Mittendrin in Magdeburgs Innenstadt wurde das letzte Architekturprojekt des verstorbenen österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser realisiert – die „Grüne Zitadelle“. Für die Architektenzunft ist das Urteil klar: Marzipanbeton und Kitsch. Doch bei den Besuchern kommt die romantische Festung an. Nur wohnen wollen sie nicht darin. Auch mehr als ein Jahr nach Fertigstellung fehlt es immer noch an Mietern.
Auf rund 11.300 Quadratmetern vermietbarer Fläche entstanden am Breiten Weg, dort wo einst Plattenbauten einer Wohnungsgenossenschaft das Stadtbild prägten, 55 Wohnungen, 18 Büros und 18 Ladengeschäfte. Ein Hotel sowie ein Kindergarten vervollständigen das Ensemble. Wurde das Wohnen im ersten Wohnprojekt des „Sonntagsarchitekten“ Hundertwasser – ein Sozialer Wohnungsbau in der Wiener Kegelgasse – noch weitgehend gegen Touristenschwärme abgeschirmt, so dürfen die Besucher in der Grünen Zitadelle auch die Innenhöfe samt der Arkadengänge bevölkern. Kaffeehausstühle und Wasserspiele laden zum Verweilen. Auch wenn der Hundertwasser-Neubau seinem Namen von der Hauptstraße her gerecht wird und sich tatsächlich wie eine Festung präsentiert, so ist das Gebäude nach hinten und an seinen Seiten durchlässig. Ladengeschäfte im Erdgeschossbereich sorgen für regelmäßigen Passantenstrom.
Grün ist die Zitadelle vor allem,wenn man die Rückseite betrachtet, wo begrünte Dachschrägen den Bezug zur Natur herstellen sollen. Für Hundertwasser sind die Grünflächen auf dem Dach ein Ausgleich für die Bebauung des Grundstücks. „Die zum Innenhof gleitende begrünte Piste spielt Alm mitten in der steinern Stadt“, höhnt hingegen der Architekturkritiker Dieter Bartetzko in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Diese Sicht ignoriert freilich einmal mehr die Bedürfnisse von Stadtbewohnern. Jede Wohnung hat einen Grünbereich, sei es als Balkon oder Terrasse. 300 Bäume an vielen möglichen, aber auch unmöglichen Stellen runden die Begrünung ab. Über 9000 Staudenpflanzen ließ der Investor nach Intervention des Wiener Hundertwasser-Nachlassverwalters Joram Harel wieder herausreißen. Die Bepflanzung auf dem 4000 Quadratmeter großen Dach, so hatte dieser moniert, sei „zu gärtnerisch“. Harel sah den Geist des Künstlers verkannt und verlangte stattdessen eine Wildblumenwiese. Dem Projektentwickler, der „Gero AG“, schwante offenbar Ungemach durch einen Zwist mit der Wiener Hundertwasser-Stiftung kurz vor der Eröffnung im Herbst 2005. Ein Streit um Urheberrechte würde wohl nur Schatten auf die Vermarktungsfähigkeit von Gewerbe und Wohnungen legen, befanden die Investoren wohl zu Recht und folgten brav den strengen Wiener Anforderungen.
Zurück ins verlorene Paradies
Hundertwasser, der im Jahre 2000 auf einer Schiffsreise von seinem Wohnort Neuseeland aus einer Herzattacke erlag, versicherte noch vor seinen Tode, die Grüne Zitadelle werde sein schönster und bester Bau, im Einklang mit den Domplatz, traditionsgebunden und etwas streng, jedoch zukunftsweisend. Es sei die „hohe Aufgabe der Architektur, den Menschen ins verloren geglaubte Paradies zurückzuführen“. Die Verbindung zwischen Mensch, Natur und Schöpfung war ihm ein zentrales Anliegen und verweist auf einen religiösen Hintergrund. Er wollte die Sehnsucht des Menschen nach Romantik erfüllen und ließ sein Wohnhaus daher mit unzähligen Bögen, mit Türmchen und 900 Fenstern in 300 verschiedenen Varianten bestücken. Säulen in verschiedenen Farben und Formen, vergoldete Kugeln und schmiedeeiserne Geländer gehören genauso dazu.
Unregelmäßige Backsteinbänder, ausgetretene Treppenstufen, unebene Wand- und Bodenverläufe sowie unregelmäßige Fliesenverlegungen sorgen für den Eindruck, als wäre das Gebäude schon lange in Gebrauch. Dieses „organische Hundertwasser-Flair“ unterscheidet die Grüne Zitadelle in Magdeburg von der Rasterarchitektur vieler Innenstadtzweckgebäude. Hundertwassers Wohngebäude sind farbenfrohe und formenreiche Märchenschlösser – für die einen. Dass den kunterbunten phantastischen Bauwerken mit ihren Zwiebeltürmchen und den absurden Kurven eine enorme Popularität zuteil wird, ist auch bei den Architekturkritikern unumstritten. „Sie bedienen das fehlgeleitete Bedürfnis nach bildhafter, Zuflucht bietender und Halt gebender Architektur“, so Bartetzko.
Der Clown stört die Würde
Doch weder Hundertwassers Anleihen aus Jugend- und Pueblostil, aus Babuschka-Gekringel und Disneyland-Getänzel erzürnt den Architekturkritiker, sondern seine städtebauliche Verortung zwischen Magdeburgs gotischem Dom, seiner romanischen Klosterkirche „Unserer lieben Frau“ und dem barocken Landtagsgebäude. Wie ein „kreischender Clown“ spreize sich die Grüne Zitadelle zwischen den würdigen Kulturdenkmälern, „seine mauresken Kuppeln und moskauesken Zwiebelhauben“ würden jedes Maß und jede Form des architektonischen Umfelds ignorieren. Letztendlich – so eine weitere Kritik – ginge es der Magdeburger Stadtverwaltung vor allem darum, Touristen anzulocken und dem städtischen Leben neue Impulse zu geben. Das ist – zumindest ansatzweise – eingetroffen.
Es ist nicht davon auszugehen, dass Magdeburger Wohnungssuchende die Zitadelle wegen ihrer eigenartigen Architektur meiden. Eher dürften die bisweilen heftige Belagerung des Gebäudes durch Touristen und die teuren Mieten dazu beitragen, dass das Anlagekonzept des geschlossenen Immobilienfonds nicht aufzugehen scheint. Bei Nettokaltmieten von 8,50 bis 9,30 Euro und zusätzlichen Betriebskosten von circa 3 Euro pro Quadratmeter im Monat scheiden viele Wohnungssuchende als Nachfrager aus. Für 96 Quadratmeter werden 846 Euro nettokalt, für 140,77 Quadratmeter schon 1266 Euro verlangt. Die Preise liegen im Schnitt 100 Prozent über dem ortsüblichen Mietniveau in Magdeburg und konkurrieren mit den höherpreisigen Beständen der Ein- und Zweifamilienhäuser am Rande der Stadt. Vielleicht aber ist das Wohnen in einem Haus des Architekten Hundertwasser manchem auch suspekt. Schließlich befand der Maler in einem 1958 veröffentlichten Manifest, dass die Benutzung des Lineals in der Architektur ein Verbrechen sei.
Reiner Wild
MieterMagazin 12/06
‚In der Architektur ist das Lineal ein Verbrechen‘: Hundertwasserhaus ‚Grüne Zitadelle‘ in Magdeburg
alle Fotos: Reiner Wild
Farbenfroh und formenreich:
Brunnen an der ‚Grünen Zitadelle‘
Farbenfroh und formenreich:
Türmchen an der ‚Grünen Zitadelle‘
Farbenfroh und formenreich:
Säulen an der ‚Grünen Zitadelle‘
Führungen und Information:
Grüne Zitadelle Magdeburg,
Breiter Weg 8, 39104 Magdeburg,
täglich 10 bis 18 Uhr,
Tel. 0391/5446667 oder 6208655,
www.gruene-zitadelle.de
28.07.2013