Am 1. August 2007 wurde auf Antrag der Bundesanwaltschaft der Berliner Soziologe Dr. Andrej H. in Untersuchungshaft genommen. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied einer Organisation („militante gruppe“ – mg) zu sein, gegen welche die Bundesanwaltschaft wegen BiIdung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129 StGB ermittelt. Der Haftbefehl erging, weil der Beschuldigte zwei Treffen mit einer Person hatte, die am 31. Juli 2007 verhaftet wurde, als sie in Brandenburg/Havel Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen versuchte. Inzwischen hat Andrej H. Haftverschonung erhalten.
Warum beschäftigen wir uns als Berliner Mieterverein beziehungsweise MieterMagazin mit dieser Angelegenheit?
Nach den uns bislang vorliegenden Informationen und Erkenntnissen ist die Begründung der Bundesanwaltschaft für den Haftbefehl gegen Andrej H. und die Anklage gegen drei weitere Wissenschaftler wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ausgesprochen problematisch.
Andrej H. hat sich im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der Fachschaft Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin kritisch mit aktuellen Problemen von Stadtentwicklung und Wohnungsversorgung auseinandergesetzt. Als Redakteur des MieterEcho, der Verbandszeitschrift der Berliner Mietergemeinschaft, hat er unter anderem über mehrere Jahre hinweg Artikel zur Privatisierung städtischer Wohnungsunternehmen, zur Mietenentwicklung und zur Wohnungsversorgung einkommensschwacher Haushalte verfasst. Dass er sich kritisch mit diesen Themen beschäftigt hat, wird ihm nun offenbar zur Last gelegt. Die von Andrej H. bearbeiteten wissenschaftlichen und journalistischen Themen sollen eine intellektuelle Täterschaft in einer terroristischen Vereinigung begründen. Dr. Andrej H. habe sich mit Themen beschäftigt, die sich auch in Schreiben der mg wiederfinden. In Abhandlungen des Beschuldigten seien Schlagwörter (zum Beispiel der in der Stadtforschung gebräuchliche Begriff der „gentrification“, was so viel wie Veredelung bedeutet) enthalten, so die Bundesanwaltschaft, die in Texten der mg ebenfalls Verwendung finden. Einem weiteren Angeklagten wird vorgeworfen, als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung zu haben, die unauffällig benutzt werden könnten, um die zur Erstellung der mg-Texte erforderlichen Recherchen durchführen zu können. Eine solche Argumentation stellt eine fundamentale Bedrohung der Freiheit von Forschung, Lehre und Journalismus dar.
Gewaltbefürwortung und -ausübung lehnen wir ausdrücklich ab. Wir appellieren an die Bundesanwaltschaft, die Unterstellungen aufzugeben, dass aus den von Dr. Andrej H. vorliegenden Arbeiten und Themen eine intellektuelle Täterschaft erwachse. Kritische Forschung und Berichterstattung darf nicht zum terroristischen Tatbestand erklärt werden.
Edwin Massalsky, Vorsitzender des Berliner Mietervereins
Udo Hildenstab, Chefredakteur MieterMagazin
MieterMagazin 9/07
16.07.2013