Eine Stadt ohne Hausnummern ist für uns heute unvorstellbar. Wie sonst sollen sich Ortsfremde orientieren, wie sollen Postbote und Feuerwehr eine Adresse finden? Doch auch im 21. Jahrhundert gibt es Millionenstädte wie Tokio oder Seoul, die ohne Hausnummern zurechtkommen.
Eingeführt wurde die Hausnummerierung nicht etwa, um den Menschen die Orientierung zu erleichtern, sondern um Steuereintreibern und Rekrutierungsoffizieren den Zugriff auf die Bewohner zu ermöglichen. Das belegt eindrucksvoll der Wiener Hausnummernhistoriker Anton Tantner. Zum ersten Mal tauchten die Hausnummern in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts auf. Vorher hatten die Häuser einen Namen, der aber nicht immer durch ein Schild sichtbar war. Das Problem dabei: Es gab viele gleich lautende Hausnamen – so hießen zum Beispiel in Wien gleich sechs Häuser „Zum Goldenen Adler“. Das große Unternehmen der Hausnummerierung ist geradezu charakteristisch für das 18. Jahrhundert, schreibt Tantner, der als Koryphäe auf diesem Gebiet gilt: „Ohne Ironie kann die Hausnummer als eine der wichtigsten Innovationen der Epoche der Aufklärung bezeichnet werden, jenes Jahrhunderts, das von Ordnung und Klassifikation geradezu besessen ist.“ Erst durch die Hausnummern wurde es möglich, systematisch Steuern und Abgaben zu erheben.
Gegen ungehemmtes Stadtwachstum …
Ob Prag oder Paris den Anfang machten, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Fest steht, dass 1727 in der Prager Judenstadt nicht nur die Häuser, sondern auch die Wohnungen stockweise nummeriert wurden. Etwa zur gleichen Zeit wurden in den Pariser Vorstädten erstmals Nummern in die Türstöcke geritzt. Hier diente die Hausnummer als Mittel im Kampf gegen das unkontrollierte Stadtwachstum. Die gekennzeichneten Häuser sollten nicht durch Baumaßnahmen erhöht werden. Doch die eigentliche Welle der Hausnummerierungen setzte einige Jahre später in Preußen ein. 1737 wurde angeordnet, dass in kleinen Städten am Tag vor dem Einmarsch des Militärs Nummern an die Häuser anzuschlagen sind. Sinn und Zweck war die Erleichterung der Militäreinquartierung sowie die Rekrutierung wehrfähiger Männer. 1752 wurde dann in Preußen die allgemeine Einführung von Hausnummerntafeln verordnet. Berlin war vorerst davon ausgenommen. In den folgenden Jahrzehnten trat die Hausnummer in ganz Europa ihren Siegeszug an. In Madrid wurde sie 1750 eingeführt, in London 1762 und in München 1770, wobei ganz unterschiedliche Nummerierungssysteme angewendet wurden. Berlin folgte erst relativ spät. Der Polizeipräsident Johann Philipp Eisenberg war es, der 1798 die Durchnummerierung der Stadt an der Spree in Gang brachte.
… und gegen liederliche Leute
Von Anfang an bemühten sich die Behörden nach Kräften, ihren Untertanen die neue Kontrolltechnik schmackhaft zu machen. Sie diene dazu, Bettler zu bekämpfen sowie „liederliche und gefährliche Leute“ ausfindig zu machen, hieß es. Doch die Bevölkerung blieb skeptisch, vielerorts regte sich sogar erbitterter Widerstand. So wurden in Böhmen die gerade angebrachten Nummern mit Kot beschmiert, zerkratzt und heimlich entfernt. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sträubten sich die proletarischen Bewohner eines Pariser Viertels dagegen, die „kalte, officielle“ Nummer bei der Angabe ihrer Adresse zu nennen, stattdessen bezeichneten sie ihr Haus lieber mit seinem Namen.
Dass Hausnummern auch ein Mittel der Diskriminierung sein können, zeigt das Beispiel der sogenannten Judenhäuser in der Habsburg-Monarchie. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Häuser jüdischer Besitzer mit römischen, das heißt lateinischen Zahlen gekennzeichnet anstatt der sonst üblichen arabischen Ziffern.
Mit dem Wachstum der Städte haben sich die meisten der ursprünglich angewandten Zählweisen als unpraktikabel erwiesen. Lediglich die blockweise Zählung blieb in einigen Städten erhalten. Das bekannteste Beispiel ist Mannheim. Ausgehend vom Schloss wurde dort die Innenstadt in Planquadrate aufgeteilt, so dass die Bewohner noch heute in „B 4“ oder „Q 1“ wohnen. Für nicht weniger Verwirrung bei Touristen und Zugezogenen sorgt das Berliner System. Statt wie gewohnt die geraden Ziffern auf der einen und die ungeraden auf der anderen Straßenseite zu finden, laufen die Zahlen vor und zurück. Der Hausnummer Eins liegt also genau gegenüber der höchsten Nummer. In Berlin gibt es noch eine weitere Besonderheit: Hier erhalten nicht nur bebaute, sondern auch unbebaute Grundstücke Nummern. Von behördlicher Seite wird daher auch nicht von Haus-, sondern von Grundstücksnummern gesprochen.
Metropolen ohne Nummern
Längst gehören Hausnummern ganz selbstverständlich zum Alltag. Für große Firmen kann es eine Prestigefrage sein, eine bestimmte Hausnummer zugeordnet zu bekommen, etwa Potsdamer Platz 1 oder Pariser Platz 1. Einige Adressen haben international Berühmtheit erlangt, man denke etwa an Downing Street No. 10 oder die Glockengasse No. 4711 in Köln, aus der das bekannte Duftwasser stammt. Außerhalb Europas gibt es aber immer noch hausnummernfreie Zonen. Wer in Tokio in ein Taxi steigt, muss eine Orientierungsskizze dabei haben. Ausgehend von einem wichtigen Anhaltspunkt, zum Beispiel einem Bahnhof, ist die gesuchte Adresse dargestellt. Auch in der 12-Millionen-Metropole Seoul gerät die Suche nach einem bestimmten Haus zum Geduldsspiel. Hier arbeitet aber bereits ein Team von Stadtplanern daran, ein westliches Adressierungssystem zu installieren. Auch Addis Abeba soll nicht mehr lange hausnummernfrei bleiben. Wasser-, Telefon- und Elektrizitätsbetriebe warten schon darauf, denn erst dann können sie Rechnungen verschicken. Bisher wird das Geld einmal im Monat an einer Sammelstelle bezahlt. Kein Zweifel: Adressen wie „zweite Querstraße bei der Moschee links, viertes Haus nach der Tankstelle“ wird es bald wohl nur noch in abgelegenen Orten oder kleinen Städten geben.
Birgit Leiß
Die Goldene Hausnummer
Zu einem begehrten Sammlerobjekt haben sich die Tafeln mit der „Goldenen Hausnummer“ entwickelt, die in den östlichen Bezirken an vielen Häuserfassaden hängen. In der DDR wurden damit vorbildliche Hausgemeinschaften ausgezeichnet, die beispielsweise in Eigenleistung Reinigungsarbeiten vornahmen, Hausfeste organisierten oder den Hinterhof begrünten. Viele Schilder wurden gleich nach der Wende entfernt, andere verschwanden bei der Sanierung. Nicht selten werden sie aber auch geklaut, um sie auf Flohmärkten zu verkaufen.
bl
Beleuchtete Hausnummer ist Pflicht
Nach dem Berliner Nummerierungsgesetz sind Hauseigentümer verpflichtet, an den Hauseingängen beleuchtete Grundstücksnummern anzubringen. Die Nummern müssen vom Gehweg und von der Fahrbahn aus gut sichtbar sein, damit Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienste die Adresse schnell finden. Defekte Beleuchtungen müssen unverzüglich instandgesetzt werden, sonst droht ein Bußgeld. Bezüglich des Aussehens gibt es nur wenige Vorgaben. Die Ziffern müssen sich vom Untergrund deutlich abheben und mindestens 10 Zentimeter hoch sein. Ob weiße Schrift auf blauer Tafel oder schwarze Schrift auf weißem Schild bleibt dem Hausbesitzer überlassen.
bl
MieterMagazin 1+2/09
Die Hausnummer als Prestigepflege:
die Adresse Pariser Platz 1
Fotos: Sabine Münch
Planquadrate: Eine sehr formale Zählweise pflegt die Stadt Mannheim
Foto: Anton Tantner
Bevor die Nummer kam, hatten Häuser einen Namen. Später wurden gelegentlich auch Nummern zu Namen
Fotos: Anton Tantner
Anton Tantner: Die Hausnummer –
Eine Geschichte von Ordnung und Unordnung.
Jonas Verlag, Marburg 2007,
80 Seiten, 15 Euro
Beleuchtete Hausnummer 47
am Hauseingang
Foto: Sabine Münch
Die Goldene Hausnummer 44
Foto: Sabine Münch
09.06.2013