In der Stadt ist es wärmer als auf dem Land – das ist nicht neu. Aber der Temperaturunterschied zwischen den Innenstädten und dem Umland wird immer größer, gerade auch in Berlin. Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Stadtbevölkerung sind damit besonders im Sommer stark gefährdet. In Berlin wird das Problem bislang noch vernachlässigt.
Wer kennt das nicht: Am Abend eines heißen Sommertages will es gar nicht mehr abkühlen. Die Hitze steht in der Wohnung, die Fenster aufzureißen hat gar keinen Zweck. Das Schlafzimmer bleibt ein Glutofen. Wie soll man bei der Wärme schlafen?
Die globale Klimaerwärmung ist ohne Zweifel schon spürbar. Die Durchschnittstemperatur stieg in Berlin in den letzten 30 Jahren um 1,2 Grad Celsius. Dazu kommt noch etwas, das die Klimaforscher den „Wärmeinseleffekt“ nennen. In der Stadt befinden sich viele Wärmequellen auf engem Raum: Gebäude, Motoren, Fernwärmeleitungen und so weiter geben Abwärme an die Luft. Im langjährigen Mittel sind die Temperaturen in der City etwa drei Grad höher als am Stadtrand. Das Berliner Zentrum zählt mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 10,5 Grad zu den wärmsten Orten Deutschlands. Im Winter mag das positive Effekte haben: Man muss nicht ganz so viel heizen, und es ist auch nicht so unangenehm frostig wie auf dem Land. Doch vor allem im Sommer verstärkt sich der Effekt enorm. Die hoch stehende Sonne heizt die Gebäudemauern und Dächer, das Straßenpflaster und den Asphalt stark auf. Die Bausubstanz lädt sich wie ein großer Akku tagsüber auf, speichert die Wärmeenergie und gibt sie nachts als Wärmestrahlung wieder ab. Je dichter die Stadt bebaut ist, desto weniger geht von der Wärmestrahlung in höhere Luftschichten. In engen Straßenschluchten reflektiert die Wärmestrahlung zwischen den gegenüberliegenden Häuserfassaden. Wenn es dabei noch windstill ist, steht die Hitze regelrecht in den Straßen. Nächte mit über 20 Grad sind in Berlin keine Seltenheit mehr. Im Hochsommer beträgt die Temperaturdifferenz zwischen Zentrum und Umland auch schon mal zehn Grad.
Nachtschwärmer, die gern laue Sommernächte in Biergärten verbringen, mag das freuen. Alte und kranke Menschen sowie Kleinkinder leiden hingegen unter dem Hitzestress (siehe Kasten). Während Luftverschmutzungen oder Lärm überwacht werden, existieren für die thermische Belastung keine gesetzlichen Grenzwerte. Und dabei ist das Stadtklima keinesfalls nur vom unbeeinflussbaren Wettergott abhängig.
Ursache für die überdurchschnittliche Erwärmung der Städte ist vor allem das Bauen: Architektur und Stadtplanung haben das Thema Stadtklima in der Vergangenheit oft nicht ausreichend ernst genommen. Es wurde höher, enger und dichter gebaut, Grünflächen, die Kühlung bringen, wurden verkleinert oder überbaut, Kaltluftschneisen entlang unbebauter oder grüngeprägter Flächen wurden unterbrochen. In Berlin war die Bebauung am Potsdamer Platz wohl am folgenschwersten. Dadurch wurde eine wichtige Kaltluftschneise aus dem Süden, die vorher vom Schöneberger Südgelände bis zum Humboldthafen reichte, regelrecht abgeschnitten. Heute ist diese Verbindung durch die Baumassen von Daimler, Sony & Co. blockiert. Der Tiergarten ist dadurch von der Luftzufuhr abgetrennt und steht nun mit seiner Vegetation als isolierte Kaltluftinsel inmitten der großen Wärmeinsel der Innenstadt.
An anderen Stellen besitzt die Stadt jedoch weiterhin ein großes klimatisches Potenzial: Im Nordosten gibt es weit in die Stadt reichende Kaltluftentstehungsgebiete, die ihren Ursprung im Umland haben. Vor allem aber sind es die stadteigenen größeren Freiflächen oder durchgrünten Siedlungsräume, die es kühlerer Luft erlauben, die dichter bebauten und höher versiegelten Bereiche klimatisch zu entlasten. Viele der Ventilationsschneisen verlaufen entlang der Bahntrassen, die sternförmig aus allen Richtungen auf das Stadtinnere zulaufen, aber auch über die zahlreichen Fließgewässer. Auf Karten, die die Temperaturunterschiede in Berlin darstellen, sind die Schneisen deutlich erkennbar.
Stadtökologie in der Planung
All diese stadtklimatischen Phänomene sind im Umweltatlas der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung genau dokumentiert. Bei jeder Planung werden die stadtökologischen Aspekte in die Abwägung einbezogen. „Wir geben den Planern Hinweise, wie ein möglichst verträgliches Stadtklima zu erhalten ist“, erklärt Jörn Welsch, der mit zwei Kollegen bei der Senatsverwaltung für den Umweltatlas zuständig ist. „Das kann nicht immer so berücksichtigt werden, wie es aus rein fachlicher Sicht wünschenswert wäre“, so Welsch. „Beim Potsdamer Platz bekamen städtebauliche Belange Vorrang. Bestimmte Wirkungen wurden dabei in Kauf genommen.“ Solch große, stadtklimatisch weitreichende Bauvorhaben stehen zurzeit nicht an oder sind – wie die Alexanderplatz-Bebauung – in weite Ferne gerückt. Von besonderer Bedeutung, auch unter stadtklimatischem Aspekt, wird die weitere Entwicklung des Flughafenareals in Tempelhof sein. Nach jetzigem Planungsstand der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sollen große Bereiche des Gebietes als offene Flächen mit Verbindungen Richtung Hasenheide erhalten bleiben – für die dicht bebauten angrenzenden Wohnquartiere ein großer Vorteil.
Eine dichte Bebauung von ehemaligen Freiflächen wird andererseits vor allem vom Senatsbaudirektor immer noch als „Reurbanisierung“, „Revitalisierung“ oder „Stadtreparatur“ gepriesen, ohne dass die Kehrseite der Medaille erwähnt wird. Spätestens seitdem das „Planwerk Innenstadt“ 1999 zur Leitlinie der Stadtplanung erklärt wurde, gilt das ursprünglich als Anklage gemeinte Schlagwort vom „steinernen Berlin“ als Auszeichnung für eine richtige Metropole. Eine ordentliche Weltstadt bestehe nun mal aus Beton, Stahl und Glas, und wer an seinen Grünflächen hängt, gilt als hoffnungsloser Kiez-Provinzler.
Die moderne Architektur sorgt für eine Hitzespirale
Auch die Architekten tragen eher zur Verschärfung des Problems bei. Zurzeit sind großflächig verglaste Häuser en vogue. Im Winter spart das zwar Heizenergie, im Sommer braucht man aber eine Klimaanlage, um es in den Räumen überhaupt aushalten zu können. Gerade die modernen Bürohäuser kommen ohne Klimatisierung nicht mehr aus, und auch im hochpreisigen Wohnungsbau gehört eine „Air Condition“ heute zum Ausstattungsstandard. Wenn an heißen Tagen alle Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, blasen sie eine Unmenge an Abwärme in die Luft und heizen die Stadt noch weiter auf. So entsteht eine Hitzespirale, die sich selbst immer weiter nach oben schraubt, bis endlich mal das Island-Tief kommt und es regnen lässt.
Mit baulichen Mitteln kann man einiges zur Milderung tun: Für den Straßenbelag gibt es spezielle Asphaltmischungen, die die Tageswärme nicht so stark speichern. Ein hellerer Anstrich der Außenwände kann schon eine spürbare Verbesserung bringen. Noch besser sind Fassaden- oder Dachbegrünungen sowie Pflanzen im Wohnumfeld. Die Blätter spenden nicht nur Schatten, sie verdunsten auch bei der Photosynthese Wasser, was als Verdunstungskälte in der Umgebung für eine angenehme Kühle sorgt. Bauvorschriften gegen die Aufheizung, wie sie in vielen Städten der Schweiz gelten, gibt es in Deutschland nicht.
Jens Sethmann
MieterMagazin 6/06
Ein angenehmes Mikroklima entsteht auch durch Pflanzen auf dem Dach, an der Fassade und im Wohnumfeld
alle Fotos: Rolf Schulten
Folgenschwere Bebauung: Der Potsdamer Platz riegelt eine wichtige Kaltluftschleuse ab
Einzelheiten zum Berliner Stadtklima finden sich im Umweltatlas der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Im Internet unter:
www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/
umweltatlas/dinh_04.htm
Hitzestress in tropischen Nächten
Die Hitze stellt Menschen mit einem schwächeren Immunsystem und Problemen mit Herz, Kreislauf und Atmung vor große Herausforderungen. Für sie ist eine Nachtabkühlung sehr wichtig, denn sie müssen sich im Schlaf regenerieren und Reserven für die Wärmebelastungen des nächsten Tages aufbauen. Bei „tropischen Nächten“ – so nennen Meteorologen Nächte, in denen das Thermometer nicht unter 20 Grad sinkt – ist ein gesunder und erholsamer Schlaf kaum noch möglich. Die Folge: Bei Hitzewellen gehen die Sterberaten deutlich nach oben. Was man meist nur in Schreckensmeldungen aus südeuropäischen Ländern erfährt, ist auch in einer Langzeituntersuchung für Baden-Württemberg nachgewiesen.
js
07.07.2019