Heute weist am Majakowskiring in Pankow-Niederschönhausen nicht mehr viel darauf hin, dass hier einst die Regierungsspitze der untergegangenen DDR wohnte. Das ehemals eingezäunte Sperrgebiet wird langsam wieder zu dem, was es ursprünglich einmal war: ein bürgerliches Wohnviertel.
Volksnähe wurde seinerzeit bei den Herrschenden der gerade gegründeten DDR nicht besonders groß geschrieben: Sie ließen sich alle in einer abgeriegelten Villengegend in Pankow nieder. Das Gebiet zwischen Grabbeallee und dem Schloss Schönhausen war für seine Zweckbestimmung als Regierungswohnviertel ideal: Das Schloss, das zum Amtssitz des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck erklärt wurde, lag in unmittelbarer Nähe und die Häuser im Quartier waren schon 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht freigeräumt worden. Die Militärs hatten das Gebiet eingezäunt und es „Gorodok“ („Städtchen“) genannt. Mit der Eigenständigkeit der DDR 1949 zogen sich die Sowjetbefehlshaber nach und nach von dort zurück und überließen die Häuser der neuen Regierung. Aus dem Militär- wurde das auch offiziell so genannte Regierungsstädtchen.
Das ganze Gebiet um den Majakowskiring war anfänglich von einem Bretterzaun, später von einer festen Mauer umschlossen. Die Einfahrt von der Ossietzkystraße war mit einem Schlagbaum gesichert und wurde streng bewacht. Hier kam niemand unangemeldet herein. Die Bewohner brauchten ihre Haustüren nie abschließen.
Die Staatsführung kam als Mieter
In den 50er Jahren wohnte die gesamte Staatsspitze dort: Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Willi Stoph, Erich und Margot Honecker, Kurt Hager, Horst Sindermann und Erich Mielke – um nur einige zu nennen. Das Städtchen hatte eigene Versorgungseinrichtungen, die auch von Staatsgästen genutzt werden konnten: zwei HO-Läden, einen Friseursalon und einen Schneider. Für die Funktionärskinder gab es einen eigenen Kindergarten. Der sportbegeisterte Ulbricht ließ einen Tennisplatz anlegen.
Die meisten Häuser blieben im Eigentum der ursprünglichen Besitzer. Sofern sie keine „Naziaktivisten“ oder „Kriegsverbrecher“ waren, wurde ihr Eigentum nicht enteignet, sondern nur beschlagnahmt. Die neuen Bewohner waren also Mieter. Wilhelm Pieck, der seit 1945 im Majakowskiring 29 wohnte, zahlte die Miete für seine Wohnung und die von ihm übernommenen Möbel anfangs sogar noch in bar direkt an den Eigentümer. Später wurde eine staatliche Verwaltung eingeschaltet. Diese musste die Bewohner bisweilen daran erinnern, dass sie zur Miete wohnten. So hatte sich die Vizepräsidentin des Obersten Gerichts und spätere Justizministerin Hilde Benjamin, die im Majakowskiring 59 wohnte, unter anderem darüber beschwert, dass die Gartenhecke nicht beschnitten werde und die Farbe am Balkon abblättere. Die Verwaltung beschied ihr, dass ihr der Garten zusammen mit der Wohnung vermietet worden sei: „Für die Pflege desselben müssen Sie daher bitte selbst sorgen.“ Und: „Bei dem Balkonanstrich handelt es sich um die malermäßige Instandhaltung der Wohnung, die nach dem Mietvertrag Sache des Mieters ist.“ Die damals frisch promovierte Juristin hatte es also mit dem Mietrecht nicht so genau nehmen wollen.
Für die Eigentümer, die ihre Villen in den 30er Jahren meist noch selbst gebaut hatten, war an den prominenten Mietern nichts zu verdienen: Die staatlich festgelegten Mieten waren oft niedriger als die Steuern, die für das Grundstück zu zahlen waren.
Im Jahr 1960 zog der ganze Regierungstross schließlich in die eigens erbaute Waldsiedlung Wandlitz. Das Städtchen blieb dennoch bis 1973 Sperrgebiet. Einige der ranghöchsten Funktionäre wie etwa Otto Grotewohl und Walter Ulbricht behielten hier einen Wohnsitz. Die freigewordenen Häuser übernahmen Kader aus der „zweiten Reihe“, dazu immer mehr Mitarbeiter der Stasi. Mehrere Villen wurden auch zu Gästehäusern der Regierung umgebaut. Nach Piecks Tod 1960 wurde sein Haus zunächst zu einer Gedenkstätte umgebaut, ab 1976 diente es dem Verband Bildender Künstler als Gästehaus. Grotewohls Haus Majakowskiring 46/48 nutzte nach dessen Tod 1964 der Schriftstellerverband als Begegnungsstätte. Im Majakowskiring 34, wo Johannes R. Becher, Kulturminister und Texter der später textlosen DDR-Nationalhymne, lebte, wurde nach seinem Tod 1958 eine Becher-Gedenkstätte eingerichtet.
Schlagbaum und Mauer verschwanden erst 1973, nachdem Walter Ulbricht gestorben war. Schon zwei Jahre zuvor war Ulbricht von Honecker entmachtet worden. Wohl auch um eine Ulbricht-Gedenkstätte zu verhindern, wurde sein gut erhaltenes Haus Majakowskiring 28 kurze Zeit später abgerissen. Gerüchteweise sollen aber auch so viele Abhörwanzen im Gemäuer gesteckt haben, die nicht mehr zu entfernen waren, dass kaum noch jemand dort hätte einziehen wollen. Auf dem Grundstück wurde ein Gästehaus gebaut. Ulbrichts Witwe Lotte wurde das Haus Majakowskiring 12 zugewiesen, wo sie 2002 als letzte Ur-Bewohnerin des Städtchens starb.
Mit der internationalen Anerkennung der DDR wurden ab 1973 einige Häuser zu Botschafterresidenzen. Der belgische und der französische Botschafter zogen an den Majakowskiring. 1977 folgte der polnische Bot-schafter.
Heute ist kaum noch zu erahnen, dass hier einmal die Staatsmacht zu Hause war. Der Straßenasphalt ist genauso rissig und die Gehwege sind genauso holprig wie in der Umgebung. Der ständige Fluglärm der Einflugschneise nach Tegel lässt kaum Gedanken an eine privilegierte Idylle aufkommen.
Ein Neubau auf Ulbrichts Tennisplatz
Die Häuser von Pieck, Grotewohl und Becher sowie das Erste Gästehaus am Majakowskiring 2 stehen unter Denkmalschutz. Vor dem Pieck-Haus erinnert noch ein unauffälliger Unterstand für den Wachposten an die einstige Bestimmung. Das Grundstück wurde geteilt, ein moderner Neubau ist hinzugekommen. Fast alle freien Grundstücke sind mittlerweile mit bis zu viergeschossigen Stadtvillen bebaut worden – auch Ulbrichts Tennisplatz. Die meisten Neubauten sind in kühl-sachlicher Avantgarde-Architektur ausgeführt, manche in ökologischer Holzbauweise, andere sehen wiederum aus wie aus dem Fertighaus-Musterkatalog.
Das Erste Gästehaus steht heute hinter einem sehr hohen Zaun. Es ist zusammen mit zwei Nachbarhäusern von der Wirtschafts- und Handelsabteilung der chinesischen Botschaft übernommen worden.
Die ehemalige belgische Residenz bewohnt heute der Botschafter von Sambia. Im ehemaligen Regierungskindergarten werden jetzt Kinder nach der Waldorf-Pädagogik erzogen. Das Haus Majakowskiring 58, in dem verschiedene Funktionäre lebten, ist mittlerweile ein Freizeithaus für Kinder. Erich Mielkes ehemaliges Haus Stille Straße 10 diente nach der Wende zunächst als Pankower Kulturamt, heute ist dort eine Seniorenbegegnungsstätte untergebracht.
Die alten Villen sind zum Teil rückübertragen, zum Teil verkauft worden und werden meist als Zweifamilienhäuser genutzt. Nach der Wende hatte Egon Krenz einige Zeit im Rudolf-Ditzen-Weg gewohnt. Von der SED-Nomenklatur wohnt aber längst niemand mehr hier. Stattdessen haben sich auffällig viele Steuerberater und Rechtsanwälte angesiedelt. Im Becher-Haus hat eine Immobilienfirma ihren Sitz. Bekannteste Bewohnerin ist wohl die Schauspielerin Jasmin Tabatabai, die in der Grotewohl-Villa lebt. Das Haus Rudolf-Ditzen-Weg 14, in dem Erich Honecker von 1955 bis 1960 lebte, ereilte das gleiche Schicksal wie das Domizil seines Vorgängers: Es wurde abgerissen.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/09
Das Haus Majakowskiring 2 a heute
Foto: Sabine Münch
Das Wohnhaus Otto Grotewohls nutzte nach 1964 der DDR-Schriftstellerverband
Foto: Sabine Münch
Die Kasbaumsche Villa
am Majakowskiring 2 heute
Sabine Münch
Literatur:
Hans-Michael Schulze, In den Wohnzimmern der Macht – Das Geheimnis des Pankower „Städtchens“,
Berlin Edition, Berlin 2001, 244 Seiten
mit CD-ROM, ISBN 3-8148-0091-5
Freiwillige Ghettobildung
Das Sicherheitsbedürfnis der DDR-Funktionäre war nur ein Grund, in einem abgeschirmten Ghetto zu wohnen. Auch das gegenseitige Misstrauen war ein Motiv: Man hatte sich untereinander besser im Blick, wenn man nah beieinander wohnte. Das Politbüro-Mitglied Karl Schirdewan bekam das 1958 zu spüren. Seine Angewohnheit, mit politischen Freunden bei Spaziergängen zu diskutieren und dabei den Majakowskiring mehrmals zu umrunden, wurde ihm als „Fraktionstätigkeit“ vorgeworfen. Schirdewan wurde politisch kaltgestellt und musste auch aus dem Städtchen ausziehen.
Unwohl fühlte sich auch der Schriftsteller Hans Fallada („Der eiserne Gustav“), der 1945 von Johannes R. Becher ins Städtchen geholt wurde. Fallada erhielt das Haus Eisenmengerweg 19 und war froh, ein intaktes Dach über dem Kopf zu haben. Doch blieb er inmitten von sowjetischen Militärs und KPD-Funktionären ein Fremdling und litt unter der abgeschotteten Lage. Er starb 1947 im Alter von 53 Jahren. Am Haus, in dem Fallada lebte, erinnert heute eine Gedenktafel an den Schriftsteller. Die Straße wurde 1995 nach seinem bürgerlichen Namen Rudolf Ditzen benannt.
js
04.06.2015