Alfred Messel wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Architekt des Aufsehen erregenden Wertheim-Warenhauses an der Leipziger Straße berühmt. Neben seinen Bauten für das Großkapital schuf er auch Wohnanlagen für kleine Leute, deren Qualität heute noch vorbildlich ist. Vor 100 Jahren starb Alfred Messel.
Der Architekt der Hochfinanz hatte eine starke soziale Ader. Messel errichtete nicht nur zwei Volkskaffeehäuser, in denen „Unbemittelte Kaffee mit Zubrot für ein Billigstes erhalten und verzehren können“. Er war auch der erste namhafte Architekt, der sich überhaupt mit dem Arbeiterwohnungsbau beschäftigte. Schon 1890 hat er für den „Verein für die Verbesserung der kleinen Wohnungen“, dessen stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender er war, erste Pläne „für die Errichtung großer Arbeitermiethäuser in rentabler Weise“ entwickelt. Zum Bau kam es allerdings erst 1899, nachdem der Rentier Valentin Weisbach als Aufsichtsratsvorsitzender dafür ein Baugrundstück in Friedrichshain aus eigener Tasche gekauft hatte. Beiderseits der späteren Weisbachstraße entstand eine Wohnanlage ohne Hinterhäuser. Jede der 388 Wohnungen wurde mit Innentoilette und Balkon ausgestattet. Im großen Hof gab es einen Kindergarten und ein „Wohlfahrtshaus“ mit Badeanstalt. Die erste Anlage des Reformwohnungsbaus hatte Messel aber schon 1894/1895 in der Moabiter Sickingenstraße 7/8 für den Berliner Spar- und Bauverein errichtet. Seit 1893 arbeitete Messel im Vorstand dieser Genossenschaft, die „Minderbemittelten gesunde Wohnungen zu billigen Preisen verschaffen“ wollte. Das fünfgeschossige Haus in der Sickingenstraße hat hinter einer Neorenaissance-Fassade 80 Wohnungen, die – anders als in den üblichen Mietskasernen – keine Qualitätsunterschiede aufweisen: Die Wohnungen in der Bel Etage im Vorderhaus sind genauso gut wie die im vierten Stock des Quergebäudes. Die erlaubte Grundstücksbebauung wurde nur zur Hälfte genutzt. Im Hof gab es sogar einen Spielplatz – in jedem anderen Berliner Mietshaus war das Spielen im Hof streng verboten.
„Gesund und zu billigen Preisen“
Der Berliner Spar- und Bauverein wurde zum Vorreiter für den Reformwohnungsbau. 1897/1898 wurde nach Plänen Messels an der Proskauer Straße in Friedrichshain eine Wohnanlage mit 116 Wohnungen gebaut, die über besonders viele Gemeinschaftseinrichtungen verfügte: einen Genossenschaftskindergarten, eine Genossenschaftsgaststätte, eine Bibliothek mit Versammlungssaal, Kegelbahnen und die Bäckereigenossenschaft „Volksbrot“. Der 30 mal 40 Meter große Hof war ein wahres „Kinderparadies“. Im Jahr 1900 wurde die Siedlung auf der Weltausstellung in Paris mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.
In jenem Jahr folgte eine dritte Wohnanlage mit 119 Wohnungen an der Stargarder und Greifenhagener Straße in Prenzlauer Berg. Aufgrund von Baukostenverteuerungen musste man hier allerdings an den wohnreformerischen Ansprüchen Abstriche machen. Die Stargarder Straße hatte Messel zusammen mit seinem Schüler Paul Kolb entworfen. Er zog sich später aus der Genossenschaft zurück. Der Andrang auf die Wohnungen war so groß, dass sie verlost werden mussten. Dass Messels Wohnanlagen heute noch bei den Bewohnern sehr beliebt sind, spricht für die Weitsicht der Wohnreformer vor über 100 Jahren.
Jens Sethmann
Vater der Neuberliner Bauschule
Alfred Messel wurde am 22. Juli 1853 in Darmstadt als Sohn eines Bankiers geboren. Nach dem Studium in Kassel und Charlottenburg arbeitete er als Regierungsbaumeister im Staatsdienst. Ab 1896 war Messel als freier Architekt tätig. Sein Durchbruch gelang ihm mit dem ab 1896 gebauten Kaufhaus Wertheim an der Leipziger Straße. Die ganz in Wandpfeiler und Glasflächen aufgelöste Fassade galt als Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Architektur. Es folgten Entwürfe für weitere Wertheim-Warenhäuser und für Verwaltungsgebäude von Behörden, Banken und Versicherungen sowie für Landhäuser. Zusammen mit dem Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann, der mit Messel seit der Schulzeit befreundet war, prägte er die „Neuberliner Bauschule“, die um die vorletzte Jahrhundertwende nicht nur das Erscheinungsbild Berlins, sondern auch anderer deutscher Großstädte stark beeinflusste. Alfred Messel starb am 24. März 1909 im Alter von 55 Jahren. In der Schublade hatte er noch unvollendete Pläne für den Neubau des Pergamon-Museums, die von Hoffmann zu Ende geführt wurden.
js
MieterMagazin 4/09
An der Proskauer Straße in Friedrichshain entstanden 1897 hochwertige Wohnungen nach den Plänen von Alfred Messel
Foto aus: Denkmale in Berlin, Bezirk Friedrichshain, Berlin 1996
Alfred Messel
Foto: Wikipedia
26.12.2018