Der Ende Mai von der Senatorin für Stadtentwicklung vorgelegte Berliner Mietspiegel 2011 zeigt ein eindeutiges Bild der Berliner Mietenentwicklung: Nahezu flächendeckend steigen die Mieten deutlich an. Die Anspannung auf dem Wohnungsmarkt fordert ihren Tribut: Durchschnittlich 4 Prozent mehr für die Nettokaltmiete müssen die Hauptstadtbewohner seit der Auflage des letzten Mietspiegels ausgeben. Überdurchschnittlich stark klettern die Mieten in Altbauten mit einer Bezugsfertigkeit vor 1918. In guter Wohnlage, bei Wohnungen unter 40 sowie über 90 Quadratmeter Wohnfläche und bei Wohnungen mit Teilstandard ist ebenfalls ein überdurchschnittlicher Aufwärtstrend bei den Mieten erkennbar. Der Nachfragedruck auf dem Wohnungsmarkt sorgt bei Neuvertragsabschlüssen für erhebliche Mehreinnahmen auf der Vermieterseite. Dies spiegelt sich deutlich in der vom Berliner Senat herausgegebenen Mietpreisübersicht für freifinanzierte Wohnungen wider. „Der eigentliche Skandal aber ist, dass der Berliner Senat bis heute die angespannte Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt leugnet“, kritisiert Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild. Die rot-rote Landesregierung lehnt Markteingriffe in Berlin weitgehend ab und verweist auf eine Mietrechtsinitiative im Bundesrat, ohne diese freilich durch entsprechende Werbung um Bündnispartner voranzubringen.
Etwas mehr als 9250 neu erhobene Mietdaten bei einer Grundgesamtheit von 1,243 Millionen freifinanzierter Mietwohnungen sind mittels einer Mieter- und Vermieterbefragung in die neue Mietspiegeltabelle eingeflossen. 325 Mietwerte waren so extrem, dass sie unberücksichtigt blieben. Auch die Mieten von etwa 400 Substandardwohnungen wurden nicht in der Tabelle abgebildet. Der Berliner Mietspiegel 2011 ist wiederum ein „qualifizierter Mietspiegel“, weil er nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer empirischen Repräsentativerhebung erstellt wurde.
Der Berliner Mietspiegel 2011 weist die am 1. September 2010 gezahlten ortsüblichen Mieten vergleichbaren Wohnraums für nicht preisgebundene, also freifinanzierte Alt- und Neubauwohnungen in Mehrfamilienhäusern aus, die bis zum 31. Dezember 2009 bezugsfertig wurden. Er gilt insoweit auch für Genossenschaftswohnungen und vermietete Eigentumswohnungen.
Der Mietspiegel erfüllt in erster Linie folgende Funktionen:
- Er dient den Vermietern als Begründungsmittel für Mieterhöhungen.
- Und er dient den Mietern als Kontroll- und Begrenzungsmittel bei (überzogenen) Mietforderungen der Vermieter.
Wenn Mieter den Mietspiegel richtig anwenden, können sie abschätzen, ob und bis zu welchem Betrag sie der Mieterhöhung des Vermieters zustimmen müssen. Der Mietspiegel ist im Mietrechtsprozess bei einer Zustimmungsklage des Vermieters das „Maß aller Dinge“. Beim qualifizierten Mietspiegel wird qua Gesetz unterstellt, dass seine Werte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben.
Die Mittelwerte in den nach Wohnungsgröße, Baualter, Ausstattungsstandard und Wohnlage differenzierten Tabellenfeldern (siehe Tabelle auf Seite 17) haben sich gegenüber 2009 in fast allen Feldern des Mietspiegels geändert. Lediglich ein Mietspiegelfeld weist keine Änderung auf. Von den 132 Mietspiegelfeldern weisen 27 keine Mietwerte aus, da für diese nicht mindestens 10 Mietwerte ermittelt wurden. Weitere 41 Felder verfügen über weniger als 30 Mietwerte und gehören damit auch nicht zum qualifizierten Teil des Mietspiegels.
Der Mietspiegel gilt nur für freifinanzierten Wohnraum
Die sogenannten Leerfelder finden sich vor allem bei den Kleinwohnungen und den Baujahrgängen 1973 bis 1990 im Westteil der Stadt. Leerfelder und minder besetzte Felder schränken die Qualität des Mietspiegels aber deutlich ein. Da diese Felder nicht zum qualifizierten Teil des Mietspiegels gehören, besteht im Zustimmungsprozess ein erhöhtes Risiko, dass der Richter zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein Sachverständigengutachten einholt, was in der Regel für den Vermieter von Vorteil ist. „Bei der Neuerhebung zum Berliner Mietspiegel 2013 wird es daher auch darum gehen, den Anteil nicht qualifizierter Mietspiegelfelder deutlich zu verringern“ verlangt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.
Ein besonderes Augenmerk bei der Mietspiegelerstellung gilt regelmäßig den sogenannten Sondermerkmalen, bei denen ein sinnfälliger Zusammenhang zur Miethöhe besteht. Bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete werden die Sondermerkmale bislang nach der Spanneneinordnung hinzu- oder abgerechnet. Dadurch kann es im Einzelfall zu Mietwerten kommen, die bei der Erhebung gar nicht erfasst wurden. „Dieses Verfahren ist nicht stimmig und benachteiligt die Mieter – beim Mietspiegel 2013 muss das geändert werden“, fordert BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.
Für 2011 gibt es aber zunächst einige Neuerungen. Herausgefallen sind „moderne Küchenausstattung“, „zweites WC in der Wohnung“ und „Bad mit WC ohne Fenster“. Diese Merkmale finden sich nun in der Orientierungshilfe wieder. Gravierend: „Hochwertiger Bodenbelag“ schlägt jetzt mit 0,50 Euro pro Quadratmeter zu Buche. Neu sind Abschläge für Souterrainwohnungen (0,75 Euro pro Quadratmeter) und Dachgeschosswohnungen ohne Aufzug ab 1984 (0,46 Euro pro Quadratmeter).
Bei der Orientierungshilfe zur Spanneneinordnung wurden zusätzlich als wohnwerterhöhende Merkmale festgelegt:
- Strukturheizkörper als Handtuchhalter (nur, wenn Sondermerkmal „Modernes Bad nicht vorliegt“),
- Moderne, gesteuerte Entlüftung (zum Beispiel mittels Feuchtigkeitssensor) bei innen liegendem Badezimmer,
- Überwiegend Isolierverglasung (ab 1987) oder Schallschutzfenster,
- Rückkanalfähiger Breitbandkabelanschluss (Nutzung ohne zusätzliche vertragliche Bindung des Mieters mit Dritten),
- Wohnungsbezogener Kaltwasserzähler, wenn der Mieter nicht die Kosten für Miete oder Leasing im Rahmen der Betriebskosten trägt.
- Verbesserte Steigeleitungen zählen nicht mehr zum überdurchschnittlichen Instandhaltungszustand.
Schon beim Mietspiegel 2009 hat eine Zusatzerhebung ergeben, dass in drei dynamischen Stadtteilen die Neuvertragsmieten erheblich über den Bestandsmietverhältnissen lagen. Die erheblich angestiegenen Neuvertragsmieten haben auch dem Mietspiegel 2011 ihren Stempel aufgedrückt. Deshalb fordert der Berliner Mieterverein eine Beschränkung der Neuvertragsmieten, die bislang vollkommen frei vereinbart werden können. Die Erhöhung von Bestandsmieten soll gekappt werden durch eine Beschränkung auf 15 Prozent in drei Jahren, die Einbeziehung aller Mieten in die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete und die Streckung der Refinanzierung von Modernisierung und Energieeinsparung.
Alle Maßnahmen lassen sich nur über eine Mietrechtsänderung im Deutschen Bundestag bewerkstelligen. Eine Initiative des Berliner Senats über den Bundesrat ist ein erster wichtiger Schritt gewesen. Bedauerlicherweise verfolgt der Senat seine Pläne zur Mietrechtsänderung aus Sicht des Mietervereins bundesweit nur auf Sparflamme. „Das Engagement des Senats ist wenig glaubwürdig“, resümiert Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild.
Zehn-Euro-Marke bei Neubauten durchbrochen
Von den 105 besetzten Mietspiegelfeldern weisen 96 (91,43 Prozent) eine Steigerung der Miete aus, nur 8 Felder eine Senkung. In 36 Mietspiegelfeldern beträgt der Anstieg mehr als 10 Prozent. Sie bilden fast 300.000 Wohnungen ab, rund ein Viertel aller freifinanzierten Wohnungen in Berlin. Der höchste Mittelwert wurde mit 8,19 Euro pro Quadratmeter nettokalt im Monat in guter Lage bei den großen Neubauwohnungen ermittelt. In diesem Feld hat der Oberwert nun auch die Zehn-Euro-Schallmauer durchbrochen. Bei weiteren 35 Feldern stiegen die Mittelwerte zwischen 5 und 10 Prozent, bei 25 Feldern bis zu 5 Prozent. Gesunkene Mietspiegelmittelwerte spielen nur bei 31.300 Wohnungen eine Rolle, dass sind 2,52 Prozent des freifinanzierten Bestandes. Bei den für die Mieterhöhung wichtigen Oberwerten stieg der Mittelwert von 5,69 auf 6,06 Euro pro Quadratmeter im Monat, ein Anstieg um 0,37 Euro beziehungsweise 6,5 Prozent. In 78 von den 105 belegten Feldern wird auch hier ein Anstieg ausgewiesen, bei 37 Feldern sogar um mehr als 10 Prozent. Besonders krass ist die Entwicklung der Oberwerte bei teilausgestatteten Altbauwohnungen. In drei Feldern stieg der Oberwert um mehr als 1,90 Euro pro Quadratmeter (60 bis 70 Prozent). In 28 Feldern gab es eine Senkung.
Mit 0,53 Euro pro Quadratmeter im Monat ist der Anstieg der Mittelwerte in den Wohngebäuden mit Baualter vor 1918 besonders stark, ein Anstieg von 11,8 Prozent in 23 Monaten. Davon sind rund 363.000 Wohnungen betroffen, fast 30 Prozent des Bestandes. Mit 5,04 Euro pro Quadratmeter liegt die Miete zwar noch etwa 3 Prozent unter dem Berliner Durchschnittswert, allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Altbauten bei gleicher Zimmerzahl in der Regel deutlich größere Flächen ausweisen. Eine Reserve preisgünstigen Wohnraumes stellen diese Wohnungen nur noch bedingt dar, denn auch bei den rund 100.000 minder ausgestatteten Wohnungen wurde ein Anstieg von 0,57 Euro pro Quadratmeter auf 3,81 Euro pro Quadratmeter monatlich (17,6 Prozent) festgestellt. Für die Wohnungen der Zwischenkriegsjahre (1919 bis 1949) ergab sich ein Anstieg um 0,40 Euro pro Quadratmeter, was 8,4 Prozent in 23 Monaten ausmacht.
Fazit: Deutlich weniger preiswerter Wohnraum
Dies betrifft 180.000 Wohnungen oder 14,5 Prozent des freifinanzierten Wohnungsbestandes. In gleicher Höhe stiegen die Mieten in Gebäuden der Nachkriegsepoche von 1956 bis 1964. Betroffen sind 151.000 Wohnungen beziehungsweise 12,2 Prozent des Bestandes. Für besonders kleine Wohnungen mit weniger als 40 Quadratmetern (10,3 Prozent des Bestandes) wurde ein Anstieg von 8,5 Prozent (0,46 Euro pro Quadratmeter), bei großen Wohnungen mit mehr als 90 Quadratmetern (14,8 Prozent des Bestandes) von 9,3 Prozent in 23 Monaten (0,45 Euro pro Quadratmeter) ermittelt. Auch in guter Wohnanlage (17,7 Prozent des Bestandes) wurde ein überdurchschnittlicher Mietanstieg festgestellt. Um 0,58 Euro pro Quadratmeter im Monat stiegen die Mittelwerte, was 10,9 Prozent in 23 Monaten ausmacht.
Bestätigt hat sich der Trend wie schon beim Mietspiegel 2009, dass bei den Wohngebäuden im Ostteil der Stadt mit Baujahr 1973 bis 1990 die Mieterhöhungsspielräume offenbar aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen weitgehend ausgeschöpft sind. Für die rund 203.000 Wohnungen wurde mit rund 4,4 Prozent ein vergleichsweise geringer Mietanstieg festgestellt.
Der Trend der letzten Jahre setzt sich fort: Bei den bislang preisgünstigeren Wohnungen gibt es weiterhin einen deutlichen Aufwärtstrend, was die Mieten betrifft. Nachdem in Vorgängermietspiegeln der Anstieg durch die Privatisierung in den Siedlungsbauten der 20er Jahre und den Nachkriegswohnungen besonders stark ausfiel, erweist sich nun ein deutlicher Nachfrageüberhang innerhalb des S-Bahnringes als Mietpreistreiber.
mm
MieterMagazin 6/11
Preistreibend wirkt besonders der Nachfrageüberhang in den innerstädtischen Bezirken (hier: Quartier Chamissoplatz in Kreuzberg)
alle Fotos: Christian Muhrbeck
„Der Senat hat mit seiner Mietrechtsinitiative das Notwendige auf den Weg gebracht“: Berlins Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer (Foto oben);
„Der Senat leugnet nach wie vor die Anspannung am Wohnungsmarkt“: BMV-Geschäftsführer Reiner Wild (Foto unten)
Neubauwohnungen in guter Lage haben bei Mittel- und Oberwerten eine Spitzenstellung im Mietspiegel
Einzig bei den Ost-Berliner Plattenbauten sind die Mietanstiege moderat – offenbar sind die Spielräume durch modernisierungsbedingte Verteuerungen ausgereizt
Gründerzeit-Altbauten weisen Mietanstiege von über 10 Prozent aus – im Mittel der letzten zwei Jahre
Qualifizierter Mietspiegel
Der Berliner Mietspiegel 2011 wurde nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen als fortgeschriebener qualifizierter Mietspiegel erstellt und von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung herausgegeben. Vermieter müssen deshalb auch bei Mieterhöhungen, die nicht mit dem Mietspiegel begründet werden, das entsprechende Mietspiegelfeld der betroffenen Wohnung benennen.
Der Berliner Mietspiegel 2011 ist als Broschüre ab sofort in den Beratungszentren des Berliner Mietervereins und in der Hauptgeschäftsstelle erhältlich. Eine Sonderbeilage in den großen Tageszeitungen erfolgt in diesem Jahr nicht. Natürlich ist der Mietspiegel 2011 auch auf der Internetseite des Berliner Mietervereins unter
www.berliner- mieterverein.de
einzusehen inklusive dem Straßenverzeichnis mit Wohnlagezuordnung.
Das Rechenprogramm zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist unter
www.stadtentwicklung-berlin.de zu nutzen.
Zum Thema
Energetische Komponente hat sich bewährt
Im Rahmen der Spanneneinordnung wurde erstmals im Mietspiegel 2009 dem energetischen Zustand von Wohngebäuden bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein höherer Stellenwert eingeräumt. Mittels Energiekennwerten wird der energetische Zustand operationalisiert. Ein sehr guter Kennwert wirkt wohnwertsteigernd, ein sehr schlechter wohnwertmindernd. Wegen der voranschreitenden energetischen Modernisierung wurden im Mietspiegel 2011 gemäß Erkenntnissen des Forschungsinstituts die Verbrauchskennwerte, bei denen von Wohnwertminderung auszugehen ist, um je 10 Kilowattstunden pro Quadratmeter jährlich gesenkt. Für die üblichen Kennwerte, etwa zwei Drittel aller Wohnungen betreffend, ergibt sich keine Konsequenz hinsichtlich der Abweichung vom Mittelwert. Um von dieser besonderen Bewertungsmöglichkeit Gebrauch machen zu können, bedarf es der Berechnung des Energieverbrauchskennwertes. Er ist bei zentralbeheizten Gebäuden leicht aus der Heizkostenabrechnung unter Berücksichtigung des Klimafaktors zu ermitteln. Wer einen Energieausweis vorliegen hat, kann den Kennwert daraus verwenden. Bedarfskennwerte können umgerechnet werden. Der BMV hält ein Infoblatt zur Ermittlung der Energieverbrauchskennwerte bereit, erhältlich in den Beratungszentren oder unter www.berliner-mieterverein.de.
27.12.2017