Mit 30.000 neu zu bauenden Wohnungen will der Berliner Senat Druck vom Wohnungsmarkt nehmen und den rasanten Mietenanstieg dämpfen. Doch die Vergabe von verbilligten Wohnungsbaugrundstücken aus dem Landesbesitz stockt, denn es ist nicht festgelegt, wer zu welchen Bedingungen preisreduziertes Bauland erhalten soll. Deshalb wies Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) im März den Liegenschaftsfonds an, bis auf Weiteres keine Grundstücke mehr ohne Bieterverfahren unter Wert abzugeben. Damit brüskierte er den Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD), der den Wohnungsneubau zum zentralen Punkt seiner Wohnungspolitik erklärt hat.
Mit der verbilligten Vergabe landeseigener Grundstücke will der rot-schwarze Senat Anreize für einen preisgünstigen Wohnungsneubau setzen. Um den Berliner Wohnungsmarkt zu entspannen, sollen jedes Jahr im Schnitt 6000 Wohnungen neu gebaut werden.
Der aktuelle Konflikt zwischen Stadtentwicklungssenator Müller und Finanzsenator Nußbaum ist schon in der Koalitionsvereinbarung angelegt. Darin heißt es: „Zur Förderung des Neubaus von Wohnungen wird der Senat auch das Instrument der kostenlosen oder ermäßigten Grundstücksvergabe nutzen.“ Zwei Sätze weiter folgt das große Aber: „Dabei werden wir jedoch Belastungen für den Haushalt vermeiden.“ Jetzt, wo es an die Umsetzung geht, wird der Rechenstift gespitzt. Der Finanzsenator befürchtet Einnahmeverluste in zweistelliger Millionenhöhe.
Direktvergaben zu vergünstigten Preisen hat es bisher schon in gar nicht so seltenen Ausnahmefällen gegeben, um kultur- oder wirtschaftspolitische Ziele zu erreichen. Auf diese Weise wurde zum Beispiel der Umzug des Suhrkamp-Verlages nach Berlin subventioniert, und auch das Jüdische Museum hat die alte Blumengroßmarkthalle zum ermäßigten Preis erhalten. Solche Vergaben ohne Bieterverfahren beschließt ein Steuerungsausschuss, dessen Entscheidungen für die Öffentlichkeit kaum durchschaubar sind.
Finanzsenator fordert Kostenneutralität
Der Finanzsenator stoppte im März vorerst alle laufenden Verfahren dieser Direktvergabe. Zwar sollen auch weiterhin Grundstücke in besonderen Fällen ohne Ausschreibung vergeben werden, jedoch mit transparenteren Regeln. Außerdem forderte Nußbaum, dass die jeweils zuständige Behörde für die Mindereinnahmen einsteht. Wenn also die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung möchte, dass landeseigene Wohnungsbaugrundstücke billiger verkauft werden, soll sie die Differenz aus ihrem Etat bestreiten.
Nußbaums Entscheidung gehe „völlig an den stadtpolitischen Erfordernissen vorbei“, kritisiert Katrin Lompscher, wohnungspolitische Sprecherin der Linken. Die vergünstigte Grundstücksvergabe müsse nach Kriterien erfolgen, „die für die Stadt einen Mehrwert bringen“, fordert die Ex-Senatorin. Dazu gehöre ein festgelegter Anteil von Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen. „Einen nachvollziehbaren Kriterienkatalog hätte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt längst erstellen können“, so Lompscher.
Bisher gibt es dazu nur die unverbindliche Absichtserklärung aus der Koalitionsvereinbarung, dass Wohnungen „dauerhaft günstig vermietet“ werden sollen.
Der vom Senat angekündigte Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen verspricht auch keine schnelle Lösung. Im StEP Wohnen werden die grundlegenden wohnungspolitischen Ziele und Maßnahmen festgelegt. Michael Müller erwartet eine Bearbeitungszeit von 18 bis 24 Monaten. Vor Sommer 2013 ist also mit einer konkreten Gesamtstrategie für die Berliner Wohnungspolitik nicht zu rechnen.
In diesem Jahr bringt der Liegenschaftsfonds 50 Grundstücke auf den Markt, die für den Bau von Geschosswohnungen geeignet sind. Insgesamt könnten hier rund 1875 Wohnungen gebaut werden. Im Jahr 2013 will der Fonds weitere Grundstücke anbieten, auf denen 1160 Geschosswohnungen entstehen könnten.
Die Investitionsbank Berlin (IBB) stellte in ihrem Wohnungsmarktbericht 2011 fest, dass die vom Senat angepeilten 6000 Neubauwohnungen pro Jahr nicht ausreichen. Es seien jährlich 10 000 neue Wohnungen notwendig, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden.
Allein durch die zahlenmäßige Ausweitung des Wohnungsangebots kann nur wenig Druck vom Markt genommen werden. Das Angebot bleibt im unteren Marktsegment der billigen Wohnungen, wo der größte Mangel herrscht, weiter knapp. Auch der oft genannte „Sickereffekt“ funktioniert in der Praxis nur sehr eingeschränkt. Der Theorie zufolge machen diejenigen, die in den teuren Neubau ziehen, günstigeren Wohnraum frei, der dann denjenigen mit geringerem Einkommen zur Verfügung steht. Tatsächlich kann aber der Vermieter der freigewordenen Wohnung bei der Neuvermietung die Miete beliebig hoch ansetzen, was vor allem auf dem angespannten Wohnungsmarkt der innerstädtischen Bezirke auch gängige Praxis ist.
Wenig Einfluss auf Miethöhe
Der Berliner Mieterverein (BMV) warnt deshalb davor, die Wohnungspolitik zu sehr auf den Neubau zu konzentrieren. „Auch bei reduzierten Grundstückspreisen darf man sich nicht zu große Hoffnungen auf die Senkung der Mieten machen“, erklärt Wibke Werner von der BMV-Geschäftsführung: „Das hat keinen wesentlichen Effekt auf die Miethöhen.“ Bei einem Neubau, der auf einem zum halben Preis abgegebenen landeseigenen Grundstück gebaut wird, reduziert sich die monatliche Nettokaltmiete gerade einmal um einen Euro pro Quadratmeter.
Das zeigt, dass man ohne weitere Förderung keine wirklich preisgünstigen Neubauwohnungen herstellen kann. Die Städte München und Hamburg setzen dazu selbstverständlich Fördermittel ein (siehe Kästen). In Berlin steht derlei nicht zur Debatte – nicht nur weil die Hauptstadt finanziell viel schlechter dasteht, sondern auch aus ideologischen Gründen: Mit dem Verweis auf das Kostendesaster im früheren Sozialen Wohnungsbau hat der Senat die Frage einer wie auch immer gearteten neuen Wohnungsbauförderung bisher rigoros vom Tisch gefegt.
Klar ist aber: Zum Nulltarif wird es keine mietpreisdämpfende Wohnungspolitik geben.
Jens Sethmann
„Keine Stadt tut so viel wie München, um preiswerten Wohnraum zu erhalten, städtischen Wohnungsbestand auszuweiten und vor allem den Neubau anzukurbeln“, erklärt Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) selbstbewusst. Die Münchner Ansätze sind in der Tat richtungweisend. Seit 1990 verfolgt die Stadt das wohnungspolitische Handlungsprogramm „Wohnen in München“, das nun zum fünften Mal für den Zeitraum bis 2016 fortgeschrieben wurde. München will jährlich für 3500 Wohnungen Baurecht schaffen und 1800 geförderte Wohnungen bauen. Für die untersten Einkommensgruppen sollen 900 Wohnungen entstehen, darunter 200 für besonders Benachteiligte. Für das Programm setzt die Stadt jährlich 160 Millionen Euro an Fördermitteln ein.
Die Bayernmetropole stellt für den geförderten Wohnungsbau nicht nur kommunalen Boden zur Verfügung, sie kauft auch selbst Grundstücke an. Die „sozialgerechte Bodennutzung“ sorgt dafür, dass in jedem Neubaugebiet 30 Prozent geförderte Wohnungen entstehen. Aus dem Wohnungsbestand kauft das Sozialreferat auch Belegungsrechte, um preisgünstigen Wohnraum für einkommensschwache Haushalte zu sichern.
js
Der Hamburger SPD-Senat hat das Ziel ausgegeben, jährlich 6000 Wohnungen neu zu bauen, und dazu im Juli 2011 mit den Bezirken den „Vertrag für Hamburg“ geschlossen. 30 Prozent der neuen Mietwohnungen sollen öffentlich gefördert werden und Haushalten mit mittlerem und geringem Einkommen zur Verfügung stehen. Die Stadt wendet dafür rund 190 Millionen Euro im Jahr auf. Der Senat der Hansestadt will zudem geeignete städtische Flächen bereitstellen sowie die kommunale Wohnungsbaugesellschaft SAGA GWG zum Bau von jährlich 1000 Wohnungen verpflichten. Die Opposition fordert angesichts des äußerst angespannten Hamburger Wohnungsmarktes, dass für die Hälfte der Neubauwohnungen Sozialbindungen gelten sollen. Unmut gibt es in den Bezirken, in deren Kompetenzen eingegriffen wird: Der Senat gibt jedem Bezirk die Anzahl der zu genehmigenden Wohnungen vor.
js
MieterMagazin 5/12
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Der Liegenschaftsfonds betreibt den Verkauf landeseigener Grundstücke und Immobilienobjekte
4 von 50 – für den Wohnungsbau geeignete berlineigene Grundstücke, die zum Verkauf stehen:
Bernhard-Bästlein-Straße 58
Schlossallee 4
Gottlieb-Dunkel-Straße 68
Franz-Jacob-Straße
alle Fotos: Christian Muhrbeck
30.03.2013