Die Neufassung des Genossenschaftsgesetzes vom 16. Oktober 2006 verpflichtet die Wohnungsgenossenschaften, ihre Satzungen an europäisches Recht anzupassen. Am 11. November wurde in einer außerordentlichen Vertreterversammlung eine Neufassung der Satzung der Charlottenburger Baugenossenschaft beschlossen – mit äußerst knapper Mehrheit. Die Gegner sehen in der neuen Satzung vor allem eine Schwächung der Rechte der Mitglieder.
Hauptkritikpunkt der unterlegenen Baugenossen ist ein Passus in der neuen Satzung, der es dem Vorstand unter Mitwirkung des Aufsichtsrats erlaubt, über den Verkauf von Wohnungen zu entscheiden, ohne die Mitglieder oder zumindest deren Vertreter zu informieren und in die Entscheidung einzubeziehen. „Solange die Genossenschaft wirtschaftlich stabil ist, können Sie davon ausgehen, dass der Verkauf von Bestandswohnungen ausgeschlossen ist“, beruhigt Vorstandsmitglied Hans-Joachim Kosubek die Mitglieder. Aber auch wenn es aktuell keine Verkaufsabsichten gibt – selbst die Möglichkeit eines schnellen Verkaufs beunruhigt die Mitglieder.
Nach der neuen Satzung darf der Vorstand jede Auskunft über seine Gehälter verweigern. Bei den kommunalen Wohnungsunternehmen ist die Offenlegung der Vorstandsgehälter inzwischen üblich. Weitere Kritikpunkte: Ob Gäste an Vertreterversammlungen und örtlichen Vertreterbesprechungen teilnehmen dürfen, entscheiden allein der Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende. Der Wahlausschuss wird vom Vorstand und dem Aufsichtsrat eingesetzt und nicht, wie von zahlreichen Mitgliedern gefordert, von den Vertretern gewählt.
„Diese Satzungsänderung wird keinen Einfluss auf die bisherige Geschäftspolitik der Genossenschaft haben“, verspricht Hans-Joachim Kosubek. Aber kritische Mitglieder fordern gerade eine solche Änderung der Geschäftspolitik. Als zum Beispiel ein gewähltes Mitglied der Satzungskommission der Charlottenburger Baugenossenschaft am 4. November in einem genossenschaftseigenen Versammlungsraum eine Diskussionsveranstaltung zur neuen Satzung durchführen wollte, verweigerte ihm der Vorstand die Nutzung der Räumlichkeiten. Rudolf Orlob, Gabriele Bohleber und Hans-Joachim Kosubek teilten ihm mit: „Wir werden Sie keinesfalls noch darin unterstützen, Ihre verunsichernden Thesen in der Mitgliedschaft zu verbreiten.“ Sie fand trotzdem statt – an einem anderen Ort. Die über 50 Teilnehmer lehnten den Satzungsentwurf einstimmig ab. Auch das Abstimmungsergebnis am 11. November zeigt, dass die gewählten Vertreter die Politik des Vorstandes zunehmend kritisch sehen.
Die neue Satzung der „Charlotte“ orientiert sich an der Mustersatzung des Bundesverbandes Deutscher Wohnungsunternehmen. Auch dort scheint man der demokratischen Willensbildung in den Genossenschaften keine Bedeutung zuzumessen. Bei Mietern standen die Genossenschaften bislang hoch im Kurs. Die „Charlotte“ ist dabei, sich diesen Ruf zu verspielen.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 12/09
Die Wohnungsbaugenossenschaft hat viele ihrer Mitglieder verprellt
Foto: Christian Muhrbeck
26.01.2017