Ein Besuch auf Pariser Prominenten-Friedhöfen wie Monmartre oder Père Lachaise gilt als Touristenattraktion und auch der Dorotheenstädtische Friedhof in Berlin-Mitte kann sich über mangelnde Besucher nicht beklagen. Doch wie steht es eigentlich mit den Friedhöfen der B-Prominenz, den vergessenen Politgrößen der Kaiser- und den Neureichen der Gründerzeit mit ihren pompösen Grabstätten von modischen Architekten, die heute zu verfallen drohen, weil keine Nachfahren mehr existieren oder das Geld zur Erhaltung der Grabanlage aus öffentlichen Mitteln nicht mehr aufgebracht werden kann?
Vor langer Zeit einmal als „unreine Orte“ vor den Toren der Stadt angelegt, liegen die historischen Berliner Friedhöfe aufgrund des rasanten Stadtwachstums zu Anfang des vorigen Jahrhunderts heute mitten in der Stadt, nicht selten in unmittelbarer Nachbarschaft attraktiver Altbauquartiere und tosender Hauptverkehrsstraßen. Manch einer nutzt den kurzen Spaziergang über den nahegelegenen Friedhof als Auszeit aus der Hektik des Alltagslebens, denn tritt man erst einmal durch das Friedhofstor, fühlt man sich wie in einer anderen Welt: Stille, Vogelgezwitscher, Bänke zum Ausruhen.
Nicht selten mussten Friedhöfe der Stadtplanung weichen, ganz zu schweigen von der Planierung vieler jüdischer Gräber in der Zeit des Na-tionalsozialismus. Kriegs- und Krisenzeiten machen selten vor den Gräbern der Toten halt. Auch der Alte St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg, zwischen Großgörschen- und Monumentenstraße gelegen, direkt an der S-Bahn-Trasse nach Norden, wurde im Dritten Reich Objekt stadtplanerischer Begehrlichkeiten: Eine große Anzahl von Gräbern wurde nach Stahnsdorf verlegt, um Platz für die von Albert Speer geplante „Nord-Süd-Achse“ als Verlängerung von Hitlers Machtzentrum an der Wilhelmstraße zu schaffen. Auf dem Friedhof befand sich auch das Grab des Verlegers Gustav Langenscheidt, nach dem eine nahe gelegene Straße in Schöneberg benannt ist. Deutlich ist in der Friedhofsanlage noch der Einschnitt erkennbar, der den historischen vom neuen Teil trennt.
Von Bolle bis Virchow
Dies alles erfährt man bei einem sonntäglichen Rundgang über den Friedhof mit Schülerinnen der Sophie-Scholl-Oberschule, der aus einer Projektwerkstatt zum Thema „Leben und Tod“ vor zwei Jahren mit dem Jugendmuseum hervorgegangen ist. Sieben Schülerinnen erarbeiteten eine kurzweilige Führung – mit kleinen Sketchen und Zitaten aus dem Lebenswerk auf dem Kirchhof begrabener Berühmtheiten. Sie führen die Besucher zu den Grabstellen, die sie selbst am meisten faszinieren: von der Begräbnisstätte des Unternehmers Bolle, der heute als Synonym für den Witz des einfachen Berliners von der Straße Legendenstatus erreicht hat, über das Grab des Komponisten Max Bruch, der Frauenrechtlerin Minna Cauer und dem Arzt Rudolf Virchow auch zu den Grabmälern der prominentesten dort Beigesetzten, den Gebrüdern Grimm.
Wie der Elfen-Forscher Wolfgang Müller einst herausfand, ist die Grabstelle der Märchensammler das Zentrum heftigster Elfenaktivität in Schöneberg. Sie war eine der Anlaufstellen bei seinen legendären Schöneberger Elfen-Rundgängen in den 90er Jahren. Wenn sie bis heute niemand dort beobachten konnte, so liegt dies wohl daran, dass Elfenwesen bekanntermaßen alles daransetzen, nicht gesehen zu werden.
Der Rundgang der Schülerinnen führt auch zu einigen alten Grabstellen, auf denen neben den Namen und Lebensdaten aus dem 19. Jahrhundert auch solche jüngeren Datums zu lesen sind: Patengräber. Etwa 30 Grabpatenschaften wurden seit den 80er Jahren auf dem alten St.-Matthäus-Kirchhof vergeben, wie Lutz Mertens, der Leiter der Kirchhofsverwaltung der Evangelischen Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde, zu der der Kirchhof gehört, zu berichten weiß. „Die Sterbeziffer ist in Berlin seit den 70er Jahren um ein Drittel zurückgegangen, so dass weniger Bestattungsplätze benötigt werden. Das hat dazu geführt, dass sich überhaupt erst ein Interesse für Denkmalschutz auf Friedhöfen entwickeln konnte – vorher wurde einfach alles abgerissen, um Platz zu schaffen.“
Individuelle Grabdenkmalpflege
Mit den Denkmalschutzbestimmungen kam aber auch das Problem der Finanzierung von Restaurierung und Erhalt der Grabstätten auf die Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde als Träger des Friedhofs zu. Dabei erwies sich schließlich die Idee, auf die Privatinitiative engagierter Mitbürger zu setzen, als fruchtbar – der Kölner Melatenfriedhof und der historische Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf hatten es vorgemacht. Mittlerweile ist das Konzept der Grabpatenschaften deutschlandweit verbreitet, auch auf vielen anderen Berliner Friedhöfen. Die Individualisierung der Spenden wird von den Geldgebern geschätzt. Und: Ein Großteil der Grabpaten greift auf das Angebot zurück, das Pflegegrab selbst später als Begräbnisstätte zu nutzen“, erklärt Lutz Mertens. Daran geknüpft ist im Patenschaftsvertrag jedoch die Zusammenarbeit mit der Friedhofsverwaltung und der Denkmalpflege, was die fachgerechte Restaurierung und die denkmalgerechte Bepflanzung angeht, auch dürften die Namen der ehemaligen Nutzer des Grabes nicht entfernt werden, da sie Bestandteil des Grabdenkmales sind.
Michael Westarp aus Charlottenburg hat sich gemeinsam mit seiner Frau entschieden, eine solche Grabpatenschaft zu übernehmen. Die Tatsache, dass das von ihm gepflegte Patengrab in unmittelbarer Nähe zu den ehemaligen Grabstellen zweier Tanten und eines 1870 im deutsch-französischen Krieg gefallenen und später auf den Alten St.-Matthäus-Kirchhof umgebetteten Verwandten liegt, löst nostalgische Gefühle bei ihm aus. Wichtig sei für ihn auch die gute Einbindung des Friedhofs in den nahegelegenen Kiez: „Ich sehe mich als leidenschaftlichen Städter und lebe in einem sehr urbanen Viertel.“
Nach dem Tod nicht vergessen zu werden, und zumindest topografisch in das urbane Leben integriert zu bleiben, ist auch für Mitglieder des Vereins „Denk mal positHIV“ der Grund gewesen, sich für die Pflege eines Patengrabes zu engagieren. Der Verein gründete sich im Jahr 2000 gezielt, um den vielen AIDS-Toten seit Ende der 80er Jahre einen Ort des Erinnerns einzuräumen. Aufgrund der Nähe zum traditionellen Schwulenkiez rund um Winterfeldtplatz und Kleistpark liegen viele auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof begraben – häufig in anonymen Gräbern, weil kein räumlicher oder persönlicher Bezug zu Familienangehö-rigen mehr bestanden hat. Ein klassizistisches Wandgrab ist als Patengrab zur Gedenk- und Begegnungsstätte für Menschen geworden, die Freunde oder Angehörige an die Folgen von AIDS verloren haben. Eine Bank lädt vor dem Grab zum Verweilen ein und viele Friedhofsbesucher nutzen diese Möglichkeit.
Nach dem Friedhofsbesuch kann man sich übrigens im Café Finovo, dem ersten Friedhofscafé Deutschlands, von den Strapazen eines winterlichen Rundgangs erholen. Das Café avancierte jüngst zur „Top-Location“ des „Prinz-Restaurantführers 2009“. Hier treffen in gemütlicher Atmosphäre Friedhofsbesucher auf Anrainer, denn es ist das einzige Café hier, mitten im Kiez.
Elke Koepping
Informationen darüber, welche Friedhöfe in Berlin Grabpatenschaften anbieten,
erhält man über die Stiftung „Historische Kirchen und Friedhöfe“ in Berlin-Mitte.
Kontakt: www.stiftung-historische-friedhoefe.de,
Telefon 25 81 85 340.
Zu Grabpatenschaften auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg gibt es im Internet einen umfassenden Katalog, der Auskunft über Sanierungsaufwand und mögliche spätere Belegungen von Patengräbern gibt: www.grabpatenschaften-berlin.de.
Eine Druckfassung ist in der Kirchhofsverwaltung und im Café Finovo einsehbar.
Wer sich für eine Unterstützung des Alten St.-Matthäus-Kirchhofs interessiert,
kann sich an den Förderverein Efeu e.V. wenden
unter www.efeu-ev.de oder im Café Finovo nachfragen.
Der Café-Betreiber Bernd Bossmann ist auch Gründer des Fördervereins.
Der Verein „Denk mal positHIV“ ist erreichbar
unter Telefon 30 12 77-95/-96
oder im Internet unter www.denk-mal-posithiv.de.
Führungen des Jugendmuseums über den Friedhof kann man als Gruppe buchen
unter Telefon 75 60 61 63
oder im Internet unter www.jugendmuseum.de.
Über weitere Führungen informiert der Verein Efeu e.V.
MieterMagazin 1+2/09
Begräbnisstätten auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof an der Schöneberger Monumentenstraße
alle Fotos: Lorenz Kienzle
Führung zur Grabstatt der Gebrüder Grimm
Bezüge zum Quartier: Gedenkstätte des Vereins „Denk mal positHIV“
Bezüge zum Quartier: Friedhofscafé Finovo
Figur auf einer Grabstatt
Literaturempfehlungen:
Hans-Jürgen Mende:
Alter St.-Matthäus-Kirchhof Berlin.
Ein Friedhofsführer,
Edition Luisenstadt,
Berlin 2006, 5 Euro
Karl-Heinz Barthelmeus:
Gräber, Gründer und Gelehrte.
Der Alte St.-Matthäus-Kirchhof –
Ein Archiv der Stadtgeschichte,
Christian Simon Verlag,
Berlin 2006, 16,80 Euro
09.06.2013