Nach gut 15 Jahren ist das Weißenseer Komponistenviertel als Sanierungsgebiet aufgehoben worden. Das Zentrum des ehemaligen Bezirks Weißensee hat zwar an Bedeutung verloren und die Berliner Allee besitzt als Einkaufsstraße nur noch wenig Ausstrahlung, doch als Wohnort ist das Komponistenviertel sehr beliebt geworden. Auffällig ist der starke Zuzug aus dem benachbarten Prenzlauer Berg.
Der Antonplatz ist der Dreh- und Angelpunkt des Komponistenviertels. Der Platz wurde in zwei Abschnitten völlig neu gestaltet und auch die Gehwege, Fahrbahnen und Straßenbahngleise der Berliner Allee wurden runderneuert. Dennoch leidet die Einkaufsstraße: Fachgeschäfte geben auf, Billigketten und Ramschläden rücken nach. Die Rahmenbedingungen sind also nicht gerade optimal. Trotzdem brachte die Sanierung dem Komponistenviertel einen Aufschwung.
Als das Sanierungsgebiet im Dezember 1994 festgelegt wurde, waren die Wohngebäude oft in schlechtem Zustand und hatten große Ausstattungsmängel. Neben drei- und viergeschossigen Gründerzeitgebäuden gibt es vor allem in den Nebenstraßen auch noch viele ältere und niedrigere Bürgerhäuser mit gewerblich genutzten Nebengebäuden und Remisen auf dem Hof. 90 Prozent der Wohnungen wurden bei Sanierungsbeginn mit Kohleöfen beheizt, 38 Prozent hatten kein Bad und 14 Prozent nur Außentoiletten. Zehn Prozent standen leer.
Von den 3440 Wohnungen sind heute 61 Prozent umfassend modernisiert und instandgesetzt worden. Etwa die Hälfte der insgesamt 70 Millionen Euro, die an öffentlichen Fördergeldern ins Komponistenviertel flossen, ging in die Wohnungssanierung. Bis 2001, als der Senat diese Subvention beendete, wurde damit die Erneuerung von 579 Wohnungen gefördert. Diese Wohnungen kann der Bezirk an sanierungsbetroffene oder einkommensschwache Bewohner zu einer in der Höhe begrenzten Miete vergeben. In den meisten Fällen gelten diese Sozialbindungen 20 Jahre lang.
Durch den Neubau von Wohnungen in 61 Baulücken und Dachgeschossausbauten ist die Gesamtzahl der Wohnungen um 30 Prozent auf rund 4500 gestiegen. Die Einwohnerzahl ist in den vergangenen 15 Jahren von 5200 auf 7300 angewachsen – ein Anstieg um 39 Prozent. Die Bewohnerschaft hat sich in dieser Zeit stark gewandelt, wenn auch nicht so gründlich wie in vielen innerstädtischen Vierteln. 23 Prozent der heutigen Gebietsbewohner lebten auch schon zu Beginn der Sanierung hier. In manchen Quartieren von Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain liegt dieser Wert bei nur noch zehn Prozent. Auch die durchschnittliche Wohndauer ist im Komponistenviertel gesunken. 1992 wohnten die Mieter im Schnitt 25 Jahre lang an Ort und Stelle, heute beträgt die Wohndauer im Mittel noch 11,4 Jahre. Im Vergleich mit der extremen Fluktuation, die beispielsweise in Friedrichshain herrscht, sind die Weißenseer ihrer Wohnung aber immer noch relativ treu.
Die Haushalte werden größer
Das Komponistenviertel ist für Familien attraktiver geworden: Familiengerechte Wohnungen sind in den Neubauten entstanden und wurden in den Altbauten durch das Zusammenlegen kleiner Wohnungen geschaffen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße hat sich daher gegen den Berliner Trend von 1,8 Personen im Jahr 1990 auf 2,2 Personen im Jahr 2009 erhöht.
Zugezogen sind vor allem Erwachsene im Alter zwischen 27 und 45 Jahren. Auch der Kinderanteil stieg in dem zuvor als „überaltert“ geltenden Komponistenviertel stark an. Die neuen Bewohner kommen vor allem aus anderen Teilen Weißensees und aus Prenzlauer Berg. „Der Anteil der aus dem Ortsteil Prenzlauer Berg zugezogenen Haushalte liegt nach der letzten Umfrage von 2009 bei fast 24 Prozent“, erklärt Elfi Czaika von der Sanierungsbeauftragten „Planungsgruppe Werkstadt“. Es liegt also die Vermutung nahe, dass sie vor den seit Jahren anziehenden Mieten in Prenzlauer Berg ins benachbarte Weißensee ausgewichen sind, ein auch aus anderen Gebieten bekanntes Phänomen.
Allerdings machen auch die Mietsteigerungen vor der ehemaligen Bezirksgrenze nicht halt. Die von der Sozialforschungsgesellschaft Gesoplan erstellte Abschlussuntersuchung ergab, dass sich die Durchschnittsmiete im Komponistenviertel seit 1994 verdoppelt hat. Die Mieter müssen heute durchschnittlich 5,25 Euro pro Quadratmeter nettokalt bezahlen, inklusive Betriebs- und Heizkosten 7,58 Euro. In allen Kategorien liegen die Mieten bereits über den Werten des Berliner Mietspiegels. Die Haushalte müssen im Schnitt 25,5 Prozent ihres Einkommens für die Bruttokaltmiete aufbringen. Bei Neuvermietungen mussten 2009 durchschnittlich schon 6,95 Euro pro Quadratmeter nettokalt gezahlt werden. Die Mieten ziehen also weiter an.
Wie in allen Aufwertungsgebieten werden seit einigen Jahren immer mehr Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt. Die Erwerber dieser Wohnungen sind meist Kapitalanleger und wollen nur selten selbst einziehen. Stattdessen erwarten sie durch die Vermietung eine entsprechende Rendite. Der Anstieg des Mietniveaus wird damit also noch befeuert.
Das Quartier weckt Anlegerinteressen
Die „Puccini-Hofgärten“ zeigen, dass es in Weißensee mittlerweile sogar eine Nachfrage im oberen Preissegment gibt: In der Puccinistraße wird eine ehemalige Gummiwarenfabrik schrittweise zu einer exklusiven Wohnanlage mit 85 Apartments, Lofts und Townhouses umgebaut. Für eine 219 Quadratmeter große Penthouse-Wohnung muss man 790.000 Euro auf den Tisch legen, das entspricht einem Quadratmeterpreis von 3600 Euro. Die seit 2007 fertiggestellten Wohnungen sind alle verkauft, im Frühjahr 2011 soll der letzte Bauabschnitt abgeschlossen werden.
Auch Baugruppen, die gemeinschaftlich Wohneigentum errichten, haben Weißensee entdeckt. Im Komponistenviertel errichten sie allerdings nicht so sehr Mehrfamilienhäuser, sondern vor allem Reihenhausanlagen wie etwa in der Mahlerstraße 38 und 40 sowie in der Gounodstraße 50.
Mit der Entlassung aus der Sanierung ist die Entwicklung nicht beendet. Bei 1200 Altbauwohnungen besteht immer noch Sanierungsbedarf. Im Gebiet gibt es noch Baulandreserven, auf denen sich bis zu 1000 Wohnungen errichten lassen. Insgesamt hat die öffentliche Hand 20 Millionen Euro in Schulen, Kitas, Jugend- und Bildungseinrichtungen investiert.
Jens Sethmann
MieterMagazin 9/10
Facelifting bei der öffentlichen Infrastruktur, moderner Standard bei den Wohnungen: das Komponistenviertel nach der Sanierung
alle Fotos: Sabine Münch
Es gibt auch Wohnen im hochpreisigen Segment: die „Puccini-Hofgärten“
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Downtown Weißensee
Das Sanierungsgebiet Komponistenviertel war knapp 50 Hektar groß und umfasste 477 Grundstücke im Zentrum des Ortsteils Weißensee. Zu beiden Seiten der Berliner Allee erstreckte sich das Gebiet von der Grenze zu Prenzlauer Berg bis an die Indira-Gandhi-Straße sowie vom Pistoriusplatz bis an den Jüdischen Friedhof. Obwohl Weißensee für viele Berliner schon „jwd“ ist, sind es vom Antonplatz zum Alexanderplatz nur vier Kilometer oder 16 Minuten mit der Straßenbahn.
js
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… da waren‘s nur noch sieben
Im Juni hat der Senat vier Sanierungsgebiete nach rund 15 Jahren entlassen. Neben dem Komponistenviertel in Weißensee sind das die Gebiete Traveplatz/Ostkreuz in Friedrichshain, Wederstraße in Neukölln und Oberschöneweide. Die Aufhebung des Gebietes Winsstraße in Prenzlauer Berg, die ebenfalls für 2010 vorgesehen war, wurde um ein Jahr verschoben. Von den 22 Sanierungsgebieten des ersten Gesamt-Berliner Stadterneuerungsprogramms sind damit noch sieben übrig. Davon befinden sich vier in Prenzlauer Berg und je eines befindet sich in den Bezirken Pankow, Friedrichshain und Treptow.
js
20.12.2015