Die Wohnungsmieten steigen weiter, nicht so die Einkommen der Berliner. Die Mietniveaus in den Stadtbezirken entwickeln sich vehement auseinander. Und ein einzelner Innenstadtbezirk – bislang nicht für eine überdurchschnittliche Einkommensstärke seiner Bewohnerschaft aufgefallen – erfährt eine Explosion der Neuvertragsmieten. All dies sind Ergebnisse des neuesten IBB-Wohnungsmarktberichts. Berlins Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer kommentiert: „Berlin hat einen attraktiven und preiswerten Wohnungsmarkt.“ Alles wie gehabt?
Der Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) untersucht alljährlich Entwicklungen beim Wohnungsmarktangebot und den Miethöhen in der Hauptstadt. Das Ergebnis des Jahres 2009 unterscheidet sich im Trend dabei nicht von dem des Vorjahres: Die Einkommen stagnieren auf einem Niveau deutlich unterhalb dem anderer deutscher Großstädte, deutlich auch unterhalb des Bundesdurchschnitts. Die Mieten ziehen an – moderat, aber mit deutlichem Abstand zu den Einkommen. Und die Nachfrage in trendigen Vierteln der Innenstadt führt zu markant hohen Mieten bei neuen Vertragsabschlüssen mit der Folge, dass Mieter, die umziehen müssen, in ihrer Nachbarschaft keine bezahlbare Unterkunft mehr finden.
„Preisgünstige Wohnungsangebote“, so Mathias Kämmer von der IBB, „sind ungleich über die Bezirke verteilt“. Ein Fünftel aller aktuellen Mietangebote in Berlin liege unter dem Wert von 5 Euro pro Quadratmeter nettokalt. In einigen Bezirken sei dieses Segment jedoch gar nicht vertreten, in anderen erreiche es 50 Prozent. Diesen Spitzenwert erreicht freilich nur das plattenbaudominierte Marzahn-Hellersdorf. Mit deutlichem Abstand und Werten um 30 Prozent für preiswerten Wohnraum unter 5 Euro warten Spandau, Neukölln, Lichtenberg und Reinickendorf auf. Auch der Bezirk Mitte reiht sich in diese Gruppe ein, denn weniger exklusive Lagen – beispielsweise im Wedding – drücken den Schnitt des Regierungsbezirks nach unten.
Wenig überrascht die geringe Zahl von Wohnungsangeboten mit Quadratmeterpreisen unter 5 Euro in den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf: Traditionell gutsituiert ist das Mietpreisniveau dort entsprechend, Zuzugswillige mit eher bescheidenem Einkommen sind ziemlich chancenlos.
Überraschend ist aber der Aufstieg des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg in diese Phalanx der Berlin-Vorderen. Auf der einen Seite ist dort das Angebot an niedrigen Mieten denkbar bescheiden – unter 5 Euro liegen deutlich weniger als zehn Prozent der angebotenen Wohnungen. Auf der anderen Seite ist der Bezirk mittlerweile selbst im teuren Segment jenseits der 8-Euro-Grenze so gut sortiert, das er sich auch damit über den hauptstädtischen Durchschnitt erhebt. Die „Berliner Zeitung“ beförderte Friedrichshain-Kreuzberg in Anbetracht dieser Zahlen zu einem „Grunewald ohne Wald“.
Der Grund dieser Entwicklung liegt in einem Nachfrageschub, der allerdings in einigen Quartieren weniger mit einer Zunahme der Wohnqualität und mehr mit Trends zu erklären ist: Im Ortsteil Kreuzberg erfreuen sich neben schon seit längerem beliebten Vierteln vom Viktoriapark bis zum Graefekiez nun auch die weiter östlichen Teile wie beispielsweise der Wrangelkiez vermehrten Zuspruchs, obwohl gerade dieses Quartier deutliche soziale Verwerfungen aufweist und im Berliner Sozialatlas einen der hinteren Ränge belegt. Der Ortsteil Friedrichshain wartet dagegen neben der Edel-Wohnlage auf der Stralauer Halbinsel mit vielen unlängst sanierten Altbau-Quartieren auf, in denen sich bevorzugt eine junge, gut ausgebildete und kaufkräftige Schicht ansiedelt.
Neuverträge von heute sind Bestandsverträge von morgen
Hohe Neuvertragsmieten wie in Friedrichshain-Kreuzberg sind nicht nur ein Problem für potenzielle Zuzügler oder zum Umzug gezwungene Stammbewohner. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins: „Durch Berücksichtigung dieser Mieten in künftigen Mietspiegeln heben sie das Mietniveau insgesamt und eröffnen dann Mieterhöhungsspielräume auch in bestehenden Mietverhältnissen.“ Davon ist Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer aber nicht alarmiert: „Berlin verfügt im bundesweiten Vergleich über einen attraktiven und preiswerten Wohnungsmarkt – von einer angespannten Marktlage kann nicht gesprochen werden.“ Referatsleiter Thomas Brand von der Stadtentwicklungsverwaltung begründet diese pauschale Entwarnung seiner Senatorin mit der Feststellung, dass „man in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten nicht nur günstiger Wohnraum bekommt, sondern auch bei gleicher oder geringerer Zahlungsfähigkeit mehr Wohnqualität“. Was die Senatsverwaltung außer Acht lässt, gleichwohl es im von ihr bestellten Wohnungsmarktbericht schwarz auf weiß nachzulesen ist: Schon seit Jahren rennen die Einkommen in Berlin denen anderer Städte und Regionen „mit großem Abstand“ (IBB) hinterher. Die zu verzeichnenden Einkommensanstiege (plus 1,1 Prozent) halten auch nicht Schritt mit dem Mietenanstieg (plus 2,1 Prozent). Obendrein, so die Verfasser der Marktanalyse, belaste ein „überdurchschnittlicher Anstieg der kalten Betriebskosten“ die Bewohner der Hauptstadt.
Große Nachfrage dort, wo das Angebot knapp ist
Reiner Wild vom Berliner Mieterverein sieht die Belange der Berliner von Senatorin Junge-Reyer nicht ernst genommen: „Statt nach Lösungen für die Probleme hier zu suchen, betreibt man Werbung bei zuzugswilligen Gutverdienern in anderen Großstädten.“ Dabei benennt der Wohnungsmarktbericht eine Reihe weiterer Indikatoren, die zu schnellem Handeln auffordern. Die Bevölkerungszahl nimmt seit zehn Jahren kontinuierlich zu. Schneller noch als die Bevölkerung wächst die Zahl der Haushalte. Die IBB: „Per Saldo lebten im Jahr 2008 45.000 mehr Menschen in Berlin als 1999, gleichzeitig gibt es jedoch rund 159.500 mehr Haushalte als damals“ – ein stabiler Trend. Der Anteil der Einpersonenhaushalte (zurzeit: 53 Prozent) wird weiter zunehmen und mit ihm die Nachfrage nach zusätzlichen Wohnungen. Die Entwicklung von Demografie und Einkommen veranlasst die Verfasser des Marktberichts zu dem Schluss, dass der größte Nachfragezuwachs der nächsten drei Jahre im Bereich der preiswerten, kleinen Wohnungen stattfinden wird – das Segment, für das der Bericht „überdurchschnittliche Mietpreisanstiege“ schon jetzt verzeichnet – und das der Markt schon jetzt kaum mehr bereithält.
Deutliche Worte hat die IBB auch mit Blick auf die Bestände des Sozialen Wohnungsbaus und diejenigen, für die er einmal gedacht war: Da die Sozialmieten im Durchschnitt ein ähnliches Preisniveau wie die Marktmieten aufweisen, können sie „eine dämpfende Wirkung auf das Preisgefüge nicht entfalten“. Dieser Umstand und die Abnahme der Sozialwohnungsbestände führe dazu, dass „die Frage der Wohnraumversorgung von Haushalten mit Marktzugangsschwierigkeiten an Bedeutung gewinnt“. Im Klartext: Für die Armen wird es enger. In diesem Zusammenhang, so die Autoren des Berichts, ist auch der „Erhalt der sozialen Mischung zunehmend ein Thema.“
Das sieht die Stadtentwicklungssenatorin offenbar anders. Handlungsbedarf lässt sie nicht erkennen. Zwar gebe es, so die vorsichtige Formulierung, „Gebiete, in denen sich zunehmende Marktanspannungstendenzen andeuten“, doch für ausreichend hält Junge-Reyer, diese „weiter genau und sorgfältig zu beobachten und zu analysieren“. Also: Alles wie gehabt.
Udo Hildenstab
MieterMagazin 4/10
Große Nachfrage, deutliche Verteuerung: Der Innenstadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg sorgte für eine Überraschung
Foto: Christian Muhrbeck
Der Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin steht zum Download bereit
www.ibb.de
unter Service / Downloadcenter / Berliner Wohnungsmarkt: Trends und Analysen
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GSW bestätigt den Trend
Der zeitgleich mit dem IBB-Bericht erschienene GSW-„Wohnmarktreport 2010“ bestätigt im Wesentlichen die Trends. Die Preise seien in Berlin 2009 weiter gestiegen, laut GSW um 4,5 Prozent von 5,60 auf 5,85 Euro pro Quadratmeter im Mittelwert. Dabei entwickelte sich das Niveau in den einzelnen Stadtbezirken sehr unterschiedlich. Der Anstieg der Mittelwerte bei Neuvermietungen war in Friedrichshain-Kreuzberg (plus 7,2 Prozent), Pankow (plus 6,3 Prozent), Steglitz-Zehlendorf (plus 5,9 Prozent) und Charlottenburg-Wilmersdorf (plus 5,8 Prozent) am größten. Mit 6,80 Euro pro Quadratmeter ist Charlottenburg-Wilmersdorf dabei Spitzenreiter. Dagegen stagnieren die Angebotsmieten in Spandau (minus 0,1 Prozent). Besonders auffällig ist laut GSW die Entwicklung im teuersten Marktsegment in Friedrichshain-Kreuzberg: In nur einem Jahr kletterte die Angebotsmiete dort um 10,7 Prozent auf 10,51 Euro pro Quadratmeter.
bk
02.06.2013