Das „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ 2010 zeigt nur minimale Abweichungen zu den Vorjahren. Ob damit nun das soziale Auseinanderdriften Berlins aufgehalten worden ist oder sich die Kluft in der Gesellschaft verfestigt hat, ist Auslegungssache.
„Erfreuliche Botschaft auch in diesem Jahr ist, dass die sozial problematischen Gebiete sich nicht von der gesamtstädtischen Entwicklung abgekoppelt haben“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer. Besonders erfreulich sei, dass dort die Jugendarbeitslosigkeit stärker abgenommen hat als im Berliner Schnitt. Dagegen ist der Anteil der Kinder, die in Armut aufwachsen, in den schwierigsten Gebieten noch angestiegen.
Es sind über die Jahre gesehen dieselben Stadtteile, die unter einer sozialen Schieflage leiden. Ob ein Stadtviertel von 2008 auf 2009 in der Rangliste um ein paar Plätze nach oben oder unten rutscht, hängt derweil von Kleinigkeiten und Zufällen ab. Wenn zum Beispiel eine große Wohnanlage umfassend saniert wird, müssen viele Bewohner vorübergehend ausziehen – was den Entwicklungsindex des betreffenden Gebietes im Monitoring abstürzen lässt. Andererseits befinden sich Wohngebiete wie der Alte Schlachthof oder Biesdorf-Süd, die sich im Aufbau befinden, vor allem deshalb auf den Spitzenplätzen, weil es hier naturgemäß einen starken Zuzug gibt. Das bedeutet noch lange nicht, dass die soziale Situation der dortigen Reihenhausbewohner besser ist als die der Villenbesitzer in Grunewald.
Wenig nachhaltige Veränderung
Im Verlauf des letzten Jahrzehnts hat sich die Lage im Grundsatz wenig verändert. Schon im Monitoring 2000 wurden dieselben problematischen Stadtviertel identifiziert: die West-Berliner Altbaubereiche von Nord-Neukölln, Kreuzberg und Wedding. Dazu sah man auch damals schon die negativen Tendenzen der West-Berliner Sozialbau-Großsiedlungen und der Ost-Berliner Plattenbaukomplexe am Stadtrand.
Die Entwicklung der einzelnen Kieze ist nur ungenau nachvollziehbar, weil den Studien von 2000 und 2010 verschiedene Gebietszuschnitte zugrunde lagen und andere Daten verwendet wurden. Eine nachhaltige Veränderung ist nur bei wenigen Gebieten zu erkennen.
Deutlich abgestiegen sind die Spandauer Altbauviertel Neustadt und Wilhelmstadt, wo man vor zehn Jahren noch keinerlei Handlungsbedarf gesehen hat. Die Aufsteigergebiete unter den problematischsten Vierteln kann man an einer Hand abzählen. Eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung ist im Kreuzberger Wrangelkiez und im Neuköllner Reuterkiez zu erkennen – zwei Gebiete, die „trendy“ geworden sind und mittlerweile auch als Wohnadresse gefragt sind. Auch in Schöneberg-Nord scheint sich der positive Trend fortzusetzen. Wie weit diese Entwicklung auf die Arbeit der Quartiersmanager zurückzuführen ist, lässt sich nicht seriös beantworten.
Die Berliner FDP attestiert dem Quartiersmanagement jedenfalls eine „offensichtliche Wirkungslosigkeit“. Auch die CDU ist der Meinung, dass sich die sozialen Unterschiede „weiter verfestigt“ hätten und fordert vom Senat eine „abgestimmte Sozialplanung“. „Die Ergebnisse des Sozialmonitorings sind nicht ganz so rosig, wie von Frau Junge-Reyer dargestellt“, meint auch Franziska Eichstädt-Bohlig von den Grünen. Sie fordert, das Programm Soziale Stadt „konsequent ressortübergreifend“ zu gestalten. Die fünf großflächigen „Aktionsräume plus“, die der Senat vor einem Jahr als Reaktion auf das letzte Monitoring angekündigt hat, sind auch heute noch kaum mehr als Konzepte auf dem Papier. „Das Monitoring 2010 zeigt, dass wir die richtigen Gebiete ausgewählt haben, um mit Quartiersverfahren benachteiligte Kieze zu stärken“, sagt dazu Senatorin Junge-Reyer im nahezu identischen Wortlaut wie im Jahr zuvor.
Jens Sethmann
MieterMagazin 3/11
Die Aufsteiger-Quartiere kann man an einer Hand abzählen: Kreuzberger Wrangel-Kiez
Foto: Christian Muhrbeck
Kurzfassung des Monitorings im Internet unter:
www.stadtentwicklung.berlin.de/
planen/basisdaten_stadtentwicklung/
monitoring/
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447 Quartiere unter der Lupe
Das Monitoring Soziale Stadtentwicklung wird seit 1999 erstellt, seit 2007 im jährlichen Abstand. In der umfangreichen soziologischen Untersuchung werden Daten wie Arbeitslosigkeit, Kinderarmut, der Anteil junger Migranten und Umzugsbewegungen erfasst. Für jeden der 447 Planungsräume wird so die künftige Entwicklung der Sozialstruktur vorhergesagt. Die jährliche Erhebung soll als „Frühwarnsystem“ dienen. Das jetzt vorgelegte Monitoring 2010 beruht allerdings auf Daten, die schon über ein Jahr alt sind (Stand 31. Dezember 2009). Auf Grundlage der Studie entscheidet der Senat, welche Quartiere gefördert werden.
js
03.04.2013