Parkende Autos auf dem Bordstein, Radfahrer auf dem Geh- und Fußgänger auf dem Radweg: Oft läuft der Verkehr anders als geplant. Ob man will oder nicht – im Straßenverkehr begegnet man sich. Die Frage ist nur: wie?
Seit den 90er Jahren sorgt ein Verkehrskonzept aus den Niederlanden für Furore: In ausgewiesenen Zonen werden alle Regeln der Straßenverkehrsordnung abgeschafft. Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger verständigen sich ohne Verkehrszeichen untereinander. Dieses Konzept nennt sich „Shared Space“ („gemeinsam genutzter Raum“).
Am häufigsten umgesetzt wurde das Konzept der Begegnungszone in der Schweiz. Egal ob in St. Gallener Wohnquartieren, der Berner Altstadt oder der Luzerner Bahnhofstraße – das blaue Verkehrsschild weist bei den Eidgenossen bereits über 300 Mal einen solchen Raum aus. Es scheint zu funktionieren: Fußgänger haben Vortritt, können überall die Straße überqueren. Autofahrer dürfen mit maximal 20 Stundenkilometer fahren. Dadurch verändert sich auch das Wohnumfeld und seine Aufenthaltsqualität. „Es wird leiser, Lärm und Abgase werden reduziert“, sagt Horst Wohlfarth von Alm, ein Mitarbeiter der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Was sich in der Schweiz bewährt hat, soll nun auch in Berlin probehalber eingeführt werden. Ein Versuchsfeld ist die Bergmannstraße in Kreuzberg. Vom Marheinekeplatz bis zum Südstern soll die neue Art des Miteinanders im Verkehr erprobt werden. Aber auch andere Bezirke wurden aufgefordert, Vorschläge für solche Versuche zu unterbreiten.
Begegnungszonen sind nicht ganz preiswert zu haben. Denn den Verkehr ohne die Regeln der Straßenverkehrsordnung zu ordnen, erfordert oftmals umfangreiche Umbaumaßnahmen des Straßenraums: Zwecks Kommunikation müssen Sichtbeziehungen unter den Verkehrsteilnehmern hergestellt werden. Dass das funktionieren kann, hat sich in der niedersächsischen Kleinstadt Bohmte gezeigt. Im Rahmen eines EU-finanzierten Projekts wurde dort die Hauptverkehrsstraße des Ortes umgestaltet. Doch Großstädte stellen an Begegnungszonen andere Anforderungen. „In Altbauquartieren mit einer chronischen Parkraumnot auf Parkplätze zu verzichten, kann zu einem schwierigen Unterfangen werden“, meint Wohlfarth von Alm. Doch Berlins Straßen müssen fußgänger- und fahrradfreundlicher werden. „Das Ziel ist mehr gegenseitige Rücksichtnahme“, so Heribert Guggenthaler, Referatsleiter für Straßen und Plätze bei der Senatsverwaltung.
Mit einer Begegnungszone wird in jedem Fall eine Beruhigung des Verkehrs erreicht. Außerdem gibt es durch das Verkehrsschild eine verkehrsrechtliche Verbindlichkeit. Doch einen großen Unterschied zu den traditionellen verkehrsberuhigten Zonen macht es nicht. „Die verkehrsberuhigte Zone ist die Urform der Begegnungszone“, meint Wohlfarth von Alm.
Unterschied: die Tempo-Begrenzung
Verkehrsberuhigte Zonen, die umgangssprachlich auch Spielstraßen genannt werden, verbessern seit den 70er Jahren die Qualität des Straßenraums. Schon die beiden Verkehrszeichen für Spielstraße und Begegnungszone sehen sich recht ähnlich: ein spielendes Kind, daneben ein Auto und ein Haus. Das Schweizer Verkehrszeichen ist allerdings in Deutschland noch nicht zugelassen, auf Probe kann es aber eingeführt werden. Das Neue an der Begegnungszone ist das Tempolimit: In den verkehrsberuhigten Zonen ist Schrittgeschwindigkeit (4 bis 10 Stundenkilometer) Pflicht, in den Begegnungszonen gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 20 Kilometer pro Stunde.
Michaela Müller
MieterMagazin 7+8/09
Ein Abschnitt der Kreuzberger Bergmannstraße wird Berlins erste „Begegnungszone“
Foto: Christian Muhrbeck
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Berlin ist auf dem Rad- und Fußweg
2010 will der Berliner Senat eine Fußverkehrsstrategie für die Hauptstadt beschließen. Die Begegnungszone wird Teil davon sein. Schon in der Umsetzungsphase ist ein Radverkehrskonzept. Ziel beider Maßnahmen ist es, die Nutzung des motorisierten Verkehrs und seine negativen Auswirkungen (Lärmbelastung, Einschränkung der Aufenthaltsqualität und Schadstoffemissionen) zu verringern.
mm
07.06.2013