Der Abrissbagger kommt nicht zur Ruhe. In den nächsten zwei bis drei Jahren sollen im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost weitere 1256 Wohnungen in Marzahn und 450 Wohnungen in Hellersdorf abgerissen werden. Wie schon bei früheren Abrissprojekten wurden wieder die Mieter als Letzte informiert. Auch wird erneut der Bezirk bei der Entscheidung, welche Häuser abgebrochen werden, nicht einbezogen und von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor vollendete Tatsachen gestellt. Zumindest in einem Fall will der Bezirk nun jedoch nicht mehr mitspielen.
Im Herbst 2005 kam aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung peu à peu der Plan für den weiteren Stadtumbau Ost ans Licht. An drei Marzahner Standorten sollen aus dem unsanierten Bestand der Wohnungsbaugesellschaft (WBG) Marzahn 1256 Wohnungen abgerissen und 318 modernisiert werden. Es handelt sich um die Bereiche Ringkolonnaden, Schorfheideviertel und Cecilienviertel. Für diese neuen Stadtumbauprojekte hat das Abgeordnetenhaus 22 Millionen Euro freigegeben. Aus der Landeskasse kommen davon 4,8 Millionen Euro als Zuschuss für die Abrisse in diesen drei Gebieten und 8,5 Millionen Euro für die Modernisierung der verbleibenden Wohnungen.
Trotz der schon sehr konkreten Zahlen wollte die Senatsverwaltung auf eine Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus auch im Dezember 2005 noch keine genauen Abrissadressen nennen. Klar ist aber bereits, dass als Erstes der Elfgeschosser Wuhlestraße 2-8 wie schon lange geplant auf fünf bis sechs Etagen zurückgebaut wird. Außerdem sollen 2007/2008 die Blöcke Wuhlestraße 27-35 und Cecilienstraße 158-162 ganz verschwinden.
Widerstand von zwei Seiten
Damit werden im Cecilienviertel insgesamt rund 380 Wohnungen abgerissen. Im Schorfheideviertel werden den Plänen zufolge etwa 300 Wohnungen dem Erdboden gleich gemacht, darunter die Aufgänge Schorfheidestraße 2, 4, 10 und 12. Doch es wird nicht mehr nur am Rand von Marzahn abgerissen, an den Ringkolonnaden schlägt die Abrissbirne nun erstmals auch mitten im Bezirk zu: Die Ludwig-Renn-Straße 46-64 und die Mehrower Allee 38-48 sollen komplett abgebrochen werden, die Mehrower Allee 66-72 soll von elf auf sechs Geschosse abgetragen werden, lediglich der Block Sella-Hasse-Straße 2-30 wird erhalten und saniert. Damit gehen im Zentrum Marzahns 574 Wohnungen verloren.
Gegen die Abrisspläne an den Ringkolonnaden gibt es nun Widerstand gleich von zwei Seiten: von Anwohnern und vom Bezirk. Der Bezirksstadtrat für Ökologische Stadtentwicklung Heinrich Niemann (Linkspartei) wird dem geplanten Abriss des Hauses Mehrower Allee 38-48 nicht zustimmen. „Weder aus städtebaulicher noch aus wirtschaftlicher Sicht ist hier ein Komplettabriss nachzuvollziehen“, erklärt Niemann. Der achtgeschossige, zweimal geknickte Block umfasst 156 Wohnungen und bildet die nordöstliche Einfassung der Ringkolonnaden. Dieser rechteckige Platz ist eine identitätsstiftende städtebauliche Figur, die in Großsiedlungen sonst allzu oft vermisst wird. Mit einem Abriss würden die Ringkolonnaden zerstört werden.
Schon im Sommer 2005 hat sich in dem zum Abriss vorgesehenen Block Ludwig-Renn-Straße 46-64 eine Mieterinitiative gebildet, die für den Erhalt ihres Hauses kämpft. Der Elfgeschosser bildet die gegenüberliegende, südwestliche Wand der Ringkolonnaden und hat rund 330 Wohnungen. Die Mieter haben im Sommer per Zufall von den Abrissplänen erfahren. Der Block soll ganz abgerissen werden, obwohl es hier mehrere kleine Ein- bis Dreizimmerwohnungen gibt, die in Marzahn sonst absolute Mangelware sind. Schon seit längerer Zeit sind frei werdende Wohnungen nicht neu vermietet worden. Daher stehen dort mittlerweile viele Wohnungen leer. Anders als im Fall der Mehrower Allee 38-48 hat der Bezirk hier nichts gegen den Abriss einzuwenden. Dem entgegnet Kerstin Sauer, eine der Sprecherinnen der Mieterinitiative Ludwig-Renn-Straße: „Wir werden uns das nicht kampflos gefallen lassen und noch mal das Gespräch mit Herrn Niemann suchen. Wir wollen hier wohnen bleiben.“
Stadtrat Niemann will seinerseits mit der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) über die Ringkolonnaden reden. „An den Ahrensfelder Terrassen wurde gezeigt, wie wichtig der Erhalt von vielleicht 30 oder 50 Wohnungen für die Stadtstruktur sein kann“, sagt Heinrich Niemann. Die Senatorin hat Niemanns Gesprächsangebote bisher allerdings nicht angenommen.
Umbau gleich Abriss?
Bezeichnenderweise werden die Ahrensfelder Terrassen nämlich auch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der WBG Marzahn immer wieder als Vorzeigeprojekt für den Stadtumbau Ost ins Feld geführt: Rund um die Havemannstraße wurden Elfgeschosser auf drei bis sechs Etagen zurückgebaut und aufwändig saniert. Von etwa 1670 Wohnungen blieben 409 übrig, die trotz relativ hoher Preise Mieter beziehungsweise Käufer fanden. Was bei dieser Erfolgsgeschichte meist verschwiegen wird: Erst Anwohnerproteste verhinderten dort den anfangs vorgesehenen totalen Kahlschlag. Der Komplettabriss ist im Stadtumbau aber weiterhin die Regel, auch weil die Senatsverwaltung auf einen schnellen Abriss möglichst vieler Wohnungen drängt.
Der Berliner Mieterverein (BMV) kritisiert, dass erneut die Bewohner als Letzte vom geplanten Abriss ihres Hauses erfahren. „Eine Beteiligung der Mieter ist dringend erforderlich“, sagt Reiner Wild, stellvertretender BMV-Hauptgeschäftsführer. Es dürfe nicht sein, dass der Senat und die Eigentümer unter sich auskungeln, welche Häuser abgerissen werden. Der Abriss von Wohnungen soll auch in Zukunft auf den Bezirk Marzahn-Hellersdorf beschränkt bleiben. Grundlage dafür ist eine Bevölkerungsprognose des Senats. Demnach werden sich bis 2020 drei Viertel des Berliner Bevölkerungsrückgangs allein in Marzahn-Hellersdorf abspielen. Die Einwohnerzahl der Großsiedlung Marzahn sinkt der Prognose zufolge von 106.000 (2002) auf 87.500 (2020), in der Großsiedlung Hellersdorf wird im gleichen Zeitraum ein Einwohnerschwund von 78.700 auf 68.500 erwartet. Nach Senatsangaben standen im Januar 2005 in Marzahn 5500 Wohnungen länger als sechs Monate leer, in Hellersdorf waren es 4400 Wohnungen.
Daher ist mit dem aktuellen Abrissprogramm das Ende noch nicht erreicht. Insgesamt bekam die zur landeseigenen Degewo-Gruppe gehörende WBG Marzahn von der Kreditanstalt für Wiederaufbau eine Altschuldenentlastung für den Abriss von 4000 Wohnungen. Bisher sind 2230 Wohnungen beseitigt worden. Wenn – wie jetzt geplant – weitere 1256 Wohnungen verschwinden, bleibt noch ein Abrisssoll von über 500 Wohnungen aus dem Bestand der WBG Marzahn. Abrisse im Rahmen von Stadtumbau Ost gibt es aber auch in Hellersdorf: Dort hat die ebenfalls landeseigene Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“/ WoGeHe in den vergangenen zwei Jahren vier Elfgeschosser mit insgesamt 264 Wohnungen abgerissen. Bis zum Jahr 2007 soll sie weitere 450 Wohnungen in Hellersdorf-Nord „vom Markt nehmen“. Und auch damit ist noch nicht unbedingt Schluss: Das Programm Stadtumbau Ost läuft noch mindestens bis 2009.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/06
Abrissbedrohte Platte an der Schorfheidestraße 2-4: Aus dem Elfgeschosser wird eine Grünfläche
alle Fotos:Jens Sethmann
Abriss erstmals inmitten des Bezirks: Plattenbau Ludwig-Renn-Straße 46-64
Von den Bewohnern durchgesetzt, vom Senat gefeiert: die „Ahrensfelder Terrassen“
Zum Thema
Zwischenbilanz der Abrisse
Im Rahmen des Stadtumbaus Ost haben die WBG Marzahn und die WoGeHe in den Jahren 2002 bis 2005 zusammen rund 14,4 Millionen Euro für den Abriss von 2494 Wohnungen ausgegeben.
Marzahn:
Marchwitzastr. 1-3: 296 Wohnungen
Oberweißbacher Str. 2-4: 296 Wohnungen
„Ahrensfelder Terrassen“: 1270 Wohnungen
Niemegker Str. 17-23: 170 Wohnungen
Karl-Holtz-Str. 2-6, 8-12: 198 Wohnungen
Hellersdorf:
Mittenwalder Str. 2-4, 10-12: 132 Wohnungen
Klausdorfer Str. 1-3, 5-7: 132 Wohnungen
Daneben wurden zahlreiche nicht mehr benötigte Kita- und Schulgebäude abgerissen, auf den Abrissgrundstücken wurden anschließend Grünflächen und Mietergärten angelegt.
js
01.08.2013