Dunkelrot-beige Fassade, französische Fenster mit aufgemalten Giebeln, eine luxuriöse Innenausstattung – die Anwohner staunen: Noch vor zwei Jahren war das achtgeschossige Haus im Kietzer Feld ein vor sich hin modernder leer stehender Betonklotz. Bis Investor Heinz Bischoff die Idee hatte, ein altes DDR-Bürogebäude in das „Quartier 178“ zu verwandeln. In Marzahn hat er graue Platten farbenfroh gestaltet, jetzt eröffnet er in Köpenick die prunkvollste Platte Berlins.
Gleich hinter der Altstadt, weithin sichtbar, thront der farbenfrohe Plattenbau über schmuckloser DDR-Standardarchitektur, die die Straße bis hin zum Köpenicker Wendenschloss säumt. Ein Schild wirbt mit „Traumwohnungen“. Besichtigungstermin in der Wendenschloßstraße 178, fünfter Stock. Dezent erklingt „Nowhere Man“ von den Beatles im gefliesten Fahrstuhl, und ein Pärchen aus dem nahen Allendeviertel gleitet nach oben. Inge Schwartz und ihr Lebensgefährte möchten zusammenziehen, „aber gerne wieder in eine Platte“.
Jede Wohnung ein Unikat
Die Musterwohnungen bieten für die „überzeugten Plattenbaubewohner“ einige Überraschungen: Stuck an der Decke, edler Teppichboden und Terrakotta-Fliesen, großzügige Bäder mit Echtglasdusche und Bidet, Kassettentüren, Deckenspots, Wasserleitungen aus Edelstahl. Jede der insgesamt 62 Ein- und Zweizimmerwohnungen mit einer Größe zwischen 48 und 73 Quadratmetern ist ein Unikat. Man kann zwischen zehn verschiedenen Ausstattungen wählen, zum Beispiel beiger Teppich und hellblaue Fliesen oder Parkett und Terrakotta-Boden in Küche und Bad. „Hier ist alles vom Feinsten“, erklärt Heinz Bischoff seinen interessierten Kunden stolz. Der 63-jährige Ingenieur hat das ehemalige Verwaltungsgebäude komplett entkernen lassen, um ihm eine Wohnstruktur zu geben. Zwei Jahre hat der Umbau gedauert, Kosten: über drei Millionen Euro. Das Haus, das nach der Wende der Treuhandliegenschaftsgesellschaft übergeben und vorübergehend als Asylantenheim genutzt wurde, „gammelte vor sich hin und war ein Schandfleck hier im Kietzer Feld“, erinnert sich Bischoff. Als es zum Verkauf angeboten wurde, schlug der Investor zu.
Während Inge Schwartz die Aussicht auf die nahe Dahme bewundert, sucht und findet ihr kritischer Begleiter erste Mankos an der Luxus-Platte: „Wenn ich den Fußballplatz dort sehe …“ 20 Meter hinter dem Haus erstreckt sich das Spielfeld zwischen Quartier und Dahme. „Ich weiß, wie laut es während eines Spiels sein kann, schließlich war ich zehn Jahre lang Platzwart.“ Die Flutlichtanlage verstärkt seine Bedenken gegenüber dem ungetrübten Wohntraum mit Wasserblick. Und das Heizkraftwerk gleich daneben sei doch ein sehr „unschöner Anblick“. Das Paar wechselt in eine der vorderen Wohnungen mit idyllischem Blick auf die Müggelberge und den Müggelturm. Doch der Skeptiker konzentriert sich sofort auf die einfallslosen Reihenhäuser und Straßenbahnschienen. „Es gibt ja zum Glück Schallschutzfenster“, bemerkt er nüchtern.
Ein älteres Paar betritt das Haus, glaubt sich in einem Altbau inmitten der Holzbriefkästen, Terrakotta-Böden und Mahagoni-Türen. Besonders der Conciergeservice im Eingangsbereich und die kleine Wohnung im Erdgeschoss, reserviert für Gäste der Mieter, haben es den beiden angetan. Die groß angekündigte Cafeteria allerdings wirkt auf das Paar eher wie ein schlichter Aufenthaltsraum. Zweifel bleiben, ob hier die gewünschte Geselligkeit in der Platte entstehen wird.
Bischoff sieht den Schlüssel zur Geselligkeit vor allem in den Mietern. „Wir haben schon zahlreiche Anfragen, wählen aber sorgfältig aus“. Neben solventen Mietern ab Mitte 30 soll sein Konzept vor allem auch ältere Menschen ansprechen. „Für eine Familie mit zwei Kindern sind die Zweizimmerwohnungen nicht so gut geeignet“, spricht eine junge Mutter Bischoff an, „auch wenn ein kleiner Spielplatz zum Grundstück gehört.“
Das Rentnerehepaar Tibel lässt sich die Kosten aufstellen. Der Quadratmeterpreis liegt zwischen acht und zehn Euro warm. Internetanschluss, Videoanlage, Telefon- und Fernsehanschlüsse in allen Zimmern, Sprechanlage mit Verbindung zum Concierge – alles inklusive. Viele der Besucher halten die Miete für angemessen, vermissen aber einen Balkon. „Dafür hätten mindestens weitere 10000 Euro pro Wohnung investiert werden müssen – die entsprechend höhere Miete wollte ich meinen zukünftigen Mietern nicht zumuten“, so Bischoff.
Offene Türen bei den Ämtern
Als Heinz Bischoff der Stadtplanung seinen Bauantrag vorlegte, stieß er auf durchweg positive Resonanz. Die geplante Nutzungsänderung der Gewerbeplatte wurde wohlwollend aufgenommen. „Die Wohnruhe ist hier gesichert, denn die Gewerbenutzung ringsum geht gegen Null“, erklärt Ute Löbl, Leiterin des Stadtplanungsamts Köpenick. Jahrelang war der Anblick des heruntergekommenen Betonklotzes für die Anwohner ein Ärgernis. „Das Gebiet musste mit einem als Bürohaus errichteten Fremdkörper leben. Heute würden wir einen Bau von dieser Höhe und Kubatur hier nicht mehr in die Landschaft stellen“. Abreißen konnte man das bestandsgeschützte Haus allerdings nicht, daher sei man froh gewesen, als sich ein Investor für den grauen Achtgeschosser fand. Heute harmonisiert immerhin die Fassade des Gebäudes mit den Reihenhäusern und den viergeschossigen Mietshäusern in der Nachbarschaft.
„Es wurde mit Traumwohnungen geworben – das ist nicht übertrieben. Die Sanierung ist lobenswert“, resümiert Ingrid Schwartz nach ihrer Besichtigungstour. Der skeptische Begleiter nickt immerhin.
Nicole Lindner-Verweyen
MieterMagazin 6/07
Eigentümer Heinz Bischoff mit Mietinteressenten
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Heizkraftwerk neben der Luxusplatte
‚Hier ist alles vom Feinsten‘:
Innenausstattung in der Wendenschloßstraße 178
Fassadenkrieg
Heinz Bischoff ist der Vorreiter des modernen Plattenbau-Gesichts. Ende der 90er Jahre hatte er die eigenwillige Idee, 20 triste Betonsilos in Marzahn mit Kleinstadtmotiven – Häuschen mit roten, blauen und gelben Dächern – zu bemalen. Doch nach Fertigstellung der ersten genehmigten Fassade am Blumberger Damm 195 entbrannte ein jahrelanger Kleinkrieg mit dem Bezirksamt. Für die Städtebauexperten war es Kitsch. Die Großsiedlung sollte ihr sozialistisches Erbe einheitlich, mit „stilechten Platten“ präsentieren. Doch die Bewohner mochten die neue abwechslungsreiche Kleinstadtkulisse. Nachdem auch in der Bezirksverordneten- versammlung Stimmen nach mehr Farbe laut wurden, durften sieben von 20 Fassaden verziert werden, für weitere Platten wurden nur farbiger Putz und wenige Stuckelemente erlaubt. Heute findet die bunte Bischoff-Platte viele Nachahmer, auch im Ausland. Der Zwist auf politischer Ebene in Marzahn bereitete offenbar den Weg für einen „unproblematischeren Umgang“ mit der Platte, meint der Investor.
nlv
21.12.2016