Die Komplettsanierung eines 22-stöckigen Hochhauses ist für die Mieter immer mit enormen Belastungen verbunden. Doch was sich seit März im Spandauer Graetschelsteig abspielt, ist schlicht eine Zumutung.
Der 60er-Jahre-Bau mit 199 Wohnungen im Graetschelsteig 26 soll umfassend saniert werden: neue Heizung und Fenster, Strangsanierung und Wärmedämmung. Rechtlich ist die Modernisierungsankündigung nicht zu beanstanden, wie eine Überprüfung des Berliner Mietervereins (BMV) ergeben hat. Die errechnete und gesetzlich mögliche Umlage von 4 Euro pro Quadratmeter monatlich hat die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag freiwillig auf 2,27 Euro gekappt. Das ergibt immer noch happige Mieterhöhungen, doch das eigentliche Problem sind die Umstände, unter denen die meist älteren Bewohner seit Monaten leben müssen.
Tagelang konnten sie weder kochen noch die Toilette benutzen, auch nachts gab es kein Wasser. Über fünf Wochen mussten sie während der kalten Jahreszeit ohne Heizung frieren, die bereitgestellten Radiatoren reichten nicht aus. Einige flüchteten vor den Bauarbeiten ins Hotel – und mussten dann feststellen, dass aus ihren Wohnungen Sachen entwendet oder beschädigt worden waren. Auf ihr persönliches Eigentum, so berichten mehrere Mieter, werde nicht geachtet. Mittlerweile lebt ein Großteil der Mieter in Ausweichwohnungen, die sie sich zum Teil selber suchen mussten.
Grundsätzlich besteht bei einer Sanierung zwar kein Anspruch auf Umsetzwohnungen, erklärt Michael Roggenbrodt vom Berliner Mieterverein: „Aber dann muss der Vermieter dafür sorgen, dass die Versorgungsunterbrechungen nicht zu lange dauern, insbesondere nachts müssen Wasser und Strom wieder funktionieren.“
Dass die Bauarbeiten chaotisch verlaufen, weist man bei der Gewobag „entschieden“ zurück. „Spätestens ab 18 Uhr ist in jeder Wohnung der Wasserzulauf wieder gesichert“, so Unternehmenssprecher Volker Hartig. Insbesondere älteren Menschen, Allergikern oder Schichtarbeitern habe man auf Wunsch eine Ersatzwohnung angeboten. Ende Juli werden die Arbeiten in den Wohnungen abgeschlossen sein. „Dieser zügige Bauablauf war uns sehr wichtig, um die Belastungen für die Mieter gering zu halten“, sagt der Sprecher.
Für die Mieter klingt das wie Hohn. „Service und Handhabung dieser Sanierung sind katastrophal“, meint der Mieter Wolfgang H.: „Nur wer Druck macht, kommt zu seinem Recht – das ist doch kein fairer Umgang“, empört er sich. Zwar haben mittlerweile mehrere Redaktionen über das „Horror-Haus“ (Bild-Zeitung) in Spandau berichtet, doch bei der Gewobag lautet die Devise offenbar „Augen zu und durch“.
Birgit Leiß
MieterMagazin 7+8/10
Das Gebäude am Spandauer Graetschelsteig machte als „Horror-Haus“ von sich reden
Foto: Birgit Leiß
04.04.2013