Am Wasserturm in Prenzlauer Berg plant ein Investor, eine 60er-Jahre-Wohnanlage komplett umzubauen. Die Bewohner fühlen sich bedrängt, und die Politik ist sich weitgehend einig, dass die geplante Verdichtung verhindert werden müsste. Selbst Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) entdeckt den Mieterschutz und eröffnet damit den Wahlkampf.
Zwischen Belforter und Metzer Straße stehen an der Straßburger Straße drei Zeilenbauten mit zusammen 110 Wohnungen. Gebaut wurden sie 1961. Viele der heutigen Mieter sind noch Erstbewohner, einige haben sich durch geleistete Aufbaustunden die Wohnung erarbeitet.
Als vor vier Jahren direkt nebenan an der Ecke Kollwitz-/Belforter Straße die Luxuswohnanlage „Palais KolleBelle“ hochgezogen wurde, bekamen die Bewohner schon ein mulmiges Gefühl. Nicht zu unrecht: Der „KolleBelle“-Projektentwickler Econcept hat nun auch ihr Grundstück gekauft und plant eine „Stadtreparatur“, so Econcept-Chef Rainer Bahr.
Die offene Seite zur Straßburger Straße will er durch einen siebengeschossigen Neubauriegel mit 70 teuren Eigentumswohnungen schließen. Dafür sollen zwei Aufgänge mit zusammen 20 Wohnungen abgerissen werden. Außerdem möchte Bahr die bestehenden Gebäude um ein Dachgeschoss aufstocken und mit Aufzügen ausstatten sowie zwischen den Häusern zwei Tiefgaragen mit zusammen 140 Stellplätzen bauen – was die Hofbegrünung vernichten würde. Econcept macht also aus der offenen Wohnanlage zwei Hinterhöfe und rückt den Mietern von links und rechts, von oben und unten auf die Pelle.
„Sozialverträglich“ will Bahr sein Vorhaben machen, indem er den über 70-jährigen Mietern einen lebenslänglichen Schutz vor Eigenbedarfskündigungen garantiert, den übrigen für zehn Jahre. Fünf Jahre soll die Miete nicht erhöht werden. Die vom Abriss betroffenen Mieter könnten alle innerhalb der Anlage eine neue Wohnung bekommen. Den ausziehenden Mietern bietet er 10 000 Euro und die Umzugskosten an. Klingt gut, ist aber bei genauer Betrachtung nicht viel mehr, als er nach geltender Rechtslage ohnehin anbieten muss. „Für mich entstehen nur Nachteile – in jeder Hinsicht“, sagt eine Mieterin.
Im Bezirksamt war man sich schon länger bewusst, dass die Wohnanlage in der Immobilienbranche Begehrlichkeiten wecken würde. „Wir haben im Juli die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen, der zum Ziel hat, die Überbaubarkeit zu begrenzen“, erklärt der Pankower Baustadtrat Michail Nelken (Linke). „Wir müssen hier keine Stadtreparatur betreiben, die Blöcke sind in Ordnung“, stimmt ihm der SPD-Bezirksverordnete Klaus Mindrup zu.
Ende August trat dann Kollwitzplatz-Anwohner Wolfgang Thierse medienwirksam auf den Plan und kritisierte den Baustadtrat scharf: Er habe „jahrelang nichts zum Schutz der Wohnanlage unternommen“ und weine nun „Krokodilstränen um die bezahlbaren Wohnungen, die zu sichern er selbst versäumt hat“, so Thierse. Seine Kritik fällt allerdings auf seine Parteigenossen in der Berliner Landesregierung zurück. Unter der Regie von SPD-Senatoren wurde die Bauordnung so verändert, dass derartige bauliche Verdichtungen kaum noch zu verhindern sind.
Jens Sethmann
MieterMagazin 11/10
Der „Kolle-Belle“-Investor plant ein weiteres Neubauvorhaben in der benachbarten Straßburger Straße
Foto: Jens Sethmann
04.04.2013