Aus Gebäuden des Sozialen Wohnungsbaus, die keine Anschlussförderung erhalten haben, werden immer mehr Fälle bekannt, in denen die Sozialmieter mit astronomischen Mietforderungen zum Auszug gezwungen werden. Der Senat schaut weiter tatenlos zu.
Mitte Februar gingen den Mietern der Kreuzberger Kochstraße 15-26 Mieterhöhungen um teilweise über 120 Prozent zu. Von mehreren Mietern wird ab dem 1. März die Kostenmiete von 14,11 Euro pro Quadratmeter nettokalt verlangt. Das bedeutet für manchen eine monatliche Mehrbelastung von 900 Euro. Die Hausverwaltung nennt das „lediglich eine moderate Mieterhöhung in Anlehnung an die Marktmiete“. Dabei haben Migrantenhaushalte offenbar gezielt drastischere Mieterhöhungen bekommen als deutsche.
Solche kurzfristigen exorbitanten Mietforderungen sind nur in Sozialbauten möglich, für die eine Anschlussförderung staatlicherseits verweigert wurde. Mit der Forderung der Kostenmiete können „unerwünschte“ Sozialmieter schnell und einfach vertrieben werden. Nachdem der Senat 2003 die Anschlussförderung für 28000 Wohnungen gestrichen hatte, wurde versäumt, die Mieter vor den Folgen zu schützen. Auch hielt er die bisherigen Vorgänge im Kreuzberger Fanny-Hensel-Kiez und in der Schöneberger Akazienstraße für Einzelfälle. Doch es werden immer mehr Fälle bekannt, in denen die Eigentümer, die solche Wohnanlagen meist erst vor Kurzem aus Insolvenzen heraus erworben haben, mit Mieterhöhungen eine knallharte Mietervertreibung verfolgen. Den traurigen Spitzenplatz nimmt eine Wohnanlage in der Weddinger Koloniestraße ein, wo 15,66 Euro pro Quadratmeter verlangt werden.
„Der Berliner Senat sieht der Mieterhöhungswelle und der Mietervertreibung im Sozialen Wohnungsbau tatenlos zu“, erklärt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Seit der Föderalismusreform hat der Senat die Möglichkeit, die Mietengestaltung im Sozialen Wohnungsbau zu beeinflussen – die er bis heute nicht nutzt. Er weigert sich sogar immer noch, die Härtefallregeln zur Gewährung eines Mietausgleichs so zu ändern, dass zumindest die gröbsten Härten vermieden werden und die Mieter genug Zeit für die Suche einer Ersatzwohnung bekommen. „Zynisch“ nennt Reiner Wild das Verhalten des Senats. Für ihn ist der Vorgang eine Fortsetzung des Finanzierungsskandals um den Sozialen Wohnungsbau seit 1972. „Mit Milliarden-Beträgen öffentlicher Fördermittel wurden Sozialwohnungen errichtet, die kaum mehr als 15 Jahre für Haushalte mit niedrigen und durchschnittlichen Einkommen zur Verfügung standen“, so Wild. Nun würden findige Investoren ein weiteres Mal Geschäfte mit dem Sozialen Wohnungsbau machen – diesmal zu Lasten der dort wohnenden Mieter.
Jens Sethmann
MieterMagazin 4/11
Kaltmieten von über 14 Euro verlangt der Eigentümer dieser Sozialbauten in der Kreuzberger Kochstraße
Foto: Christian Muhrbeck
26.03.2013