Frankreich hat gewählt. Mit dem sozialistischen Sieg könnten Europas Kernländer Frankreich und Deutschland an einer Stelle zusammenwachsen, die nur wenige Beobachter auf dem Schirm haben: im Mietrecht. Das ursprünglich sozialistische Vorhaben, das bei Erfolg auch Wirkung in Deutschland entfalten könnte, hat eine kuriose Vorgeschichte und bekam im Wahlkampf mit dem konservativen Ex-Präsidenten Sarkozy einen unerwarteten zweiten Adoptivvater.
Ende Januar 2012 hatte Sarkozy seinen sozialistischen Kontrahenten bei den Präsidentschaftswahlen, François Hollande, wegen eines Vorschlags zur Begrenzung von Mieten verspottet. So etwas habe schon in der Sowjetunion nicht funktioniert. Kurz darauf folgte ein Schwenk, den die französische Zeitung Le Monde als „spektakulär“ bezeichnete. In Deutschland – so Sarkozy – könnten Mieter sich gegen einen Eigentümer wehren, wenn der eine Miete verlange, die mehr als 20 Prozent über den örtlichen Marktmieten liege: „Das ist eine gute Idee, die ich aufgreifen und anwenden werde.“ Ähnlichkeiten mit den Vorschlägen seines Rivalen Hollande wurden durch Benoist Apparu, den seinerzeitigen Bauminister, vehement dementiert: Auf der einen Seite stehe der Sozialist Hollande, der die Mieten durch administrative Maßnahmen pauschal und kollektiv senken wolle, auf der anderen Seite der Staatschef, der „angeregt durch das deutsche Vorbild“ lediglich die rechtlichen Grundlagen zur Verhinderung von Missbrauch schaffen wolle. Der Sachgehalt dieser Gegenüberstellung war selbst für französische Fachleute schwer zu beurteilen, da er sowohl Detailkenntnisse des französischen Vorschlags wie seines deutschen Vorbilds unterstellt.
Tatsächlich hatte Hollande vor seiner Wahl zum Staatschef versprochen, dass es noch im ersten Jahr seiner Amtszeit ein Gesetz zur Mietbegrenzung („encadrement des loyers“) geben werde. Gelten solle es in Gebieten, in denen die Wohnungsmärkte angespannt sind. Dort werde es künftig untersagt, bei Wieder- und Neuvermietung Mieten zu verlangen, die mehr als 20 Prozent oberhalb des mittleren Werts der ortsüblichen Durchschnittsbeträge lägen. Worum es bei der geplanten Regelung geht, zeigt die französische Hauptstadt als Beispielfall. In Paris sind die Mieten bei Neuabschluss und Wiedervermietung allein im Jahr 2010 um rund 9 Prozent gestiegen, während sie in laufenden Mietverhältnissen nur um 0,5 Prozent nach oben gegangen sind.
Nur keine zahnlosen Tiger mehr
Die Problemlage, das Auseinanderdriften von relativ gut geschützten Bestandsmieten und den Mieten, die bei Wiedervermietung und Erstbezug verlangt werden, ist in Deutschland nicht unbekannt. Auch die Begrifflichkeiten der „im Umfeld üblichen Durchschnittsbeträge“ erinnern nicht ganz zufällig an den Begriff der „ortsüblichen Vergleichsmiete“. Aber nicht nur Deutschland stand Pate für die Idee, sondern auch ein älteres Gesetz, das in Frankreich bereits 1989 geplant war. Es sah eine rechtliche Mietbegrenzung unter Einbeziehung der Wiedervermietungsmieten vor, verschwand aber aufgrund seiner zu „komplexen Anwendungsvoraussetzungen“ bald wieder in der politischen Versenkung.
Der Fall zeigt: Frankreich und Deutschland teilen nicht nur wohnungspolitische Problemlagen, sie haben auch mit der Umsetzung wirksamer Mietbegrenzung ihre liebe Not. Die von Sarkozy als Vorbild zitierte Regelung zur Verhinderung von Marktmissbrauch bei Neuabschlussmieten ist aufgrund der Rechtsprechungspraxis nicht anwendbar. Man kann nur hoffen, dass die Franzosen aus ihren Fehlern Ende der 80er Jahre lernen und eine bessere Regelung zustande bringen als Deutschland.
ah
MieterMagazin 7+8/12
Mit Paris verbinden Berlin die hohen Mieten bei Neuvertragsabschlüssen
Foto: Wikipedia/Armin Hornung
Zum Thema
Grüne Bauministerin in Frankreich
Eine der Beauftragten zur Umsetzung des Mieterschutzprojekts in Frankreich ist die vormalige Chefin der französischen Grünen, Cécile Duflot. Sie leitet nun das „Ministère de l’Égalité des Territoires et du Logement“, das auch für den Wohnungsbau zuständig ist. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts und der Präsidialdemokratie in Frankreich ist es üblich, dass man mit den Parteiführungen der kleineren und im ersten Wahlgang unterlegenen Parteien Verhandlungen zur zweiten Stichwahl führt. Empfiehlt diese Partei – hier die Grünen – ihren Wählern die Unterstützung einer großen Partei, kann sie im Gegenzug für ihre Hilfe manchmal – wie hier geschehen – einen Posten im Kabinett bekommen.
Mit dem neuen Ministerium werden drei Vorhaben, die im Wahlkampf eine große Rolle spielten, miteinander verbunden: Mieterschutz, die Stärkung der dezentralen Verwaltungen und Behörden gegenüber der Pariser Zentralregierung und der Wohnungsbau. Drei dicke Bretter, die es zu bohren gilt. Bon courage Cécile!
ah
30.03.2013