gemeinsam zu wehren. Als Bürgerinitiative „Die Hinterhofverhinderer am Alex“ machen sie mit fassadenfüllenden Transparenten, Aktionen und Schreiben auf ihre Situation aufmerksam.
„Vergessene“ Bewohner
„Der Eigentümer vermietet schon die Flächen – und wir erfahren von nichts. Das kann doch nicht sein!“, empört sich Initiativen-Sprecherin Ingeburg Musil. Und Michael Müller (SPD), Senator für Stadtentwicklung, scheint in die Fußstapfen seiner Vorgängerin zu treten – er ließ ein für den 6. Januar anberaumtes Treffen mit der Anwohnerinitiative kurzfristig platzen.
Zwar hat es Gespräche mit dem Investor und Zusagen zu Änderungen des Bauvorhabens gegeben, doch das Hauptziel der Initiative, die Verhinderung des Hotelneubaus, sei nicht erreicht, resümiert Bewohnerin Musil. Auf Initiative der Anwohner hin befasste sich Ende Oktober 2011 der Rat für Stadtentwicklung mit den Plänen – und fordert die Senatsverwaltung auf, „die städtebauliche Situation an dieser Stelle neu zu denken.“
Drastischer formuliert es Architekt Kollhoff: „Bevor Investoren die Stadt ruinieren, sollte Berlin lieber eine Denkpause einlegen.“ Vielleicht hat der Senator ja den Termin mit den Anwohnern abgesagt, um Zeit zum Denken zu haben.
Holger Klemm
MieterMagazin 1+2/12
Die „Hinterhofverhinderer“ haben die Hoffnung nicht aufgegeben: Der neue Senator soll nachdenken
Foto: Christian Muhrbeck
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Moderne Zeiten – immer wieder
Den ersten großen Entwurf für den Alex plante Baustadtrat Martin Wagner zusammen mit dem damaligen Verkehrsstadtrat Ernst Reuter in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts: Der Platz sollte zu einem Kreisverkehr mit 100 Metern Durchmesser werden, die umliegende Bebauung einheitlich und sieben- oder achtgeschossig sein. Nach einer Ausschreibung wurden letztendlich die Entwürfe des zweitplatzierten Peter Behrens gekürt. Mit dem Berolina- und dem Alexanderhaus wurden aber bis zur Weltwirtschaftskrise nur zwei Gebäude des Entwurfes fertiggestellt.
Der Zweite Weltkrieg brachte dem Alex enorme Wunden bei. 1964 gab der Ost-Berliner Magistrat dem Platz eine im Wesentlichen noch heute sichtbare Gestalt. Der Alex wurde auf die mehr als vierfache Fläche erweitert, die Straßen um den Platz herumgeführt, die Straßenbahn umgeleitet.
1993 gewannen Hans Kollhoff und Helga Timmermann den vom Berliner Senat ausgeschriebenen städtebaulichen Ideenwettbewerb. Ihr Entwurf lehnt sich an Behrens an.
hk
31.03.2013