Die 64. Auflage des Deutschen Mietertages findet vom 16 bis 18. Juni in Berlin statt. Auf all diesen Tagungen wurden wichtige Festlegungen und Richtungsentscheidungen für die Politik des Deutschen Mieterbundes getroffen. Wir werfen einen Blick in die Nachkriegsgeschichte des Deutschen Mietertages von 1951 bis heute.
Nach der Neugründung des Deutschen Mieterbundes (1951) fanden ab 1955 regelmäßig Mietertage statt, zunächst in jährlichem Rhythmus. Beim allerersten Mietertag in Bochum kamen die Vertreter von 174 000 organisierten Mietern zusammen. Seit 1963 wird der Mietertag alle zwei Jahre in unterschiedlichen Städten ausgerichtet.
„Beim Mietertag 1963 in Düsseldorf stand der Lücke-Plan an erster Stelle des Verbandsinteresses“, erinnert sich der damalige Mieterbund-Direktor Helmut Schlich zum „Lücke-Plan“.„Wir haben gegen die politischen Absichten Kundgebungen mit mehreren tausend Teilnehmern organisiert“, berichtet er.
Schlich war von 1962 bis 1995 Direktor des Deutschen Mieterbundes und ist noch immer Ehrenmitglied im DMB-Präsidium. Von 1959 an war der Kölner bei jedem Mietertag dabei. Die Tagung des Jahres 2011 in Berlin wird für ihn der 29. Mietertag, an dem er teilnimmt. Aus fünf Jahrzehnten Mieterarbeit hat Helmut Schlich viel zu erzählen.
„Ich habe Paul Nevermann überzeugen können, sich 1967 zur Wahl des DMB-Präsidenten aufstellen zu lassen“, so Schlich. Paul Nevermann (SPD) war zuvor Erster Bürgermeister und Bausenator von Hamburg und trug wegen seines Einsatzes für die Mieterinteressen den Spitznamen „Mieten-Paule“. Auf dem Mietertag 1967 in Hannover wurde er in einer Kampfabstimmung gewählt.
In die Ära Nevermann fiel ein großer Erfolg: „In den 70er Jahren haben wir erkämpft, dass der Kündigungsschutz wieder ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wurde“, so Helmut Schlich.
Einen unvergesslichen Auftritt legte Bundeskanzler Schmidt (SPD) beim Mietertag 1977 in Hamburg hin. „Schmidt kam alleine in einem einfachen Opel angefahren“, erinnert sich der damalige Bundesdirektor. „Die vorbereiteten Pressemeldungen hat er gleich vom Tisch gewischt und erklärt: ‚Die Herren Journalisten sollen gefälligst aufpassen, was ich sage.’“
Nach Nevermanns Tod wurde 1979 auf dem Mietertag in Berlin der Ex-Justizminister Gerhard Jahn (SPD) zum DMB-Präsidenten gewählt. Er übte das Amt bis 1995 aus. In den 80er Jahren fiel dann die Männerbastion im Vorstand des Mieterbundes: Auf dem Mietertag 1989 in Düsseldorf wurde mit Heidrun Clausen aus Kiel erstmals eine Frau ins DMB-Präsidium gewählt. Dann erreichte die Emanzipation jedoch schnell die Führungsetage: 1995 wurde in Hannover die SPD-Bundestagsabgeordnete Anke Fuchs zur DMB-Präsidentin gewählt. Sie wurde damit die Nach-Nachfolgerin ihres Vaters Paul Nevermann.
»Derselbe Minister zweimal hintereinander ist selten«
Eine Sternstunde war der Mietertag 1991 in Wiesbaden – erstmals mit den neuen Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Das war natürlich eine große Sache“, erinnert sich Helmut Schlich. „Ich wollte eigentlich schon 1990 aufhören, aber als die Mauer gefallen war, habe ich gesagt, wir müssen die Vereinigung auch auf der Ebene der Mieterinteressen und -verbände organisieren.“ Für den Aufbau von Mietervereinen im Osten wurde ein Sonderbeitrag erhoben und ein Beauftragter für die neuen Bundesländer eingesetzt. „Wir haben schließlich einen hohen Organisationsgrad im Osten erreicht.“ Die Gesamtmitgliederzahl überschritt in den folgenden Jahren die Millionengrenze.
Im Jahr 2000 gab es schließlich einen Sonder-Mietertag, auf dem der Umzug der DMB-Bundesgeschäftsstelle von Köln nach Berlin beschlossen wurde.
Hochrangige Bundespolitiker sind auf jedem Mietertag zu Gast. Nicht immer kommt der Bundeskanzler, aber es sind schon sehr viele Bundesbauminister begrüßt worden. Weil sich dieser Kabinettsposten in den letzten Jahrzehnten häufig als Durchgangsstation oder gar als Schleudersitz erwies, bekamen die Delegierten bei fast jedem Mietertag ein neues Ministergesicht zu sehen.
»Aktionen mit Witz und Biss«
Ein bequemer Anstandsbesuch für die Minister war es selten. Die Bundespolitiker mussten sich immer Kritik und Forderungen der Mieter anhören. Besonders die Abgesandten des Berliner Mietervereins (BMV) haben dabei zu phantasievollen politischen Aktionsformen gegriffen. So überreichte BMV-Mitarbeiter Armin Hentschel auf dem Konstanzer Mietertag 1987 dem Bau-Staatssekretär Jürgen Echternach (CDU) als Kommentar zur Liberalisierung des Mietrechts ein gerupftes Hühnchen auf dem Silbertablett: „Vertragsfreiheit auf dem freien Wohnungsmarkt ist die Freiheit eines freien Fuchses in einem freien Hühnerstall“ hieß die Botschaft dazu. Die Mieter würden sich jedoch nicht rupfen lassen. Der Staatssekretär verschmähte freilich das dargereichte Geflügel.
Beim Mietertag 1999 in Rostock überreichte der Vorsitzende des Berliner Mietervereins, Edwin Massalsky, dem damaligen Bundesbauminister Franz Müntefering (SPD) einen Wecker mit dem Spruchband „Rot/Grün, wach auf!“ Der Minister, dem damit seine mietenpolitische Schlafmützigkeit vorgehalten wurde, schien sich trotz allem über das Präsent zu freuen.
Gescheitert ist hingegen im Jahr 2005 die Übergabe eines gerahmten Protestplakats an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der den Mietertag in Kiel mit seiner Anwesenheit beehrte. „Stopp dem Ausverkauf öffentlichen Vermögens“ war das Plakat betitelt, auf dem ein Heuschreckenschwarm über ein Wohnhaus herfällt. In Anlehnung an das berühmte „Heuschrecken“-Zitat von Franz Müntefering wollte der BMV damit gegen den Verkauf städtischer Wohnungsbestände an Finanzinvestoren protestieren. Verhindert wurde das Überreichen des Plakats durch Anke Fuchs, die ihrem hohen Gast und Parteigenossen den Affront ersparen wollte. Das Plakat ziert heute noch das Zimmer des BMV-Geschäftsführers.
Jens Sethmann
MieterMagazin 6/11
Zur Themenübersicht dieses Extra zum Deutschen Mietertag 2011
Beim Deutschen Mietertag in Bad Godesberg 1969 war die Rollenverteilung der Geschlechter noch von keinem Wind des Aufbruchs beweht
Fotos: DMB-Archiv
Der Bundeskanzler wurde seinem Beinamen („Schmidt Schnauze“) auf dem Mietertag 1977 in Hamburg voll und ganz gerecht (hier mit dem damaligen DMB-Präsidenten Nevermann (Mitte) und dessen Vize Günter (rechts)
Foto: Heinrich Klaffs/DMB-Archiv
Gruppenbild mit Damen: Unter den DMB-Oberen fanden sich beim Mietertag 1995 in Hannover schon mehrere Frauen, an der Spitze des Verbandes: die SPD-Sozialpolitikerin Anke Fuchs (Bildmitte)
Foto: DMB-Archiv
Bequeme Anstandsbesuche sind die ministeriellen Auftritte vor dem Deutschen Mietertag in der Regel nicht: Bauminister Oscar Schneider (1985 in Timmendorfer Strand, Foto oben), Bauminister Klaus Töpfer (1997 in Nürnberg, Foto unten)
Fotos: Bernd Bohlen/DMB-Archiv
02.04.2013