In Berlin ist ein neuer Streit um die Situation auf dem Wohnungsmarkt der Hauptstadt entbrannt. Während die für Wohnen zuständige Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD), beharrlich auf ein breites und günstiges Wohnungsangebot verweist, sehen Experten der Wohnungswirtschaft und der Berliner Mieterverein deutliche Anzeichen einer Anspannung.
Auf dem 8. Berliner Immobiliendialog von Investitionsbank (IBB) und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Ende letzten Jahres prallten die unterschiedlichen Bewertungen des Berliner Wohnungsmarktes deutlich aufeinander. Die Zahl der Einwohner steige in Berlin leicht an, erklärte Roman Heidrich vom Immobilienmakler Jones Lang LaSalle, die Zahl der nachfragerelevanten Haushalte sogar deutlich. Nach einem Szenario des Vermieterverbandes BBU nimmt die Anzahl der Haushalte bis 2012 um etwa 7500 jährlich zu. Bereits im Jahre 2013 wird der rechnerische Überhang an Wohnungen für den gesamten Berliner Wohnungsmarkt aufgebraucht sein, prognostizierte Daniel Hofmann vom Forschungsinstitut Gewos. „Die Kluft zwischen geringem Angebot und wachsender Nachfrage vertieft sich in begehrten City- und Cityrandlagen besonders stark“, heißt es in dem gemeinsam von Jones Lang LaSalle und der ehemals städtischen GSW herausgegebenen Wohnungsmarkt-Report.
Doppelte Mietspiegel-Miete
Vor allem in Prenzlauer Berg und Mitte rund um die „Linden“ bis hin zum Alex und dem Hackeschen Markt werden Wohnungen über 10 Euro pro Quadratmeter nettokalt angeboten. Auch Mietforderungen von 13 Euro und mehr sind keine Seltenheit mehr, bestätigte Maklervertreter Heidrich. Rund um die Kreuzberger Bergmannstraße würden derzeit regelmäßig Miethöhen von mehr als 7 Euro pro Quadratmeter nettokalt abgeschlossen – oft das Doppelte der entsprechenden Mietspiegelmiete. Die Mietentwicklung in Kreuzberg-Friedrichshain war dann auch Anlass für den dortigen Bürgermeister Franz Schulz (Grüne), in einem offenen Brief den Regierenden Bürgermeister Wowereit aufzufordern, im Bund eine Mietrechtsreform zum Schutz der Mieter anzustoßen. Der flächendeckende Anstieg bei den Neuabschlussmieten hat Konsequenzen – nicht nur für die Wohnungssuchenden. Denn diese Preisentwicklung treibt auch die Bestandsmieten nach oben, erklärt Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins.
„Die Neuabschlussmieten müssen dringend wieder begrenzt werden, da sie das Einfallstor für rasante Mietsprünge in Teilen von Berlin sind“, fordert der Vorsitzende des Berliner Mietervereins, Dr. Franz-Georg Rips. Der Berliner Senat müsse deshalb eine Gesetzesinitiative auf den Weg bringen, mit dem die Mietpreisüberhöhung gemäß Wirtschaftsstrafgesetz in Berlin wieder verfolgt werden könne.
Weil Berlin seit einiger Zeit gesamtstädtisch laut Rechtsprechung kein Gebiet mit einer Wohnungsmangellage ist, kann eine Mietpreisüberhöhung hier nicht verfolgt werden. Der Berliner Mieterverein schlägt nun vor, dass die Voraussetzung der Verfolgung auch schon dann gegeben sein soll, wenn nur in Teilen einer Kommune eine Wohnungsmangellage existiert. Dieser Vorschlag fand allerdings beim Senat keine Unterstützung: Man wolle zunächst die Ergebnisse der Mietspiegelbefragung abwarten, ließ die Staatssekretärin aus der Stadtentwicklungsverwaltung, Dunger-Löper (SPD) verlauten.
Reiner Wild
MieterMagazin 1+2/09
Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage treibt in begehrten Lagen wieder die Mieten hoch (hier: Wilmersdorf)
Foto: Christian Muhrbeck
Uneinigkeit über den Leerstand
Von herausragender Bedeutung für die Einschätzung des Wohnungsmarktes ist die Zahl längerfristig leer stehender Wohnungen. Wie viele Wohnungen leer stehen, darüber herrscht in der Stadt aber keine Einigkeit. Laut Angaben der Abrechnungsfirma „techem“ stehen 74.800 Wohnungen leer, was nach deren Datengrundlage etwa 4,5 Prozent des Mietwohnungsbestandes ausmacht. Auch bei den BBU-Unternehmen wurde ein Wohnungsleerstand von 4,6 Prozent im Jahre 2007 ermittelt. Der Senat geht aber weiterhin von 109.000 leeren Wohnungen aus, was auf der Basis seiner Berechnung einer Quote von 5,71 Prozent entspricht. An diesen Zahlen ist Kritik laut geworden. Es würden nicht vermietbare Wohnungen mitgezählt, schrieb jüngst die „Berliner Zeitung“. Die vom Senat angegebene Zahl leer stehender Wohnungen sei zu hoch, kritisierte auch der Berliner Mieterverein. Für die Einschätzung des Wohnungsmarktes komme es einzig darauf an, Wohnungen zu zählen, die dem Wohnungsmarkt auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Wohnungen, die nicht angeboten würden, müssten demnach herausgerechnet werden.
rw
09.06.2013