Im März hat die Bundesrepublik das „Unesco-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ unterzeichnet. Es war zugleich die Eintrittskarte zum Feiern des „Welttags der kulturellen Vielfalt“. Der fand am 12. Mai unter der Schirmherrschaft der Unesco in der Gartenstadt Atlantic statt und spiegelte das heutige Konzept der Weddinger Siedlung wider.
Einst galt die Gartenstadt Atlantic als Exempel modernen Wohnungsbaus. Lebenswerten Wohnraum zu bezahlbaren Mieten mit großen begrünten Innenhöfen wollte der Architekt Rudolf Fränkel im dicht bevölkerten Berlin der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts schaffen. Er orientierte sich damit an der Reformbewegung „Garden City“ des Briten Ebenezer Howard. Den Zusatz Atlantic erhielt die Siedlung übrigens von der ersten Bauherrin, dem „Handelskontor Atlantic“. „Die Siedlung ist nur ein Ausschnitt dessen, was hier eigentlich vorgesehen war“, erzählt Holger Kirsch vom Lichtburgforum in der Gartenstadt. Finanzielle Schwierigkeiten im Zuge der Weltwirtschaftskrise zwangen die Erbauer dazu, ihre Pläne von 1000 Wohnungen auf 500 zu reduzieren.
Einst ein Kino der Superlative
Zentrum der Siedlung zwischen Behm-, Bellermann- und Heidebrinker Straße bildete die Lichtburg, mit 2000 Plätzen damals eines der größten Lichtspieltheater Berlins mit Restaurants, Bars und Tanzsälen. Die Lichtburg wurde im Krieg teilweise zerstört, aber noch bis 1970 bespielt. „Dann musste sie Sozialbauprojekten weichen und wurde abgerissen“, ärgert sich Kirsch noch immer.
Den reformerischen Gedanken der Siedlung aufgreifend, wurde vor sechs Jahren der „Mikrokosmos Gartenstadt Atlantic“ ins Leben gerufen. Es ist ein Gesamtkonzept aus Integration, Bildung, Kultur und Wirtschaft, in dessen Zentrum das Lichtburgforum steht. „Das Interkulturelle steht im Vordergrund, die drei Nationen werden stellvertretend für die Vielfalt in der Gartenstadt genannt“, erklärt Kirsch. Zu dem Konzept gehört auch, dass Wohnen mit kulturellen Angeboten verbunden werden soll. Künstlern werden hier deshalb günstige Gewerberäume zur Verfügung gestellt. Im Gesundheitsforum Atlantic wiederum finden für Mieter und Nicht-Mieter regelmäßig Informationsveranstaltungen statt.
Das Lichtburgforum war auch Bühne für den Welttag. „Am 12. Mai haben wir im Zeitraffer das gezeigt, was sonst das ganze Jahr über in der Gartenstadt passiert“, so Kirsch. Konzerte, Workshops, Veranstaltungen zum Thema Gesundheit, ein deutsch-türkisch-arabisches Märchenprogramm und einiges mehr lockte insgesamt an die 1000 Menschen an, viele davon Anwohner. In der Gartenstadt wohnen neben deutschen auch viele arabische und türkische Mieter. „Die wollten wir gerade durch so ein Fest ansprechen und stärker einbinden“, sagt Holger Kirsch.
Die Unesco wurde schon vor zwei Jahren auf die Gartenstadt aufmerksam, als der Publizist und Architekturkritiker Gerwin Zohlen sie als Weltkulturerbe vorschlug. „Wäre die Lichtburg nicht abgerissen worden, hätten wir es sicher in die Liste geschafft“, so Kirsch. Als Ausgleich bot die Unesco der Gartenstadt im letzten Jahr die Schirmherrschaft für den Welttag an. Die hat sie nun für die nächsten drei Jahre.
Kristina Simons
MieterMagazin 6/07
Reformerische Tradition:
die Gartenstadt Atlantic in Wedding
Fotos: Christian Muhrbeck
Unter Denkmalschutz
Die Gartenstadt Atlantic hat eine lange jüdische Tradition. Der Architekt Rudolf Fränkel war selbst Jude, ebenso der damalige Eigentümer Karl Wolffsohn. Er wurde 1939 von den Nazis enteignet. Nach langwierigen Kämpfen gelangte der Komplex wieder in den Besitz der Familie Wolffsohn. 1995 wurde die Gartenstadt unter Denkmalschutz gestellt, drohte gleichzeitig jedoch durch Leerstand und Verfall immer mehr zu verkommen. Die heutigen Eigentümer entschieden sich für eine umfassende Sanierung und Modernisierung der Anlage. Die wurde in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Denkmalschutz durchgeführt und im Jahr 2005 abgeschlossen.
ks
17.07.2013