Um den fortschreitenden Verfall ihres Viertels einzudämmen, besetzten Anfang der 70er Jahre engagierte Anwohner in New York verwilderte Brachen und gründeten sogenannte Community Gardens. Heute sind etwa 800 solcher Gärten in der US-Metropole registriert. Nach über 30 Jahren haben die Gemeinschaftsgärten eine wichtige Funktion für das Zusammenleben, die Versorgung und Integration von Migranten übernommen, und dennoch herrscht ein ständiger Kampf um Erhalt und Legalisierung.
„Der japanische Knöterich, der Beifuß – das ganze Unkraut muss weg“, erklärt Hannah Riseley-White von den „Green Guerillas“ das Ziel des heutigen Tages. Zehn Volunteers, freiwillige Helfer, haben sich um ihren „Community Organizer“ versammelt. Gemeinsam mit Jerry Summers, einem pensionierten Soldaten der US-Army, präsentiert Hannah den Bebauungsplan für die dreieckige Brachfläche. An der Kreuzung Somers und Fulton Street in Bedford-Stuyvesant, Brooklyn, soll eine grüne Oase entstehen, inmitten von tristen Straßenzügen mit angeschlagenen Häusern, die von der teilweise erschreckenden Armut ihrer Bewohner zeugen. Auch in diesem Jahr belegt Bedford-Stuyvesant den unrühmlichen ersten Platz der unsaubersten Bezirke der Stadt. „In etwa fünf Jahren wird der neue Community Garden seinen Beitrag dazu leisten, dass der Bezirk an Attraktivität und Sicherheit gewinnt“, hofft Hannah.
Vor etwa drei Monaten wurde Jerry Summers von Hannah und ihren Mitarbeitern angesprochen. „Seine bunten Blumenkästen vor den Fenstern fielen uns sofort ins Auge. Wir fragten ihn, ob er bei der Anlegung eines Community Gardens mitmachen möchte“, erzählt sie. Jerry sagte zu, stellte Werkzeug zur Verfügung und versprach, die zumeist völlig unerfahrenen Hobbygärtner zu unterstützen. Hannah erklärte ihm, es solle ein Ort für Anwohner entstehen, die sich hier treffen und erholen, aber auch dabei helfen, Gemüse und Obst anzubauen – eine Chance, das Viertel aufzuwerten und mit günstigen Bio-Produkten zu versorgen.
„Grüne Guerillas“
Green Guerillas ist nur eine von vielen Initiativen, die sich um Gemeinschaftsgärten kümmert. In erster Linie kämpft die Organisation für die Sicherung bereits bestehender Gärten und gibt Starthilfe bei Neugründungen. Sie entwickelt Bepflanzungspläne, stellt Saatgut zur Verfügung und sammelt Spenden. Den Ursprung der Bewegung findet man in der Lower East Side. 1973 gründete Liz Christy zusammen mit einigen Nachbarn den ersten New Yorker Community Garden und im selben Jahr die Green Guerillas. Noch heute existiert der Liz Christy Garden an der Houston Street Ecke Bowery zum Gedenken an die früh verstorbene Initiatorin.
Ein drei Meter hoher Zaun, efeubewachsene Brandmauern und ein Neubau begrenzen den florierenden Mikrokosmos. Üppige Beete mit Blumen, Pflanzen und Kräutern. Dazwischen hohe Bäume, ein kleiner Teich mit Schildkröten. Der Computerexperte Donald Loggings ist hier Gärtner der ersten Stunde und pflegt seit Jahrzehnten sein sechs Quadratmeter großes Beet. Lebhaft erinnert sich Donald daran, dass rund um die Bowery vor 30 Jahren Gewalt und Armut das Straßenbild prägten. Als die Stadt die Grundsteuer erhöhte, ließen viele Besitzer ihre Häuser verfallen, die schließlich abgerissen wurden. Die Brachen, nun Eigentum der Stadt, vermüllten zusehends und wurden von Drogendealern okkupiert. „Liz kam eines Tages hier vorbei und sah ein Kind zwischen Autowracks spielen – die Initialzündung für sie, an dieser Stelle einen schönen Ort für die Anwohner zu schaffen.“ Eine handvoll Helfer befreite das Areal vom Schutt, verteilte Muttererde und säte Blumen. Die grüne Idylle, gleich neben der sechsspurigen Houston Street, begann zu sprießen.
1978 lenkte die Stadt die Bewegung in geordnete Bahnen und gründete die behördliche Abteilung „Green Thumb“ (grüner Daumen), die zwischen den Community Gardens und der Stadt vermittelt. Die Gärtner erhielten Pachtverträge über ein Jahr mit der Option auf Verlängerung, wenn das Grundstück nicht anderweitig genutzt werden sollte. „Es gab erste Verordnungen“, sagt Donald. Fünf Stunden in der Woche muss ein Garten öffentlich zugänglich sein, die Mitglieder sollen den Garten pflegen und haben eine Aufsichtspflicht, Alkohol und Drogen sind tabu.
Ein paar Beete weiter pflanzt eine indische Familie duftende Kräuter aus der Heimat, daneben zieht eine Köchin Kohl und Paprika für die Restaurantküche. Viele Hobbygärtner spenden die Erträge an Suppenküchen oder verkaufen sie auf Märkten. Zusammen erwirtschaften die Gärten pro Saison geschätzt eine Million Dollar. Derzeit zählt der Liz Christy Garden 25 Mitglieder, und jeder Gärtner zahlt monatlich einen symbolischen Dollar Pachtgebühr für sein Beet. Dafür erhält er im Gegenzug einen Schlüssel für das Tor zum kleinen Paradies.
Als Mitte der 90er Jahre ein Immobilienboom New York erfasste, sahen die Makler in den grünen Oasen verschwendete Baufläche. Unter Bürgermeister Rudolph Giuliani eskalierten 1994 die Konflikte. Grundstücke, die seit Jahrzehnten als Garten genutzt wurden, ließ die Stadt einfach umpflügen, obwohl es 14.000 unbebaute vakante Areale gab. Viertel, aufgewertet durch blühende Gärten, sind für Investoren interessanter. Mit dem neuen Bürgermeister Michael Bloomberg hat sich die Lage etwas entspannt.
Angriff der Bauspekulanten
Die meisten der etwa 800 Community Gardens konzentrieren sich auf die Lower East Side und das East Village. Ein paar Blocks nördlich besetzt der „6th&B Garden“ ein 1600 Quadratmeter großes Eckgrundstück. Etwa 120 Mitglieder teilen sich das Großstadtgrün. Über unregelmäßig angelegten Beeten und der üppigen, saftig grünen Pflanzenvielfalt thront eine pyramidenförmige, von der Witterung ausgezehrte Holzskulptur, der „Toytower“. Auf einer überdachten Veranda, gleich neben dem imposanten Komposthaufen, sitzen Graywolf, Pam und Sandra und unterhalten sich angeregt über die letzte große Veranstaltung im 6th&B. Dieser Garten ist einer der aktivsten der Stadt. Die Mitglieder organisieren Vorlesungen, Ausstellungen und Barbecues. Graywolf, ein verlebter, sonnengegerbter Mann, hat seine wüste, graue Mähne unter eine knotige Wollmütze gepackt. Die Mutter ist Indianerin, der Vater ein Deutscher. Er ist inzwischen im Ruhestand, kümmert sich in seiner Freizeit aber aktiv um den Internetauftritt des Gartens. „Eddie, der Erbauer des hölzernen Monstrums, ist leider vor kurzem gestorben“, erzählt er. Über 20 Jahre wuchs die mit Spielzeug behängte Skulptur und wurde zum Wahrzeichen des Gartens.
Weiter im Westen liegt das „Petit Versaille“ – ein Community Garden in einer Baulücke, der zugleich Idylle und Tribüne für Kunst, Theater und Performance ist. „Jeder Garten ist individuell in seiner Nutzung und Gestaltung. Diese Vielfalt muss erhalten bleiben“, sagt Donald Loggings. Er berichtet von einem Garten in Harlem, der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Bauspekulanten dem Erdboden gleichgemacht wurde. Der Garten sollte verödet und ungepflegt erscheinen, um ihn dann als Brachland von der Stadt zu erwerben. Die Nachbarschaft in Bedford-Stuyvesant hat diese Sorgen nicht, noch ist das Viertel uninteressant für Investoren. Und Jerry Summers und seine Nachbarn können sich wohl in den nächsten Jahren der Unterstützung der Stadt sicher sein.
Nicole Lindner-Verweyen
MieterMagazin 9/07
Angeregte Unterhaltung vor dem Toytower: Graywolf und Jill arbeiten im aktivsten New Yorker Gartenprojekt „6th & B Community Garden“ mit
alle Fotos: Nicole Lindner-Verweyen
Freiwillige befreien die Brache in Bedford-Stuyvesant/Brooklyn von Schutt und Unkraut
‚Liz Christy Garden‘ ist der älteste der New Yorker Gärten – und Donald Loggins war von Anfang an dabei
Ein Stück Heimat in Berlin
Nach dem New Yorker Vorbild haben sich urbane Gemeinschaftsgärten mit ähnlichen Ansätzen immer weiter verbreitet. In Berlin-Köpenick wurde der erste sogenannte Interkulturelle Garten 2003 gegründet. Die Idee des Projekts: Gemeinsames Gärtnern soll Deutsche und Migranten einander näherbringen. Im „Wuhlegarten“ bauen auf einer Fläche von 4000 Quadratmetern Menschen aus elf verschiedenen Kulturkreisen Obst und Gemüse an. Beim Austausch von Rezepten und in geselligen Stunden lernt man schneller Deutsch als in jedem Sprachkurs. Das Wichtigste beim Beackern der Beete aber ist für die Zugewanderten das Heimatgefühl. Viele haben ihr Hab und Gut, soziale Bindungen und auch ihre Gärten zurückgelassen. Mit dem Bewirtschaften ihrer Parzelle können sie einerseits ihre eigene Kultur pflegen und andererseits in der neuen Kultur Fuß fassen. Mittlerweile gibt es in Berlin über ein Dutzend Interkulturelle Gärten.
Mehr zum Thema „Interkulturelle Gärten – Wurzeln schlagen“, MieterMagazin 9/05, Seite 20 und „Laskerwiese“, MieterMagazin 6/07, Seite 6.
nlv
16.07.2013