Foto- und Mustertapeten erleben ein Comeback – zunächst tauchten sie in Clubs und Cafés auf, inzwischen sind sie auch wieder in den heimischen vier Wänden beliebt. Wer keine Lust auf industrielle Massenware hat, kann sich seine ganz persönliche Tapete drucken lassen.
„Den klassischen Sonnenuntergang bekommen Sie bei uns nicht“, sagt Kathrin Kreitmeyer von der Firma „Extratapete GmbH“ mit Sitz im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Seit 2002 stellt sie zusammen mit Matthias Gerber individuelle Tapeten her. „Fototapeten gehen am besten“, sagt sie, „vor allem die mit floralen Motiven.“ Das Design „Benita“ mit Grashalmen in Großaufnahme ist beispielsweise ein Renner. Am Anfang hätten immer mal Leute nach den klassischen Motiven mit Südseestrand und Sonnenuntergang gefragt – vielen wahrscheinlich noch aus den 70er Jahren in Erinnerung. „Diese Retro-Nachfrage ist aber komplett zurückgegangen“, so Kathrin Kreitmeyer.
Die Grafikdesignerin kam aus ganz persönlichen Gründen zur Tapete: „Ich hab mich gefragt, warum es nur Tapeten gibt, die ich mir selbst nie an die Wand kleben würde“, erzählt sie und lacht. Kreitmeyer und Gerber fanden ein kleines Familienunternehmen, das Tapeten in kleiner Auflage herstellen konnte. „Mit diesem Hersteller zusammen haben wir die Produktionsmethode verfeinert und verkaufen seitdem unsere selbst gestalteten Tapeten und auch Sonderanfertigungen in alle Welt.“
Die meisten Deutschen mögen die eigenen vier Wände lieber schlicht gestaltet: Die Raufaser zählt noch immer zu den meistverkauften Tapeten – obwohl sie, um genau zu sein, gar nicht zu den Tapeten gezählt wird. Erfunden hat sie 1864 der Apotheker Hugo Erfurt. Beim Auszug kann sie häufig einfach überstrichen werden, was sicherlich zu ihrem Siegeszug beigetragen hat. „Auch gespachtelte und geputzte Wände sind sehr beliebt“, sagt Uwe Völcker vom Bund Deutscher Innenarchitekten (BDIA). So mancher, der die Raufaser nicht mehr sehen konnte und entfernte, stieß dabei auf eine darunter klebende Tapete. Und auf fast vergessene Tapetenmuster aus der Kindheit. „40 Jahre lang wollte keiner mehr die Tapeten mit den großen bunten Motiven“, so Völcker, „das hat sich nun geändert.“
Neuheit oder alter Hut?
Ein Comeback der Muster- und Fototapete hat auch Karsten Brandt, Geschäftsführer des Deutschen Tapeten-Instituts, ausgemacht. Zuerst habe man sie in trendigen Lokalen entdecken können, bevorzugt in grellen Farben. Inzwischen erobern Muster- und Fototapeten immer mehr deutsche Wohnungen. Völcker hat dafür eine einfache Erklärung: Wie in der Mode müsse es auch bei der Wandgestaltung immer wieder Neues geben, „… auch wenn das nur Scheininnovationen sind.“
In Deutschland gingen 2007 rund 40 Millionen Rollen farbige und gemusterte Tapete über den Ladentisch. „4000 bis 5000 verschiedene Designs haben die großen deutschen Hersteller regelmäßig in ihrem Angebot“, sagt Brandt. „Die industriell hergestellten Tapeten sind heute so vielfältig wie nie zuvor.“ Eine individuelle Gestaltung des Wohnraums sei auch mit ihnen durchaus möglich. Doch mittlerweile gibt es allein in Berlin mehrere Tapetendesigner und -hersteller, die auf Handwerk statt auf industrielle Produktion setzen. Noch ist deren Zahl klein: „In ganz Deutschland kommen sie auf einen Marktanteil von etwa einem Prozent“, sagt Brandt. Aber die Nachfrage wachse, und das tue dem Markt gut. Die meisten von ihnen nutzen ein digitales Druckverfahren, denn der maschinelle Siebdruck rechnet sich nur bei hohen Stückzahlen.
Eine individuelle Note, persönliche Fotos und Muster sind gefragt. Sogar eigene Motive können auf Tapete gedruckt werden, wenn die Kameraauflösung stimmt. „Die Fototapeten der 70er Jahre waren Massenprodukte“, sagt Aram Radomski, der 2002 die Firma „Berlintapete GmbH“ gegründet hat. „Wir stellen Unikate her: Tapeten, die sonst keiner hat.“ Die Berlinerin Ute Landschulz hat mit ihrer „utapete“ einen besonderen Dreh gefunden: Sie entwirft handgemalte Motive, die dann von der Firma „Tapeten-Genie“ weiterverarbeitet werden und die wie eine Wandmalerei wirken. „Keine Tapete gleicht der anderen, es sind immer individuelle Motivtapeten“, sagt Eike Bülle, Chef von Tapeten-Genie. Sogar ein Heiratsantrag auf Tapete war einmal dabei.
Akzente setzen
Radomski spricht gerne von der „vierten Wand“ eines Raums, die sich gut mit Tapete mache. Doch längst werden nicht mehr gleich ganze Wände tapeziert, geschweige denn ganze Räume. „Unsere Tapeten werden heute mehr wie Bilder eingesetzt, sie setzen Akzente“, sagt Simone Schulz. Die Architektin hat 2004 zusammen mit dem Künstler André Kazenwadel in Kreuzberg die „Dr. Nice GbR“ gegründet. „Manchmal reicht schon eine einzelne Tapetenbahn, um die richtige Atmosphäre zu schaffen.“ Klassiker sind zum Beispiel Fototapeten mit Obst, Gemüse oder Espressotassen hinterm Küchentisch. „Hinterm Bett wollen viele unserer Kunden ein Nebelmeer“, sagt Simone Schulz. „Ansonsten sind interessanterweise häufig Motive gefragt, die die Leute ohnehin vor der Tür haben: Berliner wollen den Fernsehturm, Norddeutsche den Strand, Bayern die Berge“, erzählt André Kazenwadel. Dr. Nice stellt nicht nur Foto- und Mustertapeten her, sondern bringt auch Literaturkollagen der bekannten Autorin Herta Müller auf Tapete.
Die meisten handwerklichen, aber auch viele industrielle Hersteller verwenden Vlies als Materialbasis. Vliestapeten sind robust und wasserfest, leicht zu verarbeiten, müssen nicht erst eingeweicht werden und können problemlos trocken wieder von der Wand gezogen werden. Wie ein Bild kann man die Tapete also beim Auszug wieder abnehmen, einrollen und mitnehmen. Kurz eingeweicht, kann sie dann in der neuen Wohnung knitterfrei wieder an die Wand geklebt werden.
Mietrechtlich sind Tapeten übrigens zumindest während der Mietzeit kein Problem. „Die Fragen, ob Tapete oder nicht, ob Raufaser oder Blümchen, ob weiß gestrichen oder orange, darf der Mieter allein entscheiden“, so Dr. Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB). Allerdings haben Vermieter bei einer wirksamen Schönheitsreparaturklausel Anspruch darauf, dass die Wohnung beim Auszug in farblich neutralem Zustand zurückgegeben wird.
Kristina Simons
Von Prunk bis Schielauge
Prunkvolle, üppige Motive prägten die Tapeten im Deutschen Barock des 17. und 18. Jahrhunderts. Zierlicher wurden die Muster im Spätbarock. Typisch war etwa die „Rocaille“, ein asymmetrisches Muschelmotiv. Geradlinige, der Antike entnommene Formen bestimmten die Tapeten im deutschen Klassizismus ab Mitte des 18. Jahrhunderts. Hingegen zeigten die Tapeten im Biedermeier des 19. Jahrhunderts kleine Muster und romantische Naturmotive. Gefragt waren auch Panoramatapeten, die den Blick ins Freie öffneten.
Ein Mix aus Farben, Formen und Mustern prägte die Tapeten im Historismus, während zur Zeit des Jugendstils gegen Ende des 19. Jahrhunderts florale Ornamente und organische Formen gefragt waren. Die neue Sachlichkeit Anfang des vorigen Jahrhunderts prägte auch die Tapete: Geometrische und organische Muster wurden abstrakt dargestellt. Die Bauhaus-Tapetenkollektion und die Eintontapete des Bauhaus-Architekten Le Corbusier ebneten den Weg zur unifarbenen Tapete.
Typisch für die Tapeten der 50er Jahre waren Grafiken, die an Bilder von Miro oder Klee erinnerten. In den 70er Jahren kamen zunehmend Profiltapeten auf den Markt, außerdem Fototapeten mit Südseestrand oder Wald sowie Tapeten mit grellen Mustern und großen Formen wie dem psychedelischen „Schielaugen“-Motiv.
ks
MieterMagazin 5/09
Retro-Look: Tapete im „Filmkunst“ in der Revaler Straße in Friedrichshain
alle Fotos:Christian Muhrbeck
Im Trend: die individuelle Fototapete, große Muster in kleinen Auflagen
Beliebt sind auch florale Motive
Zum Anschauen:
www.berlintapete.de
www.extratapete.de
Zum Thema
Stoff für den Adel –
für den Bürger Papier
Das Verkleiden und Dekorieren von Wänden ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Man denke an Fels- und Höhlen- zeichnungen oder Fresken und Mosaike. Das Wort „Tapete“ tauchte erstmals im 16. Jahrhundert auf und hat seinen Ursprung im lateinischen Wort „tapetum“ (Teppich).
Während feudale Herrschaften seit dem Mittelalter ihre Wände mit geprägtem und vergoldetem Leder oder wertvollen Stoffen schmückten, bevorzugten bürgerliche Haushalte seit dem 14. Jahrhundert bedruckte Wandpapiere. Erste raumhohe Tapetenbahnen aus zusammengeleimten, handgeschöpften Papierbahnen kamen gegen Ende des 17. Jahrhunderts in England auf.
Die Erfindung des Rundschöpfsiebs 1830 ermöglichte die Herstellung von Endlospapier. Der erste Schritt zur industriellen Produktion der Tapete war getan. Die zunächst dampfbetriebenen Leimdruckmaschinen konnten bis zu 18 Farben gleichzeitig auftragen.
ks
28.09.2017