Franziska Eichstädt-Bohlig war bis 2005 bau- und wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag. Das Gespräch mit der künftigen Spitzenkandidatin der Berliner Grünen führte MieterMagazin-Redakteur Reiner Wild.
MieterMagazin: Nach elf Jahren sind Sie im Oktober letzten Jahres aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden. Was ist auf den Wohnungsmärkten in dieser Zeit passiert? Ist die Position der Mieter heute besser als vor elf Jahren?
Eichstädt-Bohlig: In diesen elf Jahren musste die Wohnungswirtschaft mit großer Mühe zwei Dinge lernen: Zum einen hat sich in weiten Teilen des Landes der Wohnungsmarkt vom Vermieter- zum Mietermarkt gewandelt. Mieter haben heute mehr Spielraum bei der Wohnungswahl. Zum anderen sind schrittweise die staatlichen Subventionen abgebaut worden, zuletzt die Eigenheimzulage. Die Wohnungswirtschaft muss lernen, neue Modernisierungsimpulse zu geben, und zwar auf eigene Rechnung. Wir brauchen in den Städten zum Beispiel mehr kinder- und altengerechte Wohnungen und moderne Energiestandards.
MieterMagazin: Das Wohnungsangebot muss mehr auf die Bedürfnisse der Mieter zugeschnitten werden. Wie kann diese Anpassung finanziert werden? Wir haben eine wachsende Polarisierung bei den Haushaltseinkommen und schon heute eine deutlich größere Nachfrage bei preisgünstigen Wohnungen.
Eichstädt-Bohlig: Wir erleben tatsächlich ein soziales Auseinanderdriften der Gesellschaft. Bundesweit wächst die Zahl der Quartiere, in denen sich soziale Probleme häufen. Meist handelt es sich um Ausgrenzung durch hohe Arbeitslosigkeit. Für den stetigen Ausgleich sozialer Benachteiligungen hat Rot-Grün das Programm „Soziale Stadt“ initiiert.
MieterMagazin: Zu den Förderprogrammen „Soziale Stadt“ und Quartiersmanagement konkret: Wird die ungleiche räumliche Verteilung in den Städten wirklich ernst genommen?
Ressortübergreifende Zusammenarbeit wäre wünschenswert
Eichstädt-Bohlig: In der rot-grünen Koalition sind uns mit der Mietrechtsnovelle, der Wohngeldnovelle und den Programmen „Soziale Stadt“ sowie „Stadtumbau“ mehrere wichtige sozialpolitische Reformen gelungen. Das Programm Soziale Stadt löst natürlich nicht gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit. Es kann aber stabilisierend im einzelnen Stadtteil wirken. Leider kann auf Bundesebene die ressortübergreifende Zusammenarbeit nicht einfach verordnet werden. Ich finde es ärgerlich, dass die Einbindung der Job-Center im Stadtteil nicht richtig funktioniert. Auch die Verknüpfung mit der Wirtschaftsförderung ist zu verbessern. Aber bei aller Kritik, die Aktivierung der Bewohner dieser Quartiere gelingt erstaunlich gut.
MieterMagazin: Die sollte eigentlich auch beim Stadtumbau stattfinden. Wir kritisieren, dass die Bewohner bei den Stadtumbaukonzepten regelmäßig übergangen werden – vor allem dann, wenn der Stadtumbau im jeweiligen Gebiet von einem einzigen Vermieter betrieben wird. Warum wurde in diesen Stadtumbauprogrammen die Betroffenenbeteiligung nicht zur Pflicht gemacht?
Eichstädt-Bohlig: Das Stadtumbauprogramm wurde im Sommer 2002 eingeführt. Wir Wohnungspolitiker waren froh, dass wir es überhaupt durchsetzen konnten. Richtig ist, dass das Programm stark an den Problemen der ostdeutschen Wohnungswirtschaft orientiert ist. Es geht darum, bei 15 Prozent Leerstand deren Überleben zu sichern. Mieter sollen aktiv einbezogen werden, aber der Umgang mit Leerstand und Wohnungsabrissen ist für die Eigentümer besonders schwer. Das Programm muss aber weiterentwickelt werden, von der rein wohnungswirtschaftlichen Orientierung zur Perspektive für die ganze Stadt. Die Aufwertung der Innenstädte und Quartiere muss in den Mittelpunkt rücken.
MieterMagazin: Die Vermieterverbände wollen beim Stadtumbau die Abrisskündigung. Das hat sich – zumindest bislang – im Bundestag nicht durchsetzen lassen.
Eichstädt-Bohlig: Die Eigentümer im Osten wollten zunächst die Verwertungskündigung haben, um leerstandbedingte Abrisse durchzusetzen. Dann erhielten sie diese Möglichkeit und waren immer noch unzufrieden. Ich habe die Abrisskündigung sehr bekämpft, weil Stadtumbau nur konstruktiv zwischen der Eigentümer- und der Mieterseite organisiert werden kann.
MieterMagazin: Ein anderes Reformprojekt der ersten rot-grünen Regierungszeit war die Mietrechtsreform im Jahre 2001. Kann man heute sagen, die Ansprüche an das neue Mietrecht haben sich erfüllt?
Eichstädt-Bohlig: Ja, aber es war ein harter Kampf, mieterfreundliche Änderungen durchzusetzen. Als wir es 2004 endlich geschafft haben, die dreimonatige Kündigungsfrist auch für Bestandsmietverhältnisse zu verabschieden, war die Mietrechtsreform eine runde Sache. Heute ist alle Kritik verstummt. Ich bin sehr froh, dass von der schwarz-roten Koalition keine Rückabwicklung angekündigt wurde.
MieterMagazin: Hätte die rot-grüne Bundesregierung nicht die Interessen der Mieter bei der Mietrechtsreform stärker berücksichtigen können?
Große Nachbesserungen waren nicht möglich
Eichstädt-Bohlig: Der erste Entwurf zur Mietrechtsreform war zu sehr im Interesse der Eigentümer formuliert. Wir Parlamentarier mussten uns dann sehr stark für die Mieterseite engagieren, unter anderem im Bündnis und mit starker Unterstützung des Deutschen Mieterbundes – da sage ich nachträglich noch mal Dankeschön.
MieterMagazin: Von Seiten des Mieterbundes und vieler Mietervereine wurde Nachbesserungsbedarf bei der Mietrechtsreform angemeldet. Weder zu Schönheitsreparaturen noch zu Contracting gab es in der zweiten Legislaturperiode von Rot-Grün Initiativen. Warum nicht?
Eichstädt-Bohlig: Bei großen Rechtsreformen ist es generell kaum möglich, in den folgenden Jahren weitere Änderungen durchzuführen. Einzig kleine Nachbesserungen sind denkbar. Das haben wir gemacht. Auch aus meiner Sicht gab es 2001 weiteren Regelungsbedarf, den ich allerdings nicht durchsetzen konnte. Ich wollte vor allem die energetische Qualität von Wohnungen im Mietrecht abgebildet sehen. Beim Contracting war ich in Sorge, dass eine gesetzliche Regelung zu Lasten der Mieter gegangen wäre.
MieterMagazin: Energiefragen spielen bei der Wohnraumversorgung eine immer größere Rolle. Die Klimaschutzziele lassen sich nur mit erheblicher Energieeinsparung im Gebäudebereich umsetzen. Dies aber führt zu zusätzlichen Belastungen der Mieter. Durch die Rechtsprechung des BGH wird inzwischen jede energetische Maßnahme umlagefähig, unabhängig davon, ob nachhaltig Energie eingespart wird. Wie kann Klimaschutz mit Mieterakzeptanz betrieben werden?
Eichstädt-Bohlig: Rot-Grün hat einerseits Energiesparinvestitionen gefördert mit den verschiedenen Programmen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), andererseits auch die Energieeinspar-Verordnung aktualisiert. Bei der KfW-Förderung habe ich immer verlangt, dass mit der Schlussabrechnung der Nachweis geliefert wird, dass Energie auch wirklich eingespart wurde. Weil die Länderkontrollen zur Energiespar-Verordnung nicht wirksam sind, wollte ich den Energiepass schon 2001 auch für den Gebäudebestand haben. Das war damals nicht durchsetzbar, inzwischen ist die EU fortschrittlicher als der Bund. Der Energiepass kommt, er wird für die Mieter eine wichtige Hilfe werden und mittelfristig zur Energieeinsparung beitragen. Wenn in einer Zeitungsannonce steht „Biete Wohnung mit Dusche und drei Liter durchschnittlichem Energieverbrauch“, dann werden Mieter und Vermieter das Thema ernst nehmen – erst recht bei der Preisentwicklung!
MieterMagazin: Aber es bleibt das Problem, dass umfangreiche energetische Sanierungen erhebliche Wohnkostensteigerungen bringen. Wenn jetzt ein weiterer Modernisierungsschub ausgelöst wird, trifft dies einkommensschwache Haushalte und führt zu weiterer Konsumschwäche. Wir brauchen ein System mit angepasster Mietentwicklung als Abfederung. Das ist bislang nicht entwickelt worden, wir haben immer noch die 11 Prozent Umlage für die Modernisierungskosten. Wie kann man aus diesem Dilemma rauskommen?
Eichstädt-Bohlig: Es gibt kein Rezept für alle Probleme. Die Eigentümer werden sich darauf einstellen müssen, dass sie Wertsteigerungen nicht immer erzielen können. Das trifft auch auf die 11-prozentige Mieterhöhung nach Modernisierung zu. Dies funktioniert aber auch nur dann, wenn die Nachfrageseite, also die Mieterschaft, selbstbewusster wird. So könnten die Mieter fordern, dass die KfW-Förderung tatsächlich in Anspruch genommen wird und die Modernisierungsumlage dadurch deutlich niedriger ausfällt.
MieterMagazin: Privatisierung und massenhafte Wohnungsverkäufe an Fondsgesellschaften zeigen, dass die Globalisierung auch auf dem Wohnungsmarkt angekommen ist. Doch werden sich die neuen Investoren an den gesellschaftlichen Aufgaben beteiligen?
Eichstädt-Bohlig: Leider werden immer mehr Wohnungen an Private-Equity-Fonds verkauft. Damit entsteht neuer Druck auf dem Wohnungsmarkt, weil diese Fonds ganz rigoros auf Mietsteigerungen einerseits und auf teure Weiterverkäufe andererseits setzen. Betroffen sind überwiegend Haushalte mit geringem Einkommen. In Berlin sind zurzeit mindestens 100.000 Wohnungen in den Händen solcher Fonds. Wenn da weitere 50.000 dazukommen, wird das ein großes Problem. Diese Fonds beschränken die Instandhaltung auf ein Minimum und zerstören Nachbarschafts- und Mieterberatungsstrukturen. Ich sehe mit großer Sorge, dass der Berliner Finanzsenator weitere städtische Wohnungsunternehmen verkaufen will.
MieterMagazin: Könnte der Bund nicht zumindest den Druck vermindern, indem er Steuervorteile durch REITs in Deutschland nicht zulässt?
Eichstädt-Bohlig: Das würde ich sehr gut finden. Aber die „Heuschrecken“ funktionieren auch ohne REITs. Die Fonds sind am Markt erfolgreich, weil sie jahrelange Defizite in der öffentlichen Wohnungswirtschaft nutzen. Richtig schwierig wird es, wenn die Problembestände am Ende den Städten vor die Füße geworfen werden.
MieterMagazin: Wie bewerten Sie die Koalitionsvereinbarung von Schwarz-Rot? Trägt sie die Handschrift der Union oder dokumentiert sie eher die Fortführung rot-grüner Politik?
Eichstädt-Bohlig: Die Wohnungspolitik hat leider keinen sehr großen Stellenwert bekommen. Ich bin aber heilfroh, dass das Wohngeld im Rahmen der Föderalismusdebatte nicht in die Kompetenz der Länder fällt und dass das Mietrecht in der Vereinbarung nicht neu aufgerollt wird. Positiv ist die Fortsetzung und Verstärkung der Energiesparpolitik zu bewerten.
MieterMagazin: Die Aufstockung der Energiesparförderung hat überrascht, die Mittel werden verdreifacht …
Eichstädt-Bohlig: Es wird hoffentlich ein wesentlicher Arbeitsmarktimpuls.
MieterMagazin: Warum konnte Rot-Grün ein Klimaschutz-Programm in dieser Höhe nicht auflegen?
Eichstädt-Bohlig: Uns fehlte schlicht das Geld.
MieterMagazin: Aber das ist ja nicht mehr geworden.
Eichstädt-Bohlig: Wir haben 360 Millionen Euro pro Jahr in die energetische Sanierung gegeben, das ist schon viel Geld. Die neue Koalition hat nun die Backen enorm aufgeblasen. Inhaltlich ist dieser Investitionsschub richtig, aber der Schuldenberg wächst weiter an.
MieterMagazin: Darf man dafür die Mehrwertsteuer erhöhen?
Mehrwertsteuer erhöhen und dennoch sparen
Eichstädt-Bohlig: Die Mehrwertsteuererhöhung ist unumgänglich, schon gar nach diesem riesigen Konjunkturpaket. Sie muss aber endlich mit Sparleistungen verknüpft werden.
MieterMagazin: Die Backen werden doch nur deswegen aufgeblasen, weil man jetzt einen Anschub haben und in den ersten zwei Jahren Schwarz-Rot mit Wohltaten dastehen will. Das wird durch die Mehrwertsteuererhöhung möglich. Ist das legitim?
Eichstädt-Bohlig: Die Mehrwertsteuererhöhung reicht nicht als Konzept zur Haushaltskonsolidierung. Es fehlen jegliche Impulse für die großen Reformen der sozialen Sicherung. Für die Mieter ist es aber gut, wenn durch die zusätzliche Förderung der energetischen Sanierung Mietsteigerungen verringert werden können. Gleichzeitig wird der Energieverbrauch gesenkt, was Heizkosten spart.
MieterMagazin: Zurück nach Berlin. Sollte nach der Abgeordnetenhauswahl eine rot-grüne Koalition möglich werden, wo liegen die Stolpersteine?
Eichstädt-Bohlig: Im Verkehrsbereich gäbe es einige Streitpunkte. Vor allem wäre die Fortführung der Autobahn A 100 zur Landsberger Allee ein Zankapfel. Ich habe schon beim Bundesverkehrswegeplan vergeblich versucht, das Projekt wegzuschieben. Das war mit der SPD nicht machbar. Ich halte es aber nach wie vor für überflüssig und schädlich.
MieterMagazin: Das wird wahrscheinlich nicht der einzige Zankapfel sein. Wie sieht es beim Verkauf eines weiteren Wohnungsunternehmens aus?
Eichstädt-Bohlig: Die weitere Veräußerung von Wohnungen wird leider erforderlich sein, weil die einzelnen Wohnungsunternehmen extrem verschuldet sind. Auch jede Neustrukturierung der städtischen Wohnungsunternehmen wird Verkäufe erfordern. Aber ich würde die Mieterprivatisierung und die Genossenschaftsausgründung in den Vordergrund rücken, um Verkäufe an Fondsgesellschaften wie Cerberus überflüssig zu machen. Letztere lehne ich entschieden ab.
MieterMagazin: Sie sind als Spitzenkandidatin zur nächsten Abgeordnetenhauswahl für die Berliner Grünen im Gespräch. Was wäre die Wunschkonstellation, wenn sich die Grünen nach der Wahl wieder an der Regierung beteiligen sollten?
Eichstädt-Bohlig: Zunächst wollen wir die PDS toppen und drittstärkste Partei werden. Außer Sparen hat Rot-Rot unserer Stadt nicht viele Zukunftsimpulse gegeben. Das können wir besser.
MieterMagazin: Das beantwortet meine Frage nicht.
Eichstädt-Bohlig: Das Ziel heißt natürlich, in Berlin Rot-Grün zu erreichen. Ob das gelingt, werden wir sehen. Wir kämpfen vor allem für ein starkes Grün und können auch gute, kreative Oppositionsarbeit leisten.
MieterMagazin: Frau Eichstädt-Bohlig, wir danken für das Gespräch.
MieterMagazin 1+2/06
Redakteur Reiner Wild und die Wohnungs-
politikexpertin der Grünen,
Franziska Eichstädt-Bohlig
alle Fotos: Kerstin Zillmer
01.08.2013