Stand: 10/23
Der Senat von Berlin hatte im Frühjahr 2003 den Wegfall der Anschlussförderung für einen Teil der Berliner Sozialwohnungen sowie eine Härtefallregelung für Mieter beschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht (v. 11.5.2006 – BVerwG 5 C 10/05 -) hat die Rechtmäßigkeit der Einstellung von Anschlussförderung im Jahre 2006 bestätigt.
Im Folgenden stellen wir die Auswirkungen für Mieter bei einem Wegfall der Anschlussförderung dar:
- Was ist „Anschlussförderung“?
- Was bedeutet der Wegfall der Anschlussförderung?
- Welche Wohnungen sind betroffen?
- Das Problem: Kostenmiete
- Härtefallregelung
- Sonderkündigungsrecht nach § 11 WoBindG
- Sonderkündigungsrecht nach § 1 WoG Bln
- Ordentliche Kündigung
- Außerordentliche Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB
- Kündigung und Ersatzwohnung
- Kaution
- Wohnungssuche
1. Was ist „Anschlussförderung“?
Jahrelang gewährte das Land Berlin nach Maßgabe der sogenannten Anschlussförderungsrichtlinien den Vermietern Zuwendungen zur Bewirtschaftung öffentlich geförderter Sozialwohnungen. Dies hatte seinen Grund darin, dass seit Anfang der 70er Jahre der Soziale Wohnungsbau mit degressiven Aufwendungsdarlehen und -zuschüssen gefördert wurde. Diese Mittel – auch als Grundförderung bezeichnet – wurden nur für einen Zeitraum von 15 Jahren bewilligt. Nach diesen ersten 15 Jahren waren aber die für die Finanzierung des Gebäudes an die Geschäftsbanken zu zahlenden Kredite noch nicht getilgt. Um die bei Auslaufen der Förderung – trotz schrittweisen Förderungsabbaus – eintretende erhebliche Steigerung der Mietbelastung allgemein tragbar zu halten, wurde danach die sogenannte Anschlussförderung gewährt. Die Anschlussförderung verlängerte also die Grundförderung.
2. Was bedeutet der Wegfall der Anschlussförderung?
Auch nach Ende der Grundförderung gilt eine Wohnung weiter als öffentlich gefördert (vgl. § 15 Abs. 2 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG)), mit der Folge, dass der Vermieter die Kostenmiete verlangen kann. Bei Mieterhöhungen stellt der Berliner Mietspiegel hier also keine rechtliche Begrenzung dar. Er kommt – da weiterhin das WoBindG gilt – nicht zur Anwendung. Anders als bei Gewährung von öffentlicher Anschlussförderung ist nunmehr die Kostenmiete aber unsubventioniert und liegt deshalb erheblich über der ortsüblichen Vergleichsmiete für vergleichbaren nicht geförderten – freifinanzierten – Wohnraum. Im Ergebnis bedeutet dies, dass dann Nettokaltmieten von 10 bis 15 Euro pro Quadratmeter und Monat rechtswirksam vom Vermieter gefordert werden können. Dem Mieter bleibt dann nur noch die Kündigung des Mietverhältnisses.
3. Welche Wohnungen sind betroffen?
Es handelt sich um circa 12.000 Wohnungen der Baujahrgänge 1986 bis 2002 im 1. Förderweg (sogenannter Sozialer Wohnungsbau), also nicht um den 2. Förderweg (vereinbarte Förderung; meist Staffelmietvereinbarungen). Die Grundförderung läuft 15 Jahre nach Fertigstellung aus; also Baujahr plus 15 = Jahr des Problembeginns. Die Wohnungen liegen jeweils zur Hälfte im Ost- bzw. Westteil Berlins.
kann bei der Investitionsbank Berlin (IBB) unter Telefon 030 / 2125 2660
oder schriftlich (!) beim Berliner Mieterverein e.V. erfragt werden.
4. Das Problem: Kostenmiete
Der Vermieter ist gemäß § 10 Abs. 1, 2 WoBindG berechtigt, nach Wegfall der Förderung durch einseitige Erklärung die Kostenmiete zu verlangen (im Durchschnitt bis zu 12 Euro monatlich netto kalt). Die Erhöhung tritt vom nächsten Monatsersten ein, wenn die Erklärung bis zum 15. des Monats beim Mieter eingeht.
Daneben gilt die Berliner Sonderregelung des § 1 c des Wohnraumgesetz Berlin – WoG Bln -. Hiernach liegt der Wirkungszeitpunkt der Mieterhöhung, wenn diese mehr als 10 % oder innerhalb von vier Jahren mindestens 15 % beträgt, drei Monate nach Zugang der Mieterhöhung.
Beispiel:
Zugang der Mieterhöhung am 13.10.2017.
→ Neue Miete erstmals zu zahlen im Februar 2018.
Ob eine geringere als die Kostenmiete verlangt wird (Mietverzicht), hängt von der konkreten Situation des Objekts ab. Ein Leerziehen durch Verlangen der Kostenmiete kann bei entsprechender Verwertungsmöglichkeit als leere Eigentumswohnung im Interesse des Vermieters sein.
Diverse Vermieter machen – vorerst! – nur Mieterhöhungen um den planmäßigen Abbau der Förderung geltend und verzichten explizit bzw. schlüssig auf Geltendmachung der an sich zulässigen Kostenmiete. Darin kann ein Mieterhöhungsausschluss gemäß § 10 Abs. 4 WoBindG gesehen werden. Im Einzelfall kann es strittig sein, ob ein Verzicht nur zeitweise oder dauerhaft anzunehmen ist.
5. Härtefallregelung
Gemäß § 2 Wohnraumgesetz Berlin gibt es auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen bei hohen Mieten oder Mieterhöhungen einen Mietausgleich (zu den Einzelheiten siehe Info Nr. 53).
6. Sonderkündigungsrecht nach § 11 c WoBindG
Gemäß § 11 WoBindG ist der Mieter berechtigt, das Mietverhältnis spätestens am 3. Werktag des Monats, von dem an die Miete erhöht werden soll, für den Ablauf des nächsten Monats zu kündigen. Dann tritt die Mieterhöhung nicht ein.
Beispiel: Die Mieterhöhung geht Anfang Januar zu. Sie entfaltet Wirkung zum 1.2.. Der Mieter kann spätestens bis zum 3.2. zum nächsten Monatsende, also zum 31.3., kündigen.
Im Klartext: Der Mieter hat im ungünstigsten Fall nur zwei Wochen Überlegungsfrist, ob er kündigt und dann knapp zwei Monate Zeit, sich eine neue Wohnung zu suchen (siehe deshalb auch unten Nr. 7.).
Das Sonderkündigungsrecht nach § 11 WoBindG kann auch bei einer Nachforderung auf den durch Vorauszahlungen nicht gedeckten Umlegungsbetrag für Betriebskosten wahrgenommen werden.
7. Sonderkündigungsrecht nach § 1 c WoG Bln
Der schon oben unter 4. vorgestellte § 1 c WoG Bln enthält ein weiteres Sonderkündigungsrecht für Mieter, wenn die Mieterhöhung mehr als 10 % oder innerhalb von vier Jahre mindestens 15 % beträgt.
Hier haben die Mieter drei Monate Zeit, sich darüber klar zu werden, ob sie das Sonderkündigungsrecht in Anspruch nehmen wollen. Tun sie es, endet das Mietverhältnis spätestens zum Ablauf des sechsten Monats nach Zugang der Mieterhöhung.
§ 1c Mieterhöhungsverfahren
(1) Erhöht sich die Miete einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung, abgesehen von Erhöhungen nach den §§ 559 und 560 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, um mindestens 10 Prozent oder innerhalb von vier Jahren um mindestens 15 Prozent, so kann der Mieter bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Monat, in dem die Mieterhöhungserklärung zugegangen ist (Überlegungsfrist), außerordentlich mit Wirkung bis spätestens zum Ablauf des sechsten Monats nach Zugang der Erklärung kündigen. Kündigt der Mieter innerhalb dieser Frist das Mietverhältnis, so tritt die Mieterhöhung nicht ein. Andernfalls tritt die Mieterhöhung nach Ablauf der Überlegungsfrist ein.
Beachte: § 11 WoBindG (siehe oben 6.) gilt weiter für Mieterhöhungen, die nicht unter § 1 c WoG Bln fallen.
8. Ordentliche Kündigung
Versäumt der Mieter die Kündigung nach § 11 WoBindG oder nach § 1 c WoG Bln, ist er auf sein ordentliches Kündigungsrecht beschränkt. Hier hat er – je nach Vertragsgestaltung und Wohndauer – eine Kündigungsfrist bis zu 12 Monaten. In der Regel jedoch kann er mit einer Dreimonatsfrist kündigen. Zu den Einzelheiten der Berechung der Kündigungsfrist siehe unser Info Nr. 91.
9. Außerordentliche Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB
Bei Vereinbarung eines wirksamen Kündigungsausschlusses ist im Einzelfall weiterhin zu prüfen, ob dem Mieter die Kündigung aus wichtigem Grund zur Seite steht, wenn er mit einer exorbitanten Mieterhöhung bis zum Kostenmietniveau konfrontiert wird. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen wird zwar nicht dazu führen, dass der Mieter fristlos wird kündigen können, wohl aber kann es im Einzelfall gerechtfertigt sein, dem Mieter die Kündigung nach § 543 Abs.1 BGB mit dreimonatiger Frist zuzubilligen.
10. Kündigung und Ersatzwohnung
Geht eine hohe nicht mehr bezahlbare Mieterhöhung zu, dann sollte der Mieter erwägen, sicherheitshalber nach § 1 WoGBln zu kündigen, auch wenn er noch keine neue Wohnung hat und gegebenenfalls in der alten Wohnung auch nach Ablauf der Kündigungsfrist bleiben.
Allerdings hätte er dann für den Zeitraum zwischen Mietvertragsende und tatsächlicher Räumung als Nutzungsentschädigung die Marktmiete und nicht die Kostenmiete zu zahlen (§ 546 a Abs. 1 BGB). Ob die jeweilige Marktmiete über oder unter der Kostenmiete liegt, kann jedoch nicht generell vorhergesagt werden. Das Risiko, dass der Mieter bei Verbleiben in der Wohnung über den Kündigungstermin eingeht, ist also groß. Andererseits gilt: Nimmt er das Sonderkündigungsrecht gemäß § 1 WoGBln nicht in Anspruch, und kündigt er erst dann ordentlich, wenn er eine Ersatzwohnung gefunden hat, muss er die erhöhte Miete bis zum Kündigungstermin zahlen.
Um die Kosten eines Räumungsprozesses zu vermeiden, sollte der Mieter frühzeitig mit dem Vermieter Kontakt aufnehmen und sofortige Räumung nach Bezug der neuen Wohnung zusichern (Hier ist auf jeden Fall eine rechtzeitige Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen!).
In jedem Fall ist eine Erklärung des Mieters nach § 545 BGB ratsam, sollen die Anstrengungen zur Vertragsbeendigung nicht vergebens gewesen sein.
§ 545 BGB – Stillschweigende Verlängerung des Mietverhältnisses
Setzt der Mieter nach Ablauf der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache fort, so verlängert sich das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit, sofern nicht eine Vertragspartei ihren entgegenstehenden Willen innerhalb von zwei Wochen dem anderen Teil erklärt. Die Frist beginnt
1. für den Mieter mit der Fortsetzung des Gebrauchs,
2. für den Vermieter mit dem Zeitpunkt, in dem er von der Fortsetzung Kenntnis erhält.
11. Kaution
Droht wegen Nichtgewährung der Anschlussförderung Insolvenz des Vermieters, sollten sich die Mieter zur Sicherung der Kaution die insolvenzsichere Anlage (getrennt vom Vermögen des Vermieters, § 551 BGB) nachweisen lassen (siehe hierzu unser Musterschreiben in Info 163).
12. Wohnungssuche
Wegen der oben geschilderten – durch den Wegfall der Anschlussförderung hervorgerufenen – enormen Nachteile für Mieter müssen auch Wohnungssuchende darauf achten, nicht versehentlich einen Mietvertrag über eine Wohnung abzuschließen, die demnächst vom Wegfall der Anschlussförderung betroffen ist. Zwar ist der Vermieter verpflichtet, bei Mietvertragsabschluss auf diesen Umstand hinzuweisen und er macht sich nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsabschluss (vgl. § 311 Abs. 2 BGB) schadensersatzpflichtig, wenn er entsprechende Hinweise unterlässt. Gleichwohl raten wir Mietern, die eine Sozialwohnung anmieten wollen, vor Mietvertragsunterzeichnung unter oben (Punkt 3.) angegebenen Rufnummern nachzufragen, ob die Sozialwohnung eine „Anschlussförderungswohnung“ ist.
Seit dem 1.1.2016 ist die Anmietung der vom Wegfall der Anschlussförderung betroffenen Wohnungen grundsätzlich wieder nur nach Vorlage eines Wohnberechtigungsscheines oder einer Bezugsberechtigung zulässig (vgl. § 11 a Abs. 4 WoG Bln). Freistellungen von der Belegungsbindung im Einzelfall sind aber nach wie vor möglich. Siehe aber auch Punkt 5.
08.11.2023