Wenn Häuser neu gebaut werden, kann der Niedrigenergiestandard problemlos realisiert werden. Doch auch im Berliner Altbau ist es möglich, durch eine energetische Sanierung den Energiebedarf für Heizung und Warmwasser um rund zwei Drittel zu senken. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche Maßnahme mietkostenneutral umgesetzt werden kann oder ob die Mieter am Ende kräftig draufzahlen. In der Oppelner Straße in Kreuzberg sind die Beteiligten zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen.
Mitten in Kreuzberg im Herzen des guten, alten SO 36 findet man unter den typischen Mietshäusern der Gründerzeit ein besonderes Objekt. Eher unscheinbar fallen hinter den hohen Linden zunächst nur die schlanken Fensterformate auf. Das beidseitig eingebaute Mietshaus strahlt in hellem Gelb. Für die Gestaltung des Sockels wurden die ortsansässigen Sprayer auf den Plan gerufen. Die dicke Dämmung sieht man der Fassade nicht an. Ebenfalls erahnt man im Vorbeigehen auch nicht die thermische Solaranlage auf dem Dach und die zwei riesigen Pufferspeicher plus modernste Brennwerttechnik im Keller.
Christian Kortenkamp, ehemals Mitglied eines Hausprojekts in der Liegnitzer Straße, wollte als Aktiver der Solarbranche seine eigenen Vorstellungen von energieeffizientem Bauen und Wohnen umsetzen. Bei seinen früheren Mitbewohnern stieß er damit jedoch auf taube Ohren. Daraufhin ergriff er andernorts die Initiative. Vor vier Jahren erwarb er ein einfaches, bewohntes Mietshaus mit elf Wohnungen in der Oppelner Straße nahe dem Schlesischen Tor. Für ihn stand von Anfang an fest: wenn sanieren, dann richtig.
So war vor gut zwei Jahren erst einmal ein Energieberater vor Ort. Denn nur nach Vorlage eines Energiegutachtens bekommt man bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein zinsvergünstigtes Darlehen für die Sanierungsmaßnahmen. Geplant wurde ein Dachgeschossausbau für seine fünfköpfige Familie und bei dieser Gelegenheit eine Sanierung des gesamten Gebäudes auf Niedrigenergiestandard. Das beinhaltete die Anbringung von zwölf Zentimeter Dämmung an der gesamten Fassadenfläche sowie den Einbau neuer Fenster mit Wärmeschutzverglasung und neuer Heizkörper in den Wohnungen. Im Keller wurde der 93-Kilowatt-Kessel der Gaszentralheizung aus den 80er Jahren durch einen Gasbrennwertkessel mit lediglich 35 Kilowatt ersetzt. Unterstützt wird die Heizung durch 16 Solarkollektoren zu je zwei Quadratmetern – insgesamt stehen also 32 Quadratmeter der schrägen Dachfläche für sonnengewärmtes Wasser zur Verfügung. „Die Solaranlage läuft seit dem ersten Tag perfekt“, freut sich Solar-Bastler Kortenkamp, „und bringt sogar etwas höhere Erträge, als im Vorfeld errechnet wurde.“ Durch die Einspeisung des solargewärmten Wassers wird der Kubikmeter Warmwasser in der Gesamtabrechnung für alle Mieter billiger.
Guter Draht zu den Mietern
Einen guten Draht zu seinen Mietern hatte Kortenkamp von Anfang an. „Der Eigentümer behandelt uns eher wie Verwandte“, bestätigt Marcela Lopez Rubino, die mit ihrer Familie eine Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss bewohnt. Auch bei der Vorbereitung der Sanierung wurde ein offener Umgang gepflegt. Kortenkamp legte den Mietern seine Pläne vor und versuchte mit ihnen zu einer Einigung zu kommen. Dabei interessierte ihn weniger, was juristisch durchsetzbar war, als vielmehr die gute Atmosphäre im Haus, die die Bewohner dauerhaft bindet. Und deshalb legte er nicht von allen Posten die rechtlich möglichen elf Prozent um, sondern gerade so viel, dass es zu Mieterhöhungen um die 30 Euro pro Monat für eine Dreizimmerwohnung kam. Selbst diese Kosten werden die Mieter nun vermutlich mit ihrer Stromrechnung wieder einsparen, da die stromfressenden elektrischen Durchlauferhitzer ausgemustert wurden.
Ist Energieeffizienz also doch nur für Idealisten machbar? Diese Frage verneint Kortenkamp. Er hat die Kosten klar im Blick. Über die zinsvergünstigten Darlehen und die höheren Nettomieten finanziert sich das Projekt über einen Zeitraum von 20 Jahren. Danach darf Kortenkamp seine Rente über den Dächern von Kreuzberg genießen.
Vor der Unterzeichnung der Modernisierungsvereinbarungen wollten die Bewohner in der Oppelner Straße verständlicherweise ganz genau wissen, wie hoch ihre Einsparungen für Heizung und Warmwasser in Zukunft sein werden. Ohne Fachkenntnisse ist es schwer einzuschätzen, ob die vorgelegte Rechnung wirklich aufgehen wird, da es sich bei solchen Bauvorhaben immer noch um Pilotprojekte handelt. Für den Eigentümer ist es wiederum schwierig, jedem einzelnen Mieter zuzusagen, wie hoch seine persönliche Einsparung bei den Betriebskosten sein wird. Deshalb wurde in den Modernisierungsvertrag eine Klausel aufgenommen, die eine Einsparung für das gesamte Haus von 60 Prozent garantiert. Wenn die Gesamteinsparung niedriger ausfiele, würden Rückzahlungen an die Mieter fällig. Und tatsächlich lag die Einsparung in den letzten beiden Jahren jeweils bei circa 66 Prozent: Also zahlen die Bewohner jetzt rund zwei Drittel weniger an die Gasag als vor der Sanierung.
Unsichtbare Verpackung
Marcela Lopez Rubino freut sich derweilen über den schönen Garten, der im Hof entstanden ist, und über mehr Licht in ihrer Wohnung. Die Bauarbeiten waren gut organisiert, meint sie. Die Fenster wurden wohnungsweise jeweils innerhalb eines Tages ausgetauscht. Dass beim Abstemmen der Laibungen Staub entstand, war wohl unvermeidbar. Die Laibungen wurden entfernt, damit die Dämmung bis über die Fensterrahmen gezogen werden konnte. Diese Konstruktion verhilft zu einer Fassade ohne Wärmebrücken. Die Fenster schließen nun bündig mit dem Mauerwerk ab und die Dämmung bildet die neue Laibung. Deshalb sieht man dem Haus seine Verpackung gar nicht an.
Als Bestandteil der Modernisierungsvereinbarung haben alle Mieter eine Beschreibung über richtiges Lüften bekommen. Da Fenster und Fassaden nun besonders dicht sind, sich der Einbau einer kontrollierten Lüftungsanlage in diesem Altbau jedoch nicht realisieren ließ, soll die gute Luftqualität unter anderem durch regelmäßiges Stoßlüften gewährleistet werden. Im Rahmen eines Monitorings wurden in einer der Wohnungen Messungen der Luftqualität über mehrere Tage durchgeführt – mit dem Ergebnis, dass hier tatsächlich der CO2-Gehalt in der Luft häufig erhöht war und öfter gelüftet werden sollte – im Interesse des Mieters. Die Angst vor Schimmel in den Wohnungen führt der Eigentümer jedoch auf Fehlinformationen zurück. „Selbst wenn die Mieter nicht genügend lüften, wird sich die Feuchtigkeit am kältesten Ort der Wohnung, der Fensterscheibe, niederschlagen und dann schlimmstenfalls das Fensterbrett vergammeln lassen.“ Die Regeln für richtiges Lüften wurden allen Mietern nach Auswertung der Messergebnisse noch einmal ausführlich erläutert.
In der Oppelner Straße bekommt im nächsten Jahr das Treppenhaus einen neuen Schliff, die Balkone auf der Hofseite stehen bereits. Hier sind die Mieter zufrieden mit dem Ergebnis der Sanierung. Legt ein Eigentümer jedoch die gesetzlich möglichen elf Prozent der Kosten für Dämmung, moderne Heizungsanlage und Wärmeschutzfenster auf die Mieter um, haben diese meist nichts zu lachen. Dann fängt die Energieeinsparung meistens nur einen Teil der Mieterhöhung auf.
Anja Riedel
MieterMagazin 10/07
Unter dem Dach hat es sich Eigentümer Kortenkamp mit seiner Familie gemütlich gemacht
alle Fotos: Christian Muhrbeck
32 Quadratmeter Sonnenkollektoren auf dem Dach sorgen für warmes Wasser
Mehr Licht und ein schöner Garten im Hof freuen die Mieterin Marcela Lopez Rubino
Mehr Licht und ein schöner Garten im Hof
Was ist ein Niedrigenergiehaus?
Der Begriff „Niedrigenergiehaus“ (NEH) beschreibt einen Baustandard, also nicht eine bestimmte Bauweise oder Bauform. Dieser wird sowohl für Neubauten als auch für sanierte Altbauten angewendet. Das entscheidende Merkmal eines Niedrigenergiehauses ist der deutlich verringerte Heizwärmebedarf gegenüber dem üblichen Standard. Obwohl es sich nicht um einen geschützten Begriff handelt, besteht dennoch unter Fachleuten die Übereinkunft, dass der Jahresheizenergiebedarf von Niedrigenergiehäusern bei etwa 50 Kilowattstunde pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr liegen sollte. Das bedeutet bei 100 Quadratmetern Wohnfläche einen jährlichen Heizenergiebedarf von 500 Kubikmetern Erdgas oder 500 Litern Heizöl. In Deutschland gilt das NEH im Neubau bereits als Standard.
ar
21.12.2016