In fast jedem Mietshaus gibt es mal Konflikte, sei es wegen Lärms, unterschiedlicher Lebensgewohnheiten oder wegen rücksichtslosen Benehmens. Wenn Nachbarn jedoch aufgrund ihrer Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit beleidigt und beschimpft werden, ist die Grenze des Hinnehmbaren überschritten.
In der Beratung des Antidiskriminierungsnetzwerks Berlin (ABNB) tauchen immer wieder Mieter mit Migrations- oder ausländischem Hintergrund auf, die über verbale Anfeindungen durch ihre Nachbarn berichten. „Wir haben festgestellt, dass es ein bestimmtes Muster gibt: Meist sind die betroffenen Familien gerade in ein Umfeld gezogen, wo wenig oder gar keine Migranten leben“, erklärt Eva Andrades vom ADNB, einem Projekt des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg. Die deutschen Nachbarn beschweren sich dann über lärmende Kinder, häufigen Besuch, fremde Essensgerüche oder lautes Türenschlagen. Ebenfalls ein beliebter Vorwurf: Der Müll werde nicht richtig entsorgt.
Berechtigte Kritik oder Schmähung?
Ob die Vorwürfe berechtigt sind, steht auf dem einen Blatt. Auf einem ganz anderen – und das ist nicht hinnehmbar –, dass solche Vorwürfe begleitet werden von eindeutig diskriminierenden Aussagen wie: „Was macht ihr eigentlich hier? Geht doch zurück nach Wedding oder Neukölln.“ In einigen Fällen fanden sich sogar anonyme Briefe mit Beschimpfungen im Briefkasten.
Häufig, so Andrades, entwickele sich dann eine Spirale, die von Beschwerden bei der Hausverwaltung über Polizeieinsätze bis hin zu Anzeigen wegen angeblicher Sachbeschädigung und Diebstahl geht. In einem Fall wurde sogar das Jugendamt wegen vermeintlicher Vernachlässigung von Kindern eingeschaltet. Die Behörde stellte dann zwar fest, dass innerhalb der angezeigten Familie alles in Ordnung war, doch für die Familie bedeutete dies wochenlange Aufregung und Lauferei.
Die meisten Betroffenen, so Andrades, halten erst einmal still und nehmen die Beleidigungen hin, doch spätestens wenn die Abmahnung von der Hausverwaltung kommt, sind sie beunruhigt. „Die Betroffenen haben das Gefühl, dass man sie einfach nicht im Haus haben will – als letzten Ausweg sehen sie nur den Auszug“, sagt Eva Andrades, die von einem „systematischen Hinausmobben“ spricht.
Eine Nachbarschaftsmediation, wie sie auch der Berliner Mieterverein für seine Mitglieder anbietet, ist in einer solchen Situation meist nicht mehr möglich, denn die Verletzungen haben meist einen Grad erreicht, bei dem an ein Zusammensetzen nicht mehr zu denken ist.
Doch es gibt Möglichkeiten, sich als Betroffener zur Wehr zu setzen. Zwar ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – besser bekannt als Antidiskriminierungsgesetz – in diesem Fall nicht anwendbar, es greift nur im Bereich des Arbeitslebens sowie bei der Vermietung von Wohnungen, nicht aber bei Diskriminierung durch Privatpersonen. Doch beim ADNB sieht man trotzdem auch den Vermieter in der Verantwortung. „Die Hausverwaltung muss Einfluss nehmen auf die Störer und Fehlverhalten abmahnen“, fordert Eva Andrades.
Sie empfiehlt betroffenen Migranten, nicht passiv zu bleiben, sondern sich zu beschweren und gegebenenfalls auch Anzeige wegen Beleidigung zu erstatten. „Nicht einschüchtern lassen“, heißt es auch beim Berliner Mieterverein.
Birgit Leiß
MieterMagazin 11/10
Manchmal sorgt allein die Herkunft des Nachbarn für Animositäten
Foto: Paul Glaser
Beratung bei Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft, Religion, Behinderung, sexueller Identität und so weiter:
Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg,
Tempelhofer Ufer 21, 10963 Berlin,
Tel. 61 30 53 28,
Beratungszeiten:
Dienstag: 15 bis 17 Uhr,
Donnerstag: 10 bis 12 Uhr
oder nach telefonischer Vereinbarung
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Schaufenstergesetz?
Das geplante und bereits vom Berliner Senat beschlossene Integrationsgesetz will die Chancengleichheit von Migranten verbessern und ihre Partizipationsrechte stärken. Künftig soll bei Stellenausschreibungen im öffentlichen Dienst die interkulturelle Kompetenz der Bewerber eine größere Rolle spielen. Feste Migrantenquoten soll es aber nicht geben. Zudem sollen in allen Bezirken Integrationsausschüsse eingeführt werden, die zuständig sind für alle Angelegenheiten, die Auswirkungen auf die Integration haben. Noch handelt es sich um einen Entwurf, der zudem heftig umstritten ist. Sowohl bei einigen Migrantenverbänden als auch bei Politikern aller Parteien stößt der Gesetzentwurf auf Ablehnung. Hauptkritikpunkt: Die wirklichen Probleme der Integration, etwa bei der Bildung, werden dadurch nicht gelöst. Von einem „Schaufenstergesetz“ ohne jegliche praktische Bedeutung sprechen die Kritiker. Der Bereich des Wohnens ist völlig ausgeklammert. Es gehe schließlich nicht um Schutz vor Diskriminierung, sondern um ein Recht zur Teilhabe, heißt es zur Begründung.
bl
30.04.2024