Die Plattenbau-Wohnsiedlung Ernst-Thälmann-Park wird 25 Jahre alt. Während rundherum der ganze Ortsteil Prenzlauer Berg auf den Kopf gestellt wurde, sieht die Wohnanlage Ernst-Thälmann-Park fast unverändert aus. Dabei hat sich in dem städtebaulichen Fremdkörper eine soziale Mischung erhalten, die es am Kollwitzplatz oder im Bötzowviertel vor 25 Jahren auch gab, heute aber dort verschwunden ist.
Der Termin war mit Bedacht gewählt: Am 15. April 1986, dem Vorabend von Ernst Thälmanns 100. Geburtstag, enthüllte DDR-Staatschef Erich Honecker das monumentale Denkmal des Arbeiterführers und übergab das Wohngebiet und die Grünanlagen feierlich an die neuen Bewohner. In dreijähriger Bauzeit entstanden auf dem Gelände eines ehemaligen Gaswerks mitten in Prenzlauer Berg 1336 Wohnungen in Plattenbauweise. In die Wohngebäude wurden Läden und Gaststätten integriert. Daneben entstanden eine Schule, eine Kita, eine Sporthalle, eine Schwimmhalle und das Zeiss-Planetarium. Vier Gebäude des alten Gaswerks wurden erhalten und für kulturelle Zwecke umgebaut. Das alles wurde in einen großzügigen Park eingefügt, der dem ganzen Ensemble den Namen gab.
Mit ihrem bedeutenden Namen durfte die Wohnanlage keine gewöhnliche Siedlung sein. Die vier 12- bis 18-geschossigen Hochhäuser sind mit ihrem H-förmigen Grundriss und den dreieckigen Balkonen neu entwickelt worden. Die übrigen achtgeschossigen Wohngebäude sind zwar in Form des üblichen Plattenbau-Typs WBS 70 errichtet worden, viele Wohnungen haben aber verglaste Loggien, die an zwei Stellen auch um die Gebäudeecken herumgezogen sind. Dazu gibt es in der obersten Etage vier Maisonette-Wohnungen, die einen verglasten Atelierraum im neunten Geschoss aufweisen und so die strenge Dachkante auflockern.
An der Gasanstalt entzündete sich der Protest
Über 100 Jahre lang hatte an dieser Stelle das größte Berliner Gaswerk seine Umgebung mit Abgasen, Staub und Ruß verschmutzt. Als die IV. Städtische Gasanstalt im Jahr 1872 an der Danziger und Greifswalder Straße gebaut wurde, lag sie noch „janz weit draußen“. In den kommenden drei Jahrzehnten schob sich die gründerzeitliche Bebauung jedoch bis an die Gaskokerei heran. Mit seinen Rauchgasemissionen war das Werk nicht nur ein Ärgernis für die Anwohner, sondern auch ein echtes städtebauliches Hindernis: Die Gebiete östlich des Werks blieben lange unbebaut, weil man in der Hauptwindrichtung der Schornsteine niemanden wohnen lassen konnte. Schon seit den 1930er Jahren gab es Forderungen, das Gaswerk stillzulegen, doch erst 1981, mit der Umstellung auf die Erdgasversorgung, wurde die Gasanstalt tatsächlich geschlossen.
Dass für den Bau der neuen Wohnanlage auch die riesigen Gasometer abgerissen werden sollten, war jedoch nicht im Sinne der Bürger. Die drei backsteinernen Rundbauten an der Ringbahn, die den Krieg überstanden hatten, waren zu Wahrzeichen des Bezirks geworden. Gegen die geplante Sprengung formierte sich eine bis dahin ungekannte Protestbewegung: Denkmalschützer intervenierten, aufgebrachte Bürger klebten Plakate, verteilten Flugblätter und organisierten Versammlungen. Auch wenn der Protest letztlich erfolglos blieb – 1984 wurden die Gasometer gesprengt – war er doch ein Auftakt für eine selbstbewusste Oppositionsbewegung, die sich fortan in Prenzlauer Berg nicht mehr alles vorschreiben lassen wollte.
Ein Jahr nach der Fertigstellung zog der Generaldirektor der Baudirektion Berlin, Ehrhardt Gißke, der auch für den Entwurf des Ernst-Thälmann-Parks verantwortlich war, in der Zeitschrift „Architektur der DDR“ die freudige Bilanz, „dass die Gesamtanlage sofort von der Bevölkerung als zu ‚ihrer Stadt‘ gehörig anerkannt und angenommen wurde“. Doch der Vorzeige-Neubaukomplex blieb ein Fremdkörper im heruntergekommenen Stadtteil Prenzlauer Berg – zu krass war der Gegensatz zwischen der geordneten sozialistischen Muster-Siedlung und der unübersichtlichen Hinterhof- und Außenklo-Welt, in der viele Unangepasste ihre Nischen gefunden hatten.
Nach 25 Jahren sind die Wohngebäude äußerlich beinahe unverändert. Lediglich der rund 200 Wohnungen umfassende Block der Wohnungsbaugenossenschaft Zentrum an der Lilli-Henoch-Straße wurde mit Pastelltönen farblich aufgehübscht. Der große Rest der Siedlung gehört der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, die im Inneren die Aufzüge, die Versorgungsstränge und die Lüftungsanlagen saniert hat.
Ein Viertel der Bewohner sind Erstmieter
Der Ernst-Thälmann-Park ist heute ein sozialer Stabilitätsanker, während der Rest des Stadtteils völlig umgekrempelt wurde. Über 40 Prozent der Einwohner leben schon zehn Jahre oder länger in der Wohnanlage. In den umliegenden Altbauvierteln sind hingegen weniger als 30 Prozent der Bewohner schon so lange vor Ort. Ein Viertel der Gewobag-Mieter im Ernst-Thälmann-Park ist sogar noch Erstmieter. Nach Angaben der Gewobag gibt es pro Jahr bei etwa acht Prozent ihrer 1130 Wohnungen einen Mieterwechsel. „Die Bedürfnisse der Erstmieter haben sich teilweise verändert. Unsere älteren Mieter ziehen oft in kleinere Wohnungen innerhalb des Objektes um und in die großen Wohnungen ziehen junge Familien ein“, erklärt Stefan Fellechner von der Gewobag. Die Mieterstruktur nennt er „bunt gemischt aus Jung und Alt, Rentnern, Beamten, Arbeitslosen und Erwerbstätigen“. Die Nettokaltmiete der Gewobag-Wohnungen liegt im Durchschnitt bei 4,94 Euro pro Quadratmeter.
Ein größerer Wandel betraf das Gewerbe. Die einstigen Verkaufsstellen für Lebensmittel, Obst und Gemüse sowie Fleisch und Molkereiwaren werden heute von einem Imbiss, einer Kita und einem Architektenbüro genutzt. Im früheren Laden für Haushaltschemie befinden sich jetzt Arztpraxen und in der ehemaligen Buchhandlung werden Damenkleider geschneidert. Von den drei gastronomischen Einrichtungen hält immerhin noch die Gaststätte „Zur alten Gaslaterne“ die Stellung im Erdgeschoss des Hochhauses Lilli-Henoch-Straße 19.
Das neue, bürgerliche Ambiente rückt jedoch näher: In direkter Nachbarschaft wird gerade die Luxuswohnanlage „Prenzlauer Bogen“ gebaut. Aber noch sind die Wege im Thälmann-Park keine Laufstege, und 500-Euro-Designer-Kinderwagen verirren sich nur selten hierher. Dafür gibt es hier noch echte Rentner, die keine Touristen sind. Der Ernst-Thälmann-Park ist ein Überbleibsel des früheren Prenzlauer Bergs, obwohl er eigentlich nie richtig dazugehörte.
Jens Sethmann
MieterMagazin 4/11
Die Thälmann-Siedlung fremdelt in Prenzlauer Berg heute wie damals
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Rentner ziehen in kleinere Wohnungen und machen Platz für Familien
Der Park hat dem Ensemble seinen Namen gegeben
In der DDR hatte „Teddy“ Kult-Status
Thälmann bleibt
Das Ernst-Thälmann-Denkmal – eine überdimensionale Büste mit erhobener Faust vor einer wehenden Fahne – schuf auf Wunsch des SED-Politbüros der sowjetische Bildhauer Lew Kerbel, der auch Urheber der Lenin-Statue auf dem Leninplatz (heute Platz der Vereinten Nationen) war. Das 14 Meter hohe und 15 Meter breite Bronzedenkmal besteht aus 200 Einzelteilen und wiegt 50 Tonnen. Nicht wenige Leute glaubten in den Gesichtszügen Ähnlichkeiten mit Lenin zu erkennen und verspotteten das Denkmal als „Lehmann“.
Nach der Wende blieb die Diskussion um das Thälmann-Denkmal und den Namen der Wohnanlage nicht aus. Der Hamburger Transportarbeiter Ernst Thälmann (1886 bis 1944) war ab 1925 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er war ein konsequenter Gegner der Nazis, stand aber auch für die „Stalinisierung“ der KPD. 1933 wurde er von der Gestapo verhaftet und nach elfjähriger Haft im KZ Buchenwald ermordet. In der DDR wurde „Teddy“ Thälmann nahezu kultisch verehrt. Zwei zum Denkmal gehörende Bronzetafeln mit Texten von Ernst Thälmann und Erich Honecker wurden gleich nach der Wende abgebaut.
Eine Kommission des Senats empfahl 1993 den Abriss der Statue, und auch die Bezirksverordneten von Prenzlauer Berg beschlossen, den Bronzekoloss zu entfernen. Doch wenig später drehte sich der Wind. Das Landesdenkmalamt stellte das Monument 1995 unter Denkmalschutz.
1996 scheiterte die Bezirks-CDU mit dem Antrag, den Ernst-Thälmann-Park in „Kulturpark“ umzubenennen. Bei einer anschließenden Bürgerbefragung sprach sich eine breite Mehrheit für die Beibehaltung des Namens aus.
js
03.04.2013