Frau H., 78 Jahre alt und schwerbehindert, besitzt keinen Computer. Schade, sonst könnte sie auf der Homepage ihres Vermieters Sätze lesen wie „Die individuellen Vorstellungen und Wünsche unserer Kunden stehen stets im Mittelpunkt unserer Arbeit“ oder „Bei uns planen und bauen Menschen für Menschen“. Die Wirklichkeit stellt sich für sie etwas anders dar.
Am 18. September 2006 schickte die „HGG OHG Hotel- und Grundstücksgesellschaft“ Frau H., die seit 1958 in einem Haus des Unternehmens in der Kaiser-Wilhelm-Straße in Lankwitz wohnt, den Entwurf einer Aufhebungsvereinbarung zum bestehenden Mietvertrag. Zum Jahresende will der Eigentümer „Baufreiheit“, um die Rasenfläche zwischen Haus und Gehweg bebauen zu können. Die Wohnungen müssen dann neu aufgeteilt werden, da der Neubau direkt an die Fensterfront zur Straße hin anschließt.
Im August 2006 führte die Architektin Marie Falquet, vom Eigentümer beauftragt, erste Gespräche mit Mietern. Dass sie auch in der „ComingHome Immobilienagentur GbR“ – unter der gleichen Adresse wie ihr Architekturbüro zu erreichen – für den Immobilienverkauf zuständig und zertifizierte Sachverständige für die Bewertung von Immobilien ist, erzählte sie den Mietern allerdings nicht. Da hätte ja vielleicht jemand an eine mögliche Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen denken können. Alexander Kindermann, Geschäftsführender Gesellschafter der HGG, bestreitet vehement solche Absichten.
Frau H. will in ihrer Wohnung bleiben. Rechtlich ist sie nicht verpflichtet, den Vorschlägen des Vermieters zuzustimmen. Selbst bei einer ordentlichen Kündigung hätte sie ein Widerspruchsrecht. Aliki Bürger vom Berliner Mieterverein: „Die Mieter sind nicht verpflichtet, die für den Neubau erforderliche Veränderung zu dulden.“
Wenn Frau H. doch ausziehen muss, will sie eine gleichwertige Wohnung, verkehrsgünstig, in Lankwitz, Lichterfelde oder Steglitz. Ende Oktober signalisierte die HGG Frau H. ein Einlenken: Eine andere Wohnung in der Anlage wäre möglich, sogar ein Verbleib in ihrer jetzigen, bei vorübergehender Umsetzung, Übernahme aller Kosten und gleicher Miete „trotz Anbaus einer Loggia“, wie Heike Zauner, kaufmännische Projektleiterin, betont. Bleibt zu hoffen, dass der Vermieter Wort hält. Was sich hier so großzügig anhört, ist schließlich nichts als die Kompensation für ein zugemauertes Fenster. Das Zimmer selbst wird dunkler und kleiner.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 12/06
Auf diese Ecke soll der Anbau – und Frau H. soll raus
Foto: Christian Muhrbeck
23.04.2013