Wer im Köpenicker Ortsteil Friedrichshagen in einer geräumigen Dachgeschoss-Mietwohnung mit Blick auf die Müggelspree wohnt, pflegt in der Regel nicht zu jenem Teil der Bevölkerung zu gehören, dessen Lebensumstände und Einkommensverhältnisse landläufig als prekär gelten. Freilich: Wenn ihn dort die Eigenbedarfskündigung seines Vermieters ereilt, schlägt ihm das meist genauso aufs Gemüt wie jedem anderen Gekündigten auch, muss er doch eine über die Jahre vertraute Bleibe, Umgebung, Nachbarn und auch ein Stück Lebensgeschichte zurücklassen. So liegt der Fall hier. Das ist bedauerlich, aber auch nicht ganz ungewöhnlich.
Ungewöhnlich eher schon der Eigenbedarf anmeldende Vermieter: Zurzeit bewohne er zusammen mit Frau und einer dreijährigen Tochter eine 203 Quadratmeter große Maisonette-Wohnung in einer Köpenicker Stadtvilla. Die Wohnung habe sechs Zimmer, erfährt der Gekündigte, doch verfüge die Ehefrau über kein eigenes Arbeitszimmer, und den Garten müsse man sich mit anderen teilen. Die Tochter („einziges Kind in der Anlage“) müsse dort mit einem kleinen Sandkasten vorlieb nehmen, das Aufstellen etwa einer Schaukel oder Rutsche verbiete sich, weil es den Wasserblick der anderen Wohnparteien einschränken würde. Kurzum: Man wünsche das Haus, und zwar das gesamte, in dem der Gekündigte mit seiner Familie nebst zwei weiteren, ebenfalls gekündigten Mietparteien lebt, künftig „als Einfamilienhaus“ zu beziehen. Dessen insgesamt 436 Quadratmeter Fläche würden ein „komfortableres Wohnen“ ermöglichen.
Der Gekündigte erfährt, dass seine Wohnung nach entsprechenden Baumaßnahmen als „Schlafetage“ für den Eigenbedürftigen und seine Ehefrau vorgesehen ist und auch das weitere im Detail gezeichnete Umbau-Szenario versucht nicht durch verschämte Verdruckstheit zu täuschen: Ein im Souterrain liegendes Kinderzimmer samt Bad sei als Einliegerwohnung für das Au-pair-Mädchen, ein weiteres als Sauna und Sportraum bestimmt. Aus repräsentativen Räumen im Erdgeschoss werde man über eine Freitreppe in den Garten gelangen – zu „Veranstaltungen, Empfängen und Festen“.
Es folgt der Hinweis, dass sich der Gekündigte nicht der Illusion hingeben möge, dass die gegenwärtige Wohnsituation des Kündigenden rechtlich als ausreichend anzusehen sei – darauf komme es nämlich nicht an, habe das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle schon beschieden. Und da hat der Mann vielleicht sogar Recht. Er weiß das. Er ist Jura-Professor. Er war auch schon zweimal CDU-Direktkandidat für den Bundestag. Ohne Erfolg – er will aber nächstes Mal wieder antreten.
Udo Hildenstab
MieterMagazin 6/10
09.10.2017