Anfang März hat der Berliner Senat überraschend von seinem Vorhaben Abstand genommen, rund 15.000 Wohnungen des angeschlagenen WBM-Konzerns zu verkaufen. Auch die Privatisierung der gesamten WBM wie der Verkauf von Wohnanlagen anderer städtischer Wohnungsunternehmen ist – zumindest bis zu den Abgeordnetenhauswahlen im September – nicht mehr zu erwarten.
Die Privatisierungsgegner haben einen Punktsieg errungen. Der Berliner Mieterverein (BMV) hatte kurz vor der Senatsentscheidung der Öffentlichkeit noch ein so genanntes Schwarzbuch vorgelegt, in dem negative Erfahrungen von Mietern in verkauften Siedlungen oder Wohnungsunternehmen zusammengetragen wurden.
Den Beschluss für einen weitgehenden Verkaufsstopp fällte der Senat gegen die Stimme von Finanzsenator Sarrazin (SPD), der weiter für die Veräußerung von zunächst rund 10.000 Wohnungen plädierte. In den Abgeordnetenhausfraktionen von SPD und PDS ist es im Vorfeld der Wahlen im kommenden Herbst zu erheblicher Unruhe gekommen. Eine Privatisierungsdebatte bis dahin wollte man offenbar vermeiden. Deshalb gab der Senat bisher nur grünes Licht für die Veräußerung von 3000 WBM-Wohnungen – davon 1700 Wohnungen in der Neuköllner Dammwegsiedlung an einen privaten Investor und 1300 Wohnungen an die städtische Howoge. Der Senatsbeschluss rief aber auch die Befürworter einer umfassenden Privatisierung auf den Plan.
Die Banken verfolgen einen eigenen Plan
Aus dem Aufsichtsrat und den Banken wurde mit Hilfe der Berliner Zeitung offenbar gezielt die Insolvenz der WBM an die Wand gemalt, falls nicht mehr privatisiert würde. Angeblich waren die beteiligten Landesbanken nicht bereit, am Sanierungskonzept des Senats mitzuwirken.
„Notfalls muss der Berliner Senat auch finanziell einspringen oder Bürgschaften erteilen“, verlangt BMV-Hauptgeschäftsführer Hartmann Vetter. Schließlich habe Berlin in den letzten Jahren erhebliche Summen aus den städtischen Wohnungsunternehmen herausgezogen. Unklar blieb bis Redaktionsschluss, ob der Verkauf von 3000 Wohnungen die aktuellen Liquiditätsengpässe der WBM bereinigen kann. Es wäre allerdings ein politischer Skandal ersten Ranges, wenn die inzwischen wieder Gewinne schreibenden Landesbanken sich nicht in das Sanierungskonzept integrieren ließen und dem Senat ihre Privatisierungspolitik aufzwingen könnten, erklärte Reiner Wild, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BMV. „Der Senat bleibt in der Pflicht, denn spätestens seit Mitte 2004 ist ihm die wirtschaftliche Situation des Unternehmens bekannt.“ Vermutlich aber waren sich die Senatsvertreter im Aufsichtsrat ohnehin der wirtschaftlichen Risiken bewusst, die der WBM-Konzern mit seinen auch vom Senat gewollten gewerblichen Engagements eingegangen ist.
Gespannt wird man nun sein dürfen, wie die WBM die Mieter in der Dammwegsiedlung schützen wird. Immerhin hatte der Senat nicht nur die mit Sarrazin bereits abgesprochene Einschränkung des Mieterschutzes bei Privatisierung gestoppt. Vielmehr bekräftigte die Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer, dass für die WBM-Mieter der Schutz gelten solle, den auch die GSW-Mieter im Jahre 2001 vor Verkauf an Cerberus erhalten haben. Dieser Schutz geht bei Modernisierung, Mieterhöhungen und der Sicherung mietereigener Einbauten über die Privatisierungsgrundsätze des Senats aus dem Jahre 2001 etwas hinaus.
Seit mehreren Jahren wird vom Senat ein wirksames Controlling und ein Gesamtkonzept für die städtische Wohnungswirtschaft eingefordert. Ein im Jahre 2003 veröffentlichtes Gutachten von „Ernst & Young“ hat bereits ein umfangreiches Maßnahmenkonzept vorgeschlagen. Doch schon die Umsetzung eines wirksamen Controlling kommt nur langsam voran. Ohnehin scheint das Leitbild beim Senat unklar. Ginge es nach Finanzsenator Sarrazin, dann machten Wohnungsunternehmen im Besitz des Landes nur dann einen Sinn, wenn sie Gewinne erwirtschaften wie andere private Wohnungsunternehmen auch. Das aber dürfte den Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Soziales zu wenig sein. „Agieren die städtischen Wohnungsunternehmen wie jeder Vermieter, dann gibt es letztendlich keine Legitimation mehr für sie“, warnt Reiner Wild vom BMV.
Privatisierungsfolgen schon heute erkennbar
„Wer nach den im Schwarzbuch Privatisierung des BMV dokumentierten Erfahrungen weitere Verkäufe von städtischen Wohnungen und Wohnungsunternehmen zulässt, handelt gegen seine Amtspflichten und trägt zur weiteren Enteignung unseres Gemeinwesens an international agierende Finanzjongleure bei“, erklärte BMV-Hauptgeschäftsführer Hartmann Vetter anlässlich der Vorstellung dieser Materialsammlung. Der Berliner Mieterverein dokumentiert mit dem „Schwarzbuch Wohnungsprivatisierung“ die bereits heute erkennbaren Folgen der immer weiter fortschreitenden Privatisierung der Daseinsvorsorge für die Bürger und betroffenen Mieter. Es handelt sich um eine Chronik der schrittweisen Enteignung des Gemeinwesens. Die Investoren der privatisierten Unternehmen und Wohnanlagen haben schnelle und hohe Renditeerwartungen. Diese realisieren sie durch folgende Strategien:
- Ausschlachten der Unternehmen durch Weiterverkauf werthaltiger Teilbestände;
- maximale Mieterhöhungen;
- teure sowie zum Teil unökonomische und unsinnige Modernisierungen;
- Unterlassung beziehungsweise Rückstellung notwendiger Instandhaltungen;
- Entlassung von Mitarbeitern.
Dazu werden Mieter unter Druck gesetzt, die ihre Wohnung nicht kaufen oder einer Modernisierung nicht zustimmen wollen. Kündigungsschutzbestimmungen werden umgangen, Betriebskosten durch Umstellung auf gewerbliche Wärmelieferung erhöht. Mieterbeiräten wird die Unterstützung entzogen. Vertragliche Vereinbarungen mit Kommunen und karitativen Organisationen sind gefährdet. Außerdem werden stadtentwicklungspolitische Ziele beeinträchtigt.
Privatisierung, so heißt es, sorge für mehr Effizienz. Die meisten Effizienzvorteile werden durch Reduzierung des Personalbestandes erzielt. Der Verlust von Arbeitsplätzen belastet die öffentlichen Kassen direkt und indirekt. Gesamtwirtschaftlich sind Effizienzwirkungen nicht zu erkennen. Überprüfungen von kostenträchtigen Verträgen (zum Beispiel Aufzugswartung) führen zwar im Einzelfall zu einer Senkung der Betriebskosten und kommen den Mietern kurzfristig zugute, erhöhen aber gleichzeitig den Mieterhöhungsspielraum in der Zukunft.
MM
MieterMagazin 4/06
Die desolate wirtschaftliche Situation ist dem Senat seit mindestens zwei Jahren bekannt: WBM-Zentrale
Foto: Kerstin Zillmer
Die desolate wirtschaftliche Situation ist dem Senat seit mindestens zwei Jahren bekannt: Rathaus Passagen
Foto: Rolf Schulten
Verkaufte Wohnungen in der Neuköllner Dammwegsiedlung: Wieviel Schutzfür die Mieter?
Foto: Udo Hildenstab
Schrittweise Enteignung des Gemeinwesens: Die BMV-Geschäftsführer Reiner Wild und Hartmann Vetter dokumentieren die Folgen der fortschreitenden Privatisierung
Foto: Rolf Schulten
Das Schwarzbuch Privatisierung kann auf der Internetseite des BMV
www.berliner-mieterverein.de
(ohne Anlagen) heruntergeladen oder telefonisch beziehungsweise schriftlich in der Hauptgeschäftstelle bestellt werden.
31.07.2013