MieterMagazin: Herr Wild, Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie vor rund 30 Jahren an Ihrem ersten Deutschen Mietertag teilnahmen? War das eine vertraute Umgebung?
Wild: Nein, es war wie in einer anderen Welt. Durch die Hausbesetzungen in vielen deutschen Städten waren drängende Fragen der Wohnungsversorgung aufgeworfen. Die Berliner Delegierten waren mit großer Ungeduld 1981 zum Deutschen Mietertag nach Freiburg gefahren. Ich war vom autoritären Führungsstil des Präsidenten überrascht und spürte bei den meisten Delegierten viel Selbstgenügsamkeit und wenig Verständnis für Neues und Andersartigkeit. Vielleicht war das die typische Gemütslage nach dem Wirtschaftswunder.
MieterMagazin: Die Mehrzahl der Mietervereinsaktivisten aus Berlin trug damals Bart und lange Haare. Können Sie verstehen, dass es einen Kulturschock bei den alten Aktivisten gab, als diese wilden Berliner erstmals im Mieterbund auftraten?
Wild: Ja, das kann ich inzwischen gut nachvollziehen. Ich habe selbst Kinder und bin manchmal geschockt über die kulturellen Werte jüngerer Generationen. Eigentlich haben wir es dank Medien und Internet viel leichter, das Spektrum verschiedener Lebenswelten wahrzunehmen als unsere Vorgänger. Hinzu kommt, dass wir damals zum Rechtsstaat ein unklares Verhältnis hatten. Ich vermute, dass wir damit Ängste ausgelöst haben, weil nicht klar war, wo der Zug hinfahren soll.
MieterMagazin: Auch Ihr Bart ist heute ab. Was hat sich bei den Beteiligten, und vor allem aber auch bei Ihnen verändert?
Wild: Wer sich in Institutionen begibt, vor allem solche mit langer Tradition, wird selbst auch verändert. Die Frage ist für mich eher: Was konnten wir aus unserer Aufbruchstimmung in den 70er und 80er Jahren mit hinübernehmen in die jetzige Alltagsarbeit einer vorwiegend auf Dienstleistung orientierten Organisation. Zunächst: Bei mir persönlich ist die Ungeduld geblieben. Es fällt mir heute eher noch schwerer zu akzeptieren, dass manche Ungerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt nicht unmittelbar angegangen wird. Aber trotz allen Engagements: Der Blick auf die Veränderbarkeit des Systems durch Verbandslobbyismus hat sich geändert. Er ist nüchterner geworden.
MieterMagazin: Können Sie sich vorstellen, dass junge Leute, die heute eine BMV-Veranstaltung besuchen, eine ähnliche Erfahrung machen wie Sie damals?
Wild: Auf jeden Fall. Mieterorganisationen, aber auch Gewerkschaften oder die großen Glaubensgemeinschaften haben ihre eigene Lebenswelt. Ein nicht unwesentlicher Teil des Engagements besteht aus der Beschäftigung mit der eigenen Organisation. Das stößt diejenigen vor den Kopf, deren Beteiligungswunsch in erster Linie auf einen Punkt, einen Konflikt oder eine Sache hin gerichtet ist.
MieterMagazin: Was muss sich ändern, um den Jungen von heute im Mieterbund eine Heimat zu bieten?
Wild: Inzwischen ist meines Erachtens klar, dass wir verstärkt junge Mitglieder erst dann gewinnen können, wenn diese Mieter eigene Haushalte gründen, die Züge einer Stetigkeit tragen – durch Arbeitsverhältnisse oder persönliche Beziehungen. Die Mietervereine müssen dies mit ihren Beratungsformen und Kommunikationsmöglichkeiten berücksichtigen. Beim ehrenamtlichen Engagement ist die Gewinnung junger Menschen für einen Verein ganz schwierig.
MieterMagazin: Wir beobachten eine Veränderung im politischen Auftreten der großen Interessenverbände. Teilen Sie die Auffassung, dass wir es heute mit einer Krise des klassischen Lobbyismus zu tun haben?
Wild: Krise möchte ich das nicht nennen. Ich glaube, dass der Einfluss der großen Wirtschaftsverbände weiterhin sehr hoch ist. Aber ihm sind durchaus Grenzen gesetzt. Nehmen wir die derzeitige Atompolitik: Durch Fukushima hat sich das Misstrauen eines großen Teils der Bevölkerung eine Bahn gebrochen und für Veränderungsdruck gesorgt, der durch die Verbände der Atomwirtschaft nicht verhindert werden konnte und auch nicht der Erfolg besonderen Engagements der Umweltorganisationen war. Es tut sich also manchmal etwas auch ohne den Verbandslobbyismus.
MieterMagazin: Woran liegt das nach Ihrer Auffassung?
Wild: Verbände haben eine Eigendynamik und schließen sich manchmal nach außen hin ab. Verbände brauchen aber den Druck von außen. Kann er sich nicht über die Organisationen ausdrücken, geht er an ihnen vorbei. Das muss ja nicht negativ sein.
MieterMagazin: Ist es nicht schwer, einem Mieter klarzumachen, dass er mehr Miete zahlen muss, um eine globale Klimakatastrophe zu verhindern?
Wild: Ich glaube, dass wir insgesamt in Deutschland die Folgen unseres eigenen Handelns noch nicht wahrgenommen haben und vielleicht auch nicht wahrnehmen konnten. Aber ich glaube, dass in unserem Lebensstil wohl Einschnitte unausweichlich werden. Unser Bestreben muss daher sein, die Veränderungen sozial ausgeglichen umzusetzen.
Ich habe Verständnis dafür, dass hier auch Neid entsteht auf jene, die sich wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse trotz Investitionen in Energieeinsparung einen großen CO2-Fußabdruck erlauben können.
MieterMagazin: Was muss man als Interessenverband tun, um diesen Spagat zwischen global verantwortlicher Politik und lokaler Mietervertretung erfolgreich hinzubekommen?
Wild: Bei uns muss ankommen, dass wir ein Teil eines Ganzen sind und dass es an mehreren Punkten einen Wechsel geben wird. Für Mieter steht sicher die Energieeinsparung und nicht der Klimaschutz im Vordergrund. Weil beides eng beieinander liegt, ist der Spagat aber nicht so groß. Wegen der Energiepreisentwicklung stehen wir doch mit dem Rücken zur Wand. Wer das jetzt nicht anpackt, kriegt später wahrscheinlich von seinen Mitgliedern Druck. Da jede eingesparte Kilowattstunde auch dem Klima zugute kommt, gibt es aus meiner Sicht keinen anderen Weg, wenn man verantwortlich für seine Kinder oder zukünftige Generationen handeln will.
Interview: Armin Hentschel
MieterMagazin 6/11
Zur Themenübersicht dieses Extra zum Deutschen Mietertag 2011
„Männer mit Bärten“ anno 1985: der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild (rechts) mit seinem Vorgänger Vetter (Mitte) und dem damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter des BMV, Hentschel (links)
Foto: Michael Hughes
Der Bart ist ab, ein mit Herzblut betriebenes Engagement ist geblieben: BMV-Geschäftsführer Wild (rechts) im MieterMagazin-Interview mit Armin Hentschel
Foto: Christian Muhrbeck
Die langhaarigen Hitzköpfe von einst haben die Mieterorganisation verändert, die Organisation aber auch sie (hier: Deutscher Mietertag in Berlin 1979)
Foto: MieterMagazin-Archiv
02.04.2013