Im Januar wurde der Status „Sanierungsgebiet“ für die Spandauer Vorstadt in Mitte aufgehoben – ebenso für das Samariterviertel in Friedrichshain und den Kaskelkiez in Lichtenberg. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung feiert die Erneuerung des Mitte-Quartiers als „Erfolgsmodell“, so Senatorin Ingeborg Junge-Reyer.
Die meisten Altbauten der Spandauer Vorstadt sind vor der Gründerzeit errichtet worden. Kriegszerstörungen, jahrzehntelanger Verfall und schließlich weiträumige Abrisse für eine geplante Neubebauung mit Plattenbauten hinterließen zur Wende ein desaströses Bild. Wer die Spandauer Vorstadt von 1990 mit der heutigen Situation vergleicht, wird vieles kaum noch wiedererkennen. Die Veränderungen sind aber nicht nur auf die Sanierung zurückzuführen. Auf dem Gebiet lag von Anfang an ein sehr hoher Investitionsdruck. Aufgrund der zentralen Lage, der guten Verkehrserschließung und des attraktiven Baubestandes standen die Investoren Schlange. Durch die unkonventionellen Künstler, Off-Galerien und Underground-Clubs, die hier anfangs ihre Nische fanden, bekam das Gebiet zudem ein sympathisches Image als Kunst- und Partyviertel. Investitionsanreize musste die Sanierungspolitik hier nicht setzen, stattdessen musste man dafür sorgen, dass die Bewohner nicht Opfer der Umwälzungen wurden. Der Schutz der angestammten Bevölkerung vor Verdrängung wurde mit den Jahren immer schwieriger, weil die Förderprogramme, die günstige Mieten sicherstellten, gestrichen wurden und das Bundesverwaltungsgericht die Festlegung von Mietobergrenzen für unzulässig erklärte.
So wandelte sich die Bewohnerschaft trotz sozialer Vorkehrungen radikal. In der attraktiven Innenstadtlage stieg das Mietniveau rasant an. Vor allem Familien mit Kindern zogen in den ersten Jahren fort. Neu zuziehende Mieter waren bereit und in der Lage, teilweise doppelt so viel Miete zu zahlen wie die Altmieter. Am Hackeschen Markt, in der Oranienburger, August-, Rosenthaler, Neuen und Alten Schönhauser Straße wird die Szenerie bei Tag und Nacht von Touristen auf Shopping- und Kneipentour geprägt. Am urtümlichsten und berlinischsten ist es ironischerweise im Bereich der Plattenbauten in der Rosenthaler und Linienstraße geblieben, dort, wo „nichts los“ ist. Hier ist die Bewohnerschaft vergleichsweise stabil geblieben.
Neue Familien im Kiez
Als Resultat der bis 2001 gewährten öffentlichen Förderung von privat sanierten Wohnhäusern gibt es heute noch langfristige Sozialbindungen: Über einen Zeitraum von meist 20 Jahren ist in diesen Häusern die Miethöhe gebunden und der Bezirk kann die Wohnungen mit WBS-Inhabern oder anderen auf dem Wohnungsmarkt Benachteiligten belegen. In der Spandauer Vorstadt gibt es rund 1300 solcher Wohnungen.
Ab 2001 wurde verstärkt in öffentliche Einrichtungen wie Kitas, Grünflächen und Spielplätze investiert. Mit Erfolg: Die Kinderzahlen steigen wieder und der Bezirk erwägt, demnächst die 1996 wegen Kindermangels geschlossene Grundschule am Koppenplatz wiederzueröffnen.
Jens Sethmann
Beiträge über die beiden anderen aufgehobenen Sanierungsgebiete folgen in den kommenden Ausgaben des MieterMagazin.
MieterMagazin 3/08
Für die angestammte Bewohnerschaft nicht mehr bezahlbar, für die Senatorin ein „Erfolgsmodell“: runderneuerte Spandauer Vorstand in Mitte
Foto: Christian Muhrbeck
Öffentliche Informationsveranstaltung zur Aufhebung des Sanierungsgebiets Spandauer Vorstadt:
4. März 2008, 18.30 Uhr,
Waldorfschule, Gormannstraße 1-4
Wissenswertes
Das Ex-Sanierungsgebiet in Zahlen
Die Spandauer Vorstadt wurde 1993 zum Sanierungsgebiet erklärt. Von den 572 Grundstücken waren anfangs 150 unbebaut. Auf 96 Prozent der Grundstücke lagen Rückübertragungsansprüche. Das gesamte 67 Hektar große Sanierungsgebiet ist Teil eines noch größeren Flächendenkmals. Daher standen hier nicht nur Städtebaufördermittel, sondern auch Gelder aus dem Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ zur Verfügung. Insgesamt sind vom Land Berlin und vom Bund 203 Millionen Euro investiert worden. Die Einwohnerzahl stieg zwischen 1993 und 2006 von 7076 auf 8719 an, also um rund 23 Prozent. Von den heute 6313 Wohnungen befinden sich 4478 in Altbauten.
js
12.07.2013