Anfang Mai wählte die Delegiertenversammlung des Berliner Mietervereins Edwin Massalsky zum Vorsitzenden. Massalsky bekleidete dieses Amt schon früher und gehört dem Vorstand der Organisation durchgehend seit 26 Jahren an. Im MieterMagazin-Gespräch äußert er sich über wohnungspolitische Defizite in der Hauptstadt und über vereinsorganisatorische Notwendigkeiten.
MieterMagazin: Herr Massalsky, Sie sind kein Newcomer: Sie waren schon früher, nämlich von 1987 bis 2008, Vorsitzender des Berliner Mietervereins. Zu wenig bezahlbare Wohnungsangebote, Probleme mit dem Sozialen Wohnungsbau, unterlassene Instandhaltung, teure Modernisierung – das gab es auch schon zu Beginn Ihres Engagements beim Mieterverein. Hat sich eigentlich in den letzten 25 Jahren etwas verändert?
Der Wohnstandard ist heute besser
Massalsky: Die Sachthemen sind geblieben, aber die problematischen Aspekte haben sich verschoben. Beispiel: das Thema Wohnungsnot. Wohnungsnot gibt es noch immer, aber heute ist sie hauptsächlich ein Problem in den innerstädtischen Bezirken. Verändert hat sich in all der Zeit das Niveau des Wohnungsstandards: Durch Stadterneuerung und Wohnungsmodernisierung hat es enorme Verbesserungen gegeben. Andererseits: Die Mieten sind heute eben auch auf einem wesentlich höheren Niveau. Eine sich verschärfende stadtentwicklungspolitische Schieflage entsteht derzeit dadurch, dass in der Innenstadt eine deutliche soziale Entmischung stattfindet.
MieterMagazin: In vielen Sozialwohnungsbauten erleben wir eine Entwicklung, die betroffenen Mietern das Fürchten lehrt.
Massalsky: Vor 20 Jahren hat der Mieterverein davor gewarnt, dass die Finanzierung des Sozialen Wohnungsbaus über das praktizierte System der Zinssubventionierung irgendwann zu exorbitanten Mietsprüngen führen wird. Genau das erleben wir nun gerade: Zahlreiche Mieter haben in den betroffenen Beständen Mieterhöhungen erhalten, die nicht mehr bezahlbar sind. In den nächsten Jahren wird noch in vielen Sozialbauten die Anschlussförderung ausgesetzt. In den innenstadtnahen Objekten muss mit einer massiven Mieterverdrängung gerechnet werden, wenn nicht rasch Hilfe geschaffen wird.
MieterMagazin: Wie könnte man dagegen steuern?
Massalsky: Es kann nicht angehen, dass Mieter in Sozialwohnungen schlechter gestellt werden als ihre Nachbarn im freifinanzierten Wohnungsbau, deren Miethöhe über den Mietspiegel reglementiert wird. Das Mindeste ist also eine Deckelung der Mieten auf einem Niveau unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete.
MieterMagazin: Was brennt nach Ihrer Einschätzung den Berliner Mietern derzeit besonders unter den Nägeln?
Massalsky: Wenn ich die Fälle in der Beratungspraxis des Mietervereins zugrunde lege, dann sind das die Betriebs- und Heizkosten, insbesondere die enorm wachsenden Energiepreise. Da ein Ende dieser Preisspirale nicht abzusehen ist, müssen Regelungen geschaffen werden, um einerseits Hauseigentümer zu energetischen Modernisierungsmaßnahmen zu veranlassen, andererseits die damit verbundenen Mieterhöhungen in einem vertretbaren Rahmen zu halten.
Problematisch: Der Senat privatisiert weiter
MieterMagazin: Berlin wird seit 2002 von einer rot-roten Regierung regiert, für Mieterinteressen – so sollte man glauben – nicht die schlechteste aller politisch denkbaren Ausgangslagen. Und doch verweigert sich diese Koalition einer aktiven Wohnungspolitik. Was würden Sie sich im Interesse der Berliner Mieter wünschen von Herrn Wowereit und seiner Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer?
Massalsky: Ich würde nicht sagen, dass dieser Senat keinerlei Politik im Sinne der Mieter betreibt. Wen man sich beispielsweise betrachtet, wie in Berlin mit Hartz-IV-Beziehern verfahren wurde, deren Wohnungsmieten über den Bewilligungsgrenzen lagen, dann lässt sich daran schon eine gewisse soziale Handschrift erkennen.
MieterMagazin: Keine Kritik also?
Massalsky: Doch. Unzugänglich zeigt sich dieser Senat vielen Argumenten gegenüber, die sich gegen wohnungspolitisch problematische Entwicklungen wenden – beispielsweise die Privatisierung kommunaler Wohnungsunternehmen. Diese ist bis heute trotz entsprechender Beschlüsse und Beteuerungen nicht zum Stillstand gekommen.
MieterMagazin: Der Mieterverein hat sich in den letzten drei Jahrzehnten zum umfassenden Dienstleister für Fragen rund um Mietverhältnis und Mietwohnung entwickelt. Früher bestand der Zweck von Vereinen in Deutschland eher in der Zusammenkunft und Pflege gemeinsamer Interessen. Verstaubt der ideelle Gesichtspunkt mittlerweile auf dem Dachboden der Geschichte?
Massalsky: Der Berliner Mieterverein hat mit seinen rund 150000 Mitgliedern selbstverständlich eine andere Geschäftsgrundlage als beispielsweise ein Skat-Verein. Die meisten Mitglieder sind bei uns wegen des professionellen Dienstleistungsangebots eingetreten, insofern erfüllen wir hier entsprechende Erwartungen. Andererseits bietet dieser Verein auch die Möglichkeit, sich in ehrenamtlichen Funktionen – in den Bezirken, im Beirat oder als Delegierter – zu engagieren und auch politisch tätig zu werden. „Vereinsleben“ findet also durchaus statt.
MieterMagazin: Stichwort Dienstleister: Welche Aufgaben sieht der neue alte Vorsitzende auf der Zukunftsagenda des Berliner Mietervereins?
Massalsky: In den vergangenen Jahren sind wir mit dem Aufbau eines Netzes von Beratungszentren deutlich näher an unsere Mitglieder herangerückt und sind für diese komfortabler erreichbar. Gleichzeitig zeigt der Verein im Stadtbild auch mehr Präsenz. Das ist der richtige Weg, den wir weiter gehen müssen. Das kann durch Aufbau neuer Beratungszentren geschehen, auch durch die Ausweitung der Beratungszeiten und -angebote, zum Beispiel am Wochenende.
Senioren im Mieterverein gut aufgehoben
MieterMagazin: Das Durchschnittsalter in der Gesellschaft wächst. Muss der Mieterverein künftig mehr Dienstleistungsangebote speziell für Ältere anbieten?
Massalsky: Wenn ich unsere Angebote betrachte, sehe ich die Senioren schon sehr gut aufgehoben bei uns. Sehr viel mehr müssen wir uns um die jüngeren Leute kümmern. Speziell die Altersgruppe der Ende 20- bis 40-Jährigen, die einen eigenen Haushalt oder eine Familie gründen, müssen wir stärker für den Mieterverein gewinnen. Hierzu wird es sicher auch nötig sein, neue Kommunikationswege ins Auge zu fassen.
MieterMagazin: Die Hauptgeschäftsstelle in der Nähe des Brandenburger Tores ist in ihren Kapazitäten ausgereizt und platzt aus allen Nähten. Ist Abhilfe in Sicht?
Massalsky: Die Platzfrage ist tatsächlich ein Problem: Neue Berater, die wir infolge der zunehmenden Arbeit benötigen, können wir nicht mehr unterbringen. Wir haben schon Mitarbeiter, die wegen der Platzkapazitäten nur halbtags in der Geschäftsstelle arbeiten und den anderen halben Tag zu Hause. Wir brauchen eine deutlich größere Hauptgeschäftsstelle, die gleichzeitig auch verkehrsgünstig liegen muss. Ich denke, dass wir dieses Problem in absehbarer Zeit lösen können.
MieterMagazin: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch führte MieterMagazin-Redakteur Udo Hildenstab.
MieterMagazin 7+8/10
BMV-Vorsitzender Edwin Massalsky (links im Bild) mit Vorgänger Dr. Franz-Georg Rips
Foto: Sabine Münch
Edwin Massalsky
beim MieterMagazin-Gespräch
Fotos: Christian Muhrbeck
Urgestein
Der Reinickendorfer Kaufmann Edwin Massalsky, Jahrgang 1943, ist gewissermaßen BMV-Urgestein. Er war schon in den 80er Jahren in dem – damals West-Berliner – Verein aktiv, als man in einer großangelegten Kampagne für die Beibehaltung der Mietpreisbindung in der Frontstadt kämpfte und Dutzende von Häuser, die Wohnungsspekulanten leer stehen ließen, von Hausbesetzern in Beschlag genommen wurden. Massalsky war auch einer der Gründer der Initiative, die sich seinerzeit gegen den Bau der Autobahn durch den Tegeler Forst zur Wehr setzte. Zusammen mit Dr. Regine Grabowsky und Eugen Koch bildet er den Vorstand des Berliner Mietervereins, seit Mai 2010 erneut als Vorsitzender.
uh
01.06.2013