Wohnen ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Die Vereinten Nationen haben das Wohnen als Menschenrecht definiert, im deutschen Grundgesetz dagegen steht es nicht. In vielen Verfassungen ist es verankert, auch in der Verfassung von Berlin. Einklagbar ist Recht auf Wohnen aber nicht.
Weltweit leben über eine Milliarde Menschen unter unwürdigen Bedingungen, schätzungsweise 100 Millionen sind obdachlos. Die finanzmarktgetriebene Globalisierung der Wohnungsbestände verschärft diese Situation immer mehr – nicht nur in den Entwicklungsländern. In Deutschland sind nach vorsichtigen Schätzungen 200.000 Menschen ohne eigene Wohnung, allein in Berlin gibt es etwa 10.000 Obdachlose – obwohl die Berliner Verfassung das „Recht auf angemessenen Wohnraum“ garantiert.
Bund, Länder und Kommunen ziehen sich im Zuge der Deregulierung und Privatisierung immer mehr aus ihrer politischen und finanziellen Verantwortung für die Wohnungspolitik zurück. Der Trend ist weltweit wahrzunehmen: Extrem hohe Mieten und Immobilienpreise führen in allen Metropolen zur Verdrängung einkommensschwacher Mieter. Soziale Probleme, resultierend in Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit, konzentrieren sich in bestimmten Wohnvierteln.
Segregation ist überall
Dass die Einklagbarkeit sozialer Grundrechte „eine theoretisch und praktisch gleichermaßen schwierige“ Frage ist, muss Gertrude Lübbe-Wolff, Richterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, zugestehen. Auch der Staatsrechtler Prof. Dr. Martin Kriele sieht soziale Grundrechte wie das Recht auf Wohnen eher als „Ermahnung der Juristen an den Gesetzgeber, sich dieser Dinge anzunehmen, sie nicht außer acht zu las-sen“.
In Bayern zum Beispiel werden deshalb soziale Grundrechte als nur begrenzt justiziable Verfassungsaufträge interpretiert. Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben soziale Anliegen wie das Recht auf Wohnen in ihren Landesverfassungen von vornherein nicht als Rechte, sondern als Verfassungsaufträge formuliert – getrennt von den einklagbaren Freiheits- und Gleichheitsgrundrechten in anderen Abschnitten.
„Das Recht auf Wohnen sollte dauerhaft in der europäischen Verfassung verankert werden“, fordert der Deutsche Mieterbund im Rahmen der Diskussion um eine neue EU-Verfassung. „Die europäische Verfassung sollte den elementaren Bedürfnissen den erforderlichen Schutz zusprechen und die Europäische Union verpflichten, ihren Bürgern ein menschenwürdiges Leben und Wohnen zu gewährleisten“, so Dr. Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbundes.
In den letzten Jahren demonstrierten in Spanien immer wieder Zehntausende von Menschen gegen Immobilienspekulation, unbezahlbare Mieten und Mietervertreibung. In Frankreich, das sich gern als „Geburtsland der Menschenrechte“ bezeichnet, hat eine große Solidaritätsbewegung mit den Obdachlosen die Regierung gezwungen, endlich Regelungen für ein einklagbares Recht auf Wohnraum zu schaffen. Die Unruhen in den Pariser Vorstädten sind allerdings ein Signal dafür, dass die Verankerung sozialer Grundrechte in der Verfassung noch keine Veränderungen bewirkt. „Frankreich zeigt, warum die deutschen Mieter so richtig liegen in ihrem Kampf gegen die Privatisierung der drei Millionen öffentlicher Wohnungen“, sagt Enrique Ortiz, Koordinator der internationalen Wohnrechtsorganisation Habitat International Coalition (HIC). Ohne öffentlichen und sozialen Wohnungsbau, ohne Maßnahmen gegen die Spekulation mit Wohnungsbeständen steht das Recht auf Wohnen auch weiterhin nur auf dem Papier.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 1+2/08
Das Recht auf angemessenes Wohnen steht für eine Milliarde Menschen auf der Welt nur auf dem Papier
Foto: Matthias Lüdecke
Das Recht auf Wohnung
„Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet; er hat das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“
UNO-Menschenrechtsdeklaration, Artikel 25, Absatz 1
„Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“
Verfassung von Berlin, Artikel 28 (1)
29.11.2015