Die Briefe mit den schlechten Nachrichten breiten sich im Berliner Stadtgebiet aus. In der Charlottenburger Gardes-Du-Corps-Straße erhielten vergangenes Jahr Bewohner von Sozialbauten eine Mieterhöhung auf 11 Euro kalt pro Quadratmeter. In der Weddinger Koloniestraße sollten sogar 15 Euro bezahlt werden. Seit der Senat die Anschlussförderung eingestellt hat, dürfen Vermieter die Mieten bestimmter Sozialwohnungen bis zur sogenannten Kostenmiete anheben. Das müsste nicht sein. Die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart zeigt, dass es auch anders geht.
Ausgangspunkt des Stuttgarter Modells ist die Föderalismusreform von 2006. Damals erklärte die Bundesregierung, dass fortan die Länder selbst den Sozialen Wohnungsbau regeln sollen. Baden-Württemberg nutzte die neue Freiheit, um eine Mietobergrenze in geförderten Wohnungen festzulegen. In seinem 2007 beschlossenen Wohnraumförderungsgesetz legte das Land seine Kommunen darauf fest, die Sozialmiete auf „höchstens die ortsübliche Vergleichsmiete abzüglich eines im Förderprogramm festzulegenden Abschlags“ zu begrenzen.
Das Stuttgarter Kommunalparlament beschloss, die Miete seiner rund 11.000 Sozialwohnungen bei 90 Prozent der Miete einer vergleichbaren freifinanzierten Wohnung zu kappen. „Wir hatten schon früher an eine Kappungsgrenze gedacht, die unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen sollte“, sagt Siegfried Karrer, der damalige Leiter des Amtes für Liegenschaften und Wohnen in Stuttgart.
Bei Sozialwohnungen, deren Kostenmiete unter 90 Prozent einer vergleichbaren freifinanzierten Wohnung lag, wurde die bestehende Miete festgeschrieben. „Das Mietniveau sollte bleiben“, sagt Karrer rückblickend. Da das bundeseinheitliche Miethöhegesetz (MHG) die Erhöhungsmöglichkeiten einschränkt, kann es auch auf mittlere Sicht nicht zu solchen Mietsprüngen kommen, wie sie in Hunderten Berliner Sozialbauten nach Ablauf der Förderung eingetreten ist. Siegfried Karrer resümiert: „Meines Wissens musste bei uns niemand aus seiner Wohnung ausziehen“ – was Berliner Politiker nicht von ihren Sozialmietern behaupten können.
Für vier Prozent der Bewohner im Stuttgarter Sozialen Wohnungsbau gab es sogar eine positive Überraschung. Da bei ihnen die Kostenmiete über der ortsüblichen Vergleichsmiete lag, wurde ihr Mietpreis kurzerhand reduziert. Auch sie zahlen nur noch 90 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete.
Ein Modell für Berlin?
Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, fordert eine vergleichbare Regelung für die Bundeshauptstadt, um der Kostenexplosion Herr zu werden, wie sie in Sozialbauten bestimmter Förderjahrgänge stattfindet. Die Kostenmiete liegt in Berlin über der Vergleichsmiete – in Stuttgart liegt sie 22 Prozent darunter – doch im Gegensatz zu Baden-Württemberg sei sie auch „künstlich hochgerechnet“, so Wild. Die Stadtentwicklungsverwaltung, die das Phänomen als „historisch bedingt“ einstuft, winkt da ab: Das Stuttgarter Modell sei für die Bundeshauptstadt viel zu teuer: „Wenn wir die Sozialmieten bei 90 Prozent der Vergleichsmiete deckeln würden, müsste das Land Berlin jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag dafür aufbringen“, so Sprecherin Daniela Augenstein. Schließlich gäbe es in Berlin 150.000 Sozialwohnungen.
Die Kostenfrage will Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild nicht gelten lassen: „Eine Subventionierung der Sozialmieten ist immer noch billiger, als wenn das Land Berlin über Wohngeld und Arbeitslosengeld die Mieten finanzieren muss, weil kein Mensch sie mehr bezahlen kann.“
Wiebke Schönherr
MieterMagazin 5/12
Sozialmieten in Stuttgart sind gedeckelt: betroffenes Wohngebäude in der Altstadt (Brennerstraße)
Foto: Marcel Morschhauser
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Was ist die Kostenmiete?
Die Kostenmiete setzt sich aus Bau-, Finanzierungs- und Bewirtschaftungskosten zusammen. Sie ist im Sozialen Wohnungsbau Berlins sehr viel höher als in anderen Städten. Das liegt in erster Linie an der früheren West-Berliner Wohnungsbauförderung, die sich grundlegend von der in anderen Bundesländern unterschied. Während dort nur zinsgünstige Kredite, allenfalls noch Zuschüsse für den Sozialen Wohnungsbau ausgereicht wurden, hat die Berliner Politik ab den 70er Jahren sogenannte Aufwandshilfen gewährt. Damit gab es wenig Anreiz für private Bauherren, ebensowenig für städtische Unternehmen, kostenbewusst zu bauen, denn man konnte sich darauf verlassen, dass die Differenz zwischen Kostenmiete und Sozialmiete durch Mittel der öffentlichen Hand ausgeglichen wurde. Man ging vonseiten der Berliner Politik von der völlig unrealistischen Einschätzung aus, dass die Marktmieten relativ zügig die hohen Kostenmieten des Sozialen Wohnungsbaus überholen würden.
ws
13.06.2018