Der Pharmakonzern Bayer Schering will seinen Firmensitz im Wedding umbauen. Dabei steht jedoch ein voll vermietetes Wohnhaus im Weg. Die Mieter sollen kurzerhand ausziehen, damit ihr Haus abgerissen werden kann. Die Bewohner sind entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen.
Das Bayer-Firmenmotto prangt groß auf der Überführung in der Fennstraße: „Science for a better life“. Um ein besseres Leben ihrer Mieter sorgt sich der Pharma-Riese allerdings nicht so sehr. Das Mietshaus Am Nordhafen 1/ Fennstraße 35-37 soll abgerissen werden. „Deshalb müssen Sie leider spätestens bis Ende März 2011 aus Ihrer Wohnung ausziehen“, teilte das Bayer-Schering-Immobilienmanagement den 20 Mietparteien im April mit. Ein offizielles Kündigungsschreiben solle noch folgen.
„Das geht gar nicht“, sagt Mietrechtsanwalt Christoph Müller, „das ist nur Bangemachen.“ Die langjährigen Mieter – ein Ehepaar wohnt seit 35 Jahren hier – haben eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten. Bis dann über Räumungsklagen entschieden sei, gehe noch viel Zeit ins Land. Und dass die Mieter weichen müssen, ist für Müller alles andere als klar: „Die Tatsache, dass Schering neue Planungen hat, ist kein Kündigungsgrund.“
Das Pharma-Unternehmen hat Ende März einen neuen „Site Master Plan“ vorgestellt, nach dem der Firmensitz in den kommenden 30 Jahren umgebaut werden soll. Dadurch würden 5000 Arbeitsplätze angeblich langfristig gesichert. Als ersten Schritt will der Konzern am Nordhafen ein neues Hauptgebäude, ein Mitarbeiter-Restaurant und ein Konferenzzentrum errichten. Die bestehende Zentrale an der Müllerstraße soll später abgerissen werden.
Seit Mitte der 80er Jahre ist Schering Eigentümer des Altbau-Eckhauses. Der Konzern hatte seine Pläne mehrmals geändert. Nachdem man etliche Wohnungen längere Zeit hatte leer stehen lassen, wurden sie vor vier Jahren modernisiert und neu vermietet. Das Haus ist gepflegt und außergewöhnlich gut in Schuss. Die letzte Mieterin ist erst im April 2009 eingezogen – von einem bevorstehenden Abriss war da noch keinesfalls die Rede.
Die Mieter haben sich derweil zusammengeschlossen, um sich vereint gegen die angedrohte Kündigung zu wehren. Sie hatten sich darauf eingestellt, hier länger wohnen zu bleiben, und haben teilweise auch viel Geld in Einbauküchen und andere Einrichtungen investiert. Vor allem die Familien mit Kindern wollen nicht weg, denn in der Nähe eine passende und bezahlbare Wohnung zu finden, ist auch im Wedding schwierig geworden. In einer ersten Versammlung waren sich die Mieter einig: Freiwillig zieht keiner aus.
Jens Sethmann
MieterMagazin 6/10
Bayer Schering hat Neubaupläne – dafür sollen die Mieter dieses Eckhauses das Feld räumen
Foto: Sabine Münch
28.03.2013