Über 100.000 leer stehende Wohnungen, eine moderate Mietentwicklung und deutlich geringere Miethöhen als in vergleichbaren Großstädten – so positiv stellt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt dar. Die Landesregierung sieht deshalb keinen Grund, in den Mietwohnungsmarkt lenkend einzugreifen – der Markt sei entspannt. Doch Vorsicht ist angebracht: Es gibt berechtigte Zweifel, ob die Leerstandsstatistik des Senats überhaupt stimmig ist. Ganz offensichtlich steht ein großer Teil der nicht vermieteten Wohnungen dem Wohnungsmarkt überhaupt nicht zur Verfügung – sei es, weil sie längst zu Büros oder Ferienwohnungen umgenutzt worden sind, sei es, weil Eigentümer aus spekulativer Absicht überhaupt nicht vermieten wollen, oder sei es, weil die Wohnungen sich schlicht in einem unvermietbaren Zustand befinden.
Die immer wieder genannten hohen Leerstandszahlen erwecken den Eindruck, dass jeder überall in Berlin eine passende Wohnung finden kann. Wohnungssuchende wissen, dass dieses Bild mit der Realität nicht viel zu tun hat. Es mangelt nicht an Warnsignalen, dass der Wohnungsmarkt in weiten Teilen der Stadt eng ist. Höchste Zeit also, dass der Senat das tatsächliche Ausmaß des Wohnungsleerstands und die Gründe dafür näher untersucht. Doch im Hause Junge-Reyer, der Stadtentwicklungssenatorin, scheint man darüber gar nichts Genaueres wissen zu wollen und benutzt den angeblichen Leerstand weiterhin als Argument dafür, wohnungspolitisch die Hände in den Schoß zu legen.
Nach Senatsangaben standen im Jahr 2008 rund 107.500 Wohnungen länger als sechs Monate leer. Das würde einer Leerstandsquote von 5,7 Prozent aller Wohnungen entsprechen. So steht es im Berliner Wohnungsmarktbericht 2008, den die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die Investitionsbank Berlin (IBB) im März 2009 veröffentlichten. Der längerfristige Leerstand stagniert seit 2005 auf nahezu gleichem Niveau.
Die räumliche Verteilung der Leerstände hat sich in den letzten fünf Jahren jedoch von den östlichen Stadtrandgebieten Stück für Stück in die westlichen Innenstadtgebiete verschoben. Im Jahr 2003 wies noch der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit 8,3 Prozent die höchste Leerstandsquote auf. Bis heute konnte hier der Leerstand – vor allem durch den Abriss tausender Wohnungen – auf 6,3 Prozent reduziert werden. Seit drei Jahren hat hingegen der Bezirk Mitte mit aktuell 8 Prozent die höchste Quote, gefolgt von Neukölln mit 6,7 Prozent und steigender Tendenz. Die Bezirke mit dem geringsten längerfristigen Leerstand sind Reinickendorf mit 4,4 Prozent und Lichtenberg mit 4,5 Prozent.
Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt ist ein gewisser Anteil freier Wohnungen notwendig. Ganz ohne Leerstandsquote könnten wohnungssuchende Haushalte keine Wohnung finden. Auch entstehen Leerstände, weil in den seltensten Fällen sich der Einzug eines neuen Mieters nahtlos an den Auszug des Vormieters anschließt. Umfassende Modernisierungen sind in der Regel auch nur in unbewohnten Gebäuden möglich. Dieser Überhang, die sogenannte „Fluktuationsreserve“, ist für einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt normal und wird allgemein mit 3 Prozent angesetzt. Beim derzeitigen Berliner Wohnungsbestand entsprächen dem rund 56.600 Wohnungen. Bei so vielen leer stehenden Wohnungen wäre der Berliner Wohnungsmarkt „rechnerisch“ im Gleichgewicht.
Entscheidend ist aber der längerfristige Wohnungsleerstand. Bei einem normalen Mieterwechsel steht eine Wohnung bis zu drei, höchstens sechs Monate leer. Darum erfasst der Wohnungsmarktbericht nur Leerstände, die über ein halbes Jahr lang anhalten. Ermittelt werden die Zahlen seit 2003 aus der Stromzähleranalyse des Berliner Netzbetreibers Vattenfall (siehe Kasten auf Seite 15).
Die Frage, wie viele Wohnungen tatsächlich leer stehen, ist deshalb so brisant, weil sie rechtliche Konsequenzen für den Wohnungsmarkt hat. So hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin im Jahr 2002 mit Verweis auf die vielen leer stehenden Wohnungen und den angeblich entspannten Berliner Wohnungsmarkt das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum aufgehoben. Eine anschließende Bundesratsinitiative von Berlin und Hamburg, die es ermöglichen sollte, auch für bestimmte Stadtteile die Zweckentfremdung zu verbieten, scheiterte 2004 am Widerstand der Bundesregierung, denn, so deren Argumentation, „für die Wohnungssuchenden besteht gerade in den Stadtstaaten in zumutbarer Weise die Möglichkeit, auf andere, nahe gelegene Stadtteile auszuweichen“.
Keine Handhabe gegen Zweckentfremdung
Seither sind besonders in begehrten Lagen Berlins im großen Stil Wohnungen für gewerbliche Zwecke umgenutzt worden. Die Zahl derjenigen Wohnungen, die nicht mehr dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen, weil sie zu Büros, Arztpraxen, Anwaltskanzleien oder Ferienappartements umfunktioniert wurden, ist nicht bekannt. Der Senat und die Bezirke haben gegen die Zweckentfremdung keinerlei Handhabe mehr – und auch keinen Überblick, welchen Umfang sie angenommen hat und wie viele Wohnungen überhaupt noch als Wohnungen vorhanden sind. „Wir haben keine aktuellen Zahlen zur Zweckentfremdung, sehen aber trotzdem keinen Handlungsbedarf“, sagt Manuela Damianakis, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Das OVG-Urteil gibt uns keine Grundlage für ein Zweckentfremdungsverbot, und wir gehen davon aus, dass das weiterhin so ist.“ Der Berliner Mieterverein (BMV) verlangt hingegen, in den Stadtgebieten mit Nachfrageüberhang die stetig zunehmende Zweckentfremdung wie auch den spekulativen Leerstand zu stoppen. „Hier ist der Senat gefordert!“, so der stellvertretende BMV-Hauptgeschäftsführer Reiner Wild. Die Wohnungsmarktsituation verschärfend kommt hinzu, dass seit der Neufassung der Berliner Bauordnung 2006 Wohnungszusammenlegungen und Abrisse ebenfalls nicht mehr genehmigt werden müssen.
Die Leerstandszahlen sind auch für die schneller steigenden Mieten mitverantwortlich. Ihretwegen lässt die Berliner Rechtsprechung nicht mehr die Anwendung von § 5 Wirtschaftsstrafgesetz zu. Dieser bestimmt, dass bei Neuvermietungen die Miete nur bis zu 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf, wenn der Vermieter angesichts eines knappen Wohnungsangebots die Zwangslage des Wohnungssuchenden ausnutzen kann. Da aber heute in Berlin wegen der vorgeblich vielen freien Wohnungen nicht mehr von einer Knappheit ausgegangen wird, können bei Neuvermietungen die Mieten frei festgelegt werden – mit der Folge, dass bei Mieterwechseln die Mietpreise mitunter enorme Sprünge machen und das allgemeine Mietniveau in der Stadt rasant ansteigt. Dass in gefragten Lagen oder für bestimmte Wohnungsgrößen ein knappes Angebot herrscht, bleibt dabei außer Betracht. Es wird die Stadt als Ganzes beurteilt.
Eine Stadt – ein Markt?
Dass es mittlerweile Gebiete mit knappem Wohnungsangebot gibt, leugnet die Senatsverwaltung nicht. Für Beschränkungen von Mietsteigerungen auf diesen enger werdenden Teilmärkten sieht sie dennoch „keinen Handlungsbedarf“, so Manuela Damianakis, denn die Mietentwicklung sei in Berlin insgesamt „moderat“. Der Ansatz, Berlin als gesamte Stadt und als einen einzigen Markt zu betrachten, geht aber an der Lebenswirklichkeit der Berliner vorbei. Wer zum Beispiel in Charlottenburg verwurzelt ist, Freunde in der Nachbarschaft hat und hier auf soziale Bindungen angewiesen ist, aber eine neue bezahlbare Wohnung braucht, dem nützen freie Wohnungen im zehn Kilometer entfernten Neukölln nichts. Wenn die Politik nur auf freie Wohnungen am anderen Ende der Stadt hinweist und nichts unternimmt, um den Menschen das Bleiben in ihrer gewohnten Umgebung zu ermöglichen, sind alle Bemühungen um die soziale Stabilität in den Kiezen umsonst.
Von Leerstand betroffen sind mittlerweile nicht mehr nur die Plattenbausiedlungen am Stadtrand und die vernachlässigten Altbauviertel – auch gefragte Szeneviertel und gehobene 1a-Wohnlagen gehören dazu. So hat der trendige Kiez um die Kastanienallee in Prenzlauer Berg eine Leerstandsquote von über zehn Prozent. Mehr als jede zehnte Wohnung steht auch in der City West zwischen Breitscheidplatz und Uhlandstraße leer – ebenso wie in der Friedrich-Wilhelm-Stadt und der Dorotheenstadt in Mitte, die sich vollends zum hochpreisigen Wohnstandort des Regierungsviertels gewandelt haben. Dagegen liegt der Leerstand in den Großsiedlungen Märkisches Viertel, Gropiusstadt und Thermometersiedlung sowie im größten Teil von Neu-Hohenschönhausen mit weniger als fünf Prozent unter dem Berliner Durchschnitt.
Dass die Leerstandsquote stadtweit seit drei Jahren nahezu konstant ist, verwundert – stieg doch in den Jahren 2006 und 2007 die Zahl der Haushalte um fast 43.000 an, die Zahl der Wohnungen jedoch nur um weniger als 10.000. Dieses Verhältnis deutet nach Erkenntnissen des Wohnungsmarktberichts darauf hin, dass ein großer Teil der leer stehenden Wohnungen schlicht „nicht marktgängig“ ist. Viele Wohnungen sind aus verschiedenen Gründen nicht vermietbar. Das kann an Ausstattungsmängeln oder Bauschäden liegen, an einer ungünstigen Lage, an einem unattraktiven Wohnumfeld, an der Miethöhe oder an einem schlechten Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Ursachen für den Leerstand im Einzelnen sind berlinweit noch nie ermittelt worden. Man kann aber eine Reihe von typischen Leerstandsindizien beobachten: Wohnungen an lauten Straßen, im Erdgeschoss, in lichtarmen Hinterhöfen sind häufiger von Leerstand betroffen. In sechsgeschossigen Plattenbauten ohne Aufzug stehen oft die oberen Etagen leer. Für Wohnungen mit Durchgangszimmern, ohne Balkon oder mit Ofenheizung finden sich seltener Mieter. Auch vom schlechten Ruf mancher Viertel oder den dort tatsächlich vorhandenen sozialen Problemen lassen sich viele Mieter abschrecken.
Auffällig ist zudem, dass in den stark betroffenen westlichen Innenstadtgebieten Neukölln, Wedding und Moabit viele leerstandsgeplagte Häuser im Besitz von Kleineigentümern sind, die ihre Immobilien oft noch selbst verwalten. Das lässt den Schluss zu, dass hier auch manche Eigentümer mit Vermietung und Verwaltung der Wohnungen überfordert sind. Viele Vermieter sind nicht gewohnt, um Mieter werben zu müssen, und warten (mitunter sehr lange), bis zufällig der passende Mieter kommt, der die Wohnung so, wie sie ist, nimmt und den verlangten Preis zahlt.
Der Leerstand hat keine Marktwirkung
Wie hoch der Anteil dieser Wohnungen ist, die aus den verschiedensten Gründen auf dem Wohnungsmarkt nicht aktiv angeboten werden, ist bislang nirgendwo untersucht worden. „Wir gehen davon aus, dass von den 107.500 längerfristig leer stehenden Wohnungen 34.000 dem Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung stehen“, erklärt denn sogar Manuela Damianakis aus der Stadtentwicklungsverwaltung. Dies ist allerdings nur eine Hochrechnung aus den Daten des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), der von seinen Mitgliedsunternehmen Leerstandszahlen und -gründe erfragt hat. Als Gründe wurden nur längere Umbauten, geplante Abrisse, bauliche Schäden und Unbewohnbarkeit genannt. Andere Ursachen, wie sie vor allem bei kleinen privaten Vermietern vorkommen, die nicht im BBU organisiert sind, bleiben unberücksichtigt. Die Zahl der nicht zur Verfügung stehenden Wohnungen wird also die genannten 34000 noch erheblich übersteigen.
Die These vom entspannten Berliner Wohnungsmarkt steht auf überaus wackligen Füßen. Der BMV fordert daher, dass die Leerstandszahlen dringend genauer überprüft werden. Um dem Senat dabei in die Spur zu helfen, startet die Mieterorganisation eine eigene Fragebogenaktion zum Wohnungsleerstand (siehe Kasten). „Alle Daten zeigen, dass der Leerstand auf dem Wohnungsmarkt nicht wirksam ist“, begründet BMV-Vizehauptgeschäftsführer Reiner Wild seine Skepsis gegenüber den offiziellen Zahlen. Auf einem entspannten Wohnungsmarkt müssten schließlich bei einem Überangebot die Mietpreise sinken. Stattdessen steigt das Mietniveau in Berlin immer weiter an, zum Teil sogar mit einer enormen Geschwindigkeit. „Der Wohnungsmarkt wird spürbar enger“, resümiert der BMV-Vorsitzende Dr. Franz-Georg Rips.
Jens Sethmann
Wie misst man eigentlich den Wohnungsleerstand? In Berlin konkurrieren drei Methoden. Das Statistische Landesamt erfasst im Rahmen des Mikrozensus leere Wohnungen nach dem Augenscheinprinzip. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wendet zusammen mit der Investitionsbank Berlin (IBB) die Stromzählermethode an. Das Marktforschungsinstitut Empirica erstellt in Zusammenarbeit mit der Firma Techem Leerstandsstatistiken aufgrund der Heizungsablesungen. Die Ergebnisse weichen stark voneinander ab und führen zum Teil auch in die Irre.
Der Mikrozensus ist so etwas wie eine kleine Volkszählung auf der Basis einer Ein-Prozent-Stichprobe. So werden in Berlin 18.000 Wohnungen von Mitarbeitern des Statistischen Landesamts in Augenschein genommen: Nach mehrmaligem erfolglosen Anlaufen einer Wohnung, nach Überprüfung von Briefkästen und Klingelschildern sowie nach Befragen von Nachbarn wird eine Wohnung als leer stehend registriert. Beim letzten Mikrozensus 2006 wurden in Berlin 164.000 unbewohnte Wohneinheiten errechnet, das entspräche einer Quote von 8,7 Prozent. Dies ist aber nur eine Momentaufnahme. Wie lange und warum eine Wohnung leer ist, spielt dabei keine Rolle. Auch wird der Mikrozensus nur alle vier Jahre durchgeführt, so dass er für wohnungspolitische Entscheidungen weitgehend unbrauchbar ist.
Daher erfasst der Senat den Leerstand seit 2003 jährlich auf Grundlage der Stromzähleranalyse des Stromversorgers Bewag (heute: Vattenfall). Man geht davon aus, dass jede bewohnte Wohnung mit Elektrizität versorgt wird. Deshalb wird jede Wohnung, die am Stichtag ohne Stromlieferungsvertrag ist, als leer gezählt. Da Vattenfall in Berlin der allgemeine Netzbetreiber ist, fallen auch Haushalte, die den Stromversorger gewechselt haben, nicht aus der Statistik heraus. Rein gewerbliche Stromabnehmer bleiben unberücksichtigt, Stromzähler von Wochenendhäusern und Kleingartenparzellen oder Hauszähler für Treppenhauslicht und Aufzüge werden herausgerechnet. Andere Fehlerquellen wie etwa zusammengelegte Wohnungen oder illegaler Strombezug werden als vernachlässigbar eingeschätzt. Das Stromzähler-Verfahren liefert nach Überzeugung der Senatsverwaltung „eine vergleichsweise unaufwendige und aktuelle, flächendeckende Leerstandserfassung über die gesamte Stadt mit einer sehr kleinräumigen Lokalisierung“.
Gemessen wird ein Stichtagsleerstand und ein längerfristiger Leerstand. Der Stichtagsleerstand, bei dem alle am Tag der Ablesung leer stehenden Wohnungen gezählt werden, beträgt seit Jahren rund 150.000. Wichtiger als diese Zahl ist der längerfristige Leerstand: Zurzeit stehen 107.500 Wohnungen länger als sechs Monate leer, das entspricht 5,7 Prozent aller 1,88 Millionen Berliner Wohnungen.
Der „Techem-Empirica-Leerstands-index“ ist hingegen eine Hochrechnung aus den von der Heizungsablesefirma Techem betreuten Wohnungen. Der Index beansprucht, eine „marktaktive Leerstandsquote von Mehrfamilienhäusern abzubilden“. Jede Wohnung, für die zum Zeitpunkt der Heizungsablesung keine Miete gezahlt wird, wird als leer stehend gezählt. Da nur in zentralbe-heizten Häusern mit mindestens drei Wohnungen abgelesen wird, bleiben Ein- und Zweifamilienhäuser ebenso außen vor wie Wohnungen mit Gasetagen- oder Ofenheizung. Diese müssen nach Auffassung von Empirica auch mit berücksichtigt werden, denn der Leerstand in Ein- und Zweifamilienhäusern sei vernachlässigbar klein und Substandard-Wohnungen ohne Zentralheizung seien nicht „marktaktiv“. Auf diese Weise wurden 2007 in Berlin 74.800 leere Wohnungen ermittelt. Auf der Basis der 1,68 Millionen Geschosswohnungen entspricht das einer Quote von 4,5 Prozent.
Ein großer Unsicherheitsfaktor ist bei dieser Methode, dass Wohnungen ohne Zentralheizung unberücksichtigt bleiben. In Berlin gibt es immerhin noch 72.000 Wohnungen mit Ofenheizung und eine noch größere Zahl mit Gasetagenheizung. „Deshalb sind die Zahlen von Techem und Empirica nicht tragfähig und mit Vorsicht zu genießen“, sagt BMV-Hauptgeschäftsführer Hartmann Vetter.
Ein Schwachpunkt bei allen Methoden: Wenn Wohnungen ohne großen baulichen Aufwand für gewerbliche Zwecke umgenutzt werden, schlägt sich das in der Statistik nicht nieder. Ob eine Wohnung nur noch als Büro genutzt wird, kann man am Stromzähler nicht ablesen. Und ein Heizungsableser wird kaum erkennen können, ob eine Wohnung noch regulär bewohnt wird oder als Ferienappartement dient.
js
Der Berliner Mieterverein (BMV) ruft die Berliner Mieter auf, Wohnungsleerstände in ihrer Umgebung zu melden. Auf der Rückseite dieser MieterMagazin-Ausgabe befindet sich ein Fragebogen, auf dem über leer stehende Wohnungen Angaben zu Adresse und Lage, Dauer und mutmaßliche Gründe des Leerstands gemacht werden können. Die Fragebögen werden in der BMV-Hauptgeschäftsstelle gesammelt und ausgewertet.
„Wir vermuten, dass ein erheblicher Teil der leer stehenden Wohnungen dem Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung steht“, erläutert der stellvertretende BMV-Hauptgeschäftsführer Reiner Wild. Die Gründe für den Wohnungsleerstand sind bisher noch nicht untersucht worden. Wenn viele der Leerwohnungen wegen eines schlechten Bauzustands, mangelhafter Ausstattung oder dunkler Lage zur Anmietung überhaupt nicht geeignet sind, ist die Zahl der auf dem Wohnungsmarkt verfügbaren Wohnungen deutlich geringer als die von Senatsseite angegebenen 107.500 Wohneinheiten. Das Argument des entspannten Wohnungsmarkts, mit dem der Senat seine wohnungspolitische Untätigkeit rechtfertigt, fiele damit in sich zusammen.
„Wir können mit unserer Aktion die Leerstandszahlen des Senats nicht statistisch widerlegen“, sagt Reiner Wild, „aber wir wollen auf den Senat einwirken, dass er sich mit dem Leerstand und seinen Gründen befasst.“
js
MieterMagazin 5/09
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28.05.2018