Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat gesprochen. Eine „extreme Haushaltsnotlage“ – Voraussetzung für Sonderzuwendungen aus dem Finanzausgleich – gibt es nach der Entscheidung des obersten Bundesgerichts in Berlin nicht, folglich auch kein Extrageld zur Haushaltssanierung. Zudem habe Berlin seine Möglichkeiten zu einer Sanierung aus eigener Kraft längst nicht ausgeschöpft. Zur Verdeutlichung dieser These vergaben die Karlsruher Richter Sanierungsratschläge, zu denen auch der Verkauf städtischer Wohnungsunternehmen gehört.
Noch vor kurzem hatte Wirtschaftssenator Harald Wolff gemutmaßt, dass Karlsruhe „nicht in politische Entscheidungen eingreift“. Er irrte, denn das BVG mochte sich den Hinweis auf die vielen ungehobenen Schätze im öffentlichen Wohnungsbestand nicht ersparen. Wo Gold in der Tiefe ruht, braucht man keine Subventionen. So heißt es in der Entscheidung: „Gleichwohl bestehen auch nach Angaben des Berliner Senats nach wie vor relevante Möglichkeiten der Vermögensveräußerung. Hierbei ist auch der landeseigene Wohnungsbestand in den Blick zu nehmen. …“
Sollte man wirklich von allen Möglichkeiten Gebrauch machen, die derzeit für schnelles Geld mit kommunalen Wohnungen bestehen, sei eine nachhaltige Bewirtschaftung dieser Wohnungsbestände nicht möglich. Lutz Freitag, der dies sagt, ist Direktor eines Verbandes, in dem die städtischen Wohnungsverbände, aber auch neue Investoren als Eigner städtischer Wohnungen zusammengeschlossen sind. Seine Begründung: Wenn nur gewinnorientiert gewirtschaftet wird, „… bleibt zu wenig Geld für Investitionen“, weil Rücklagenbildung nicht vereinbar sei mit der Renditeausschüttung an die Anleger. Dieses Geld brauche man aber für Modernisierung und Instandhaltung und eine nachhaltige Bewirtschaftung. Bei Renditeerwartungen, die im zweistelligen Bereich bis über 20 Prozent reichen, ist es, wie auch Hartmann Vetter, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins argumentiert, wenig wahrscheinlich, dass schnelle Rendite und Investitionen mit langfristig ordentlicher Bewirtschaftung zusammengehen.
Die Zukunft wird mitverkauft
Belege für seine These hat der Berliner Mieterverein in seinem „Schwarzbuch Privatisierung“ dokumentiert. Die Dokumentation untermauert die Befürchtung, dass Berlin mit dem Verkauf auch Partner für Maßnahmen der behutsamen Erneuerung und sozialen Stadtentwicklung verliert – eine Position, die auch Lutz Freitag teilt: „Soziale Stadt ist nicht börsenfähig.“
Finanzsenator Sarrazin hält solche Argumente – auch wenn sie von eigenen Parteifreunden kommen – für den Versuch, „eine weiße Wand blau zu reden“. Ein Papier aus seinem Hause, Überschrift: „Fakten und Legenden zum Zusammenhang zwischen Wohnungsmarkt und Marktanteil öffentlicher Wohnungsunternehmen“ setzt nach eigenem Bekunden Empirie und Fakten gegen die „Legenden“ der Privatisierungsgegner. Auch wenn das Elaborat selbst in senatsnahen Kreisen für Stirnrunzeln ob seiner mangelhaften Substanz sorgte, wurde es kurzfristig zum Bestseller in der Wohnungspolitikszene. Seine Logik ist bestechend. Es gebe keine Unterschiede zwischen kommunalen und privaten Eigentümern, somit gebe es auch keinen Grund, die kommunalen Unternehmen und ihre Bestände zu behalten.
Auf vielen Seiten wird diese Argumentationsfolge wiederholt. So etwa heißt es, dass stadtentwicklungspolitische und soziale Ziele ebenso gut mit privaten Unternehmen erreicht werden könnten. Diese Behauptung wird an zahlreichen Stellen davon flankiert, dass man von den städtischen Unternehmen ein stärker gewinnorientiertes Verhalten erwarte. Was soviel heißt wie: Mehr soziales Engagement ist nicht erwünscht. Auch bei ortsüblicher Intelligenz ist diese Logik samt ihrer sprunghaften Argumentation schwer nachzuvollziehen. Mehr noch: Die These, die Städtischen unterschieden sich gar nicht von Privaten, ist kaum mehr als eine Behauptung. So sind sich – Ausnahme: der Finanzsenator – die Fachleute darüber einig, dass der Stadtumbau Ost ohne städtische Unternehmen als Partner nicht umsetzbar gewesen wäre. Anderes Beispiel: Bei der einstmals städtischen GSW hat es zahlreiche Sozialverträge mit den Bezirksämtern gegeben: zur Stärkung der städtischen Jugendhilfe, der Familienfürsorge oder der Seniorenbetreuung. Derartiges Engagement sucht man bei privaten Vermietern vergebens.
Entscheidender Schauplatz für den Kampf der Privatisierungsgegner und -befürworter ist jedoch ein anderes Feld, nämlich die Frage nach der „Stadtrendite“, die im Unterschied zur rein unternehmensbezogenen Betrachtung bei Sarrazin gar nicht berührt wird. Gerade diese Frage stellt sich aber für das öffentliche Finanzmanagement.
Der Finanzsenator denkt kurzfristig
Anders als in der betriebswirtschaftlichen Innensicht von börsenorientierten Unternehmen geht es im städtischen Haushalt nicht um kurzfristige Renditen eines Unternehmens, sondern um langfristige Folgen für den Gesamthaushalt einer Stadt. Gemeint sind finanzwirksame Effekte von Maßnahmen, die Wohnungsunternehmen mit eigenen Investitionen auslösen, die wiederum auf die Folgekosten sozialer Probleme wie Verslumung und Attraktivitätsminderung von Gebäuden und Quartieren wirken und diese reduzieren. Auf der städtischen Seite werden dabei Effekte quantifiziert, die durch Mehreinnahmen aus Steuern und Abgaben und aus steigender Bruttowertschöpfung entstehen sowie dadurch, dass die Kosten zur Prävention und Behebung sozialer Probleme vermieden werden. Die Studie kommt zu dem Ergebnis: „Der Stadt kommen im Jahr 2005 in Summe also 46,8 Millionen Euro aus den Aktivitäten der DEGEWO zugute.“
Auch in einem anderen Bereich wird eine etwas holprige Beweisführung für die angebliche Unschädlichkeit einer Privatisierung geliefert, die über die politisch gewollte 15-Prozent-Marke an kommunalen Wohnungsbeständen hinausgeht. Im Papier wird eine Untersuchung des Darmstädter Instituts Wohnen/Umwelt (IWU) zitiert, die für das gesamte Bundesgebiet im Jahr 1993 zum Ergebnis kommt, dass „das Mietenniveau privater Vermieter für freifinanzierte Wohnungen über dem kommunaler Unternehmen lag.“ Der Leser staunt, denn genau das soll ja widerlegt werden. Weiter heißt es dann, das IWU führe dies darauf zurück, dass die Wohnungen privater Vermieter einen höheren Ausstattungsstandard hätten. Ausgerechnet aus diesem Befund folgert der Finanzsenator, dass die Untersuchung keinen Nachweis für eine mietpreisdämpfende Wirkung liefert. Begründung: Abstriche am Ausstattungsstandard seien kein legitimes Mittel, um Mietpreise zu dämpfen. Leser mit stadtpolitisch längerem Gedächtnis werden sich noch daran erinnern, dass im Rahmen der Kreuzberger behutsamen Stadterneuerung eine solche Strategie von einem CDU-geführten Senat politisch getragen wurde. Damit sollte die Verdrängung Einkommensschwächerer im Kreuzberger Sanierungsgebiet über mietpreistreibende Erneuerung verhindert werden. Ohne die städtischen Wohnungsunternehmen wäre eine solche Strategie nicht umsetzbar gewesen.
Mit dem Karlsruher Urteilsspruch, den argumentativen Schnellschüssen des Sarrazin-Papiers und dem öffentlichen Nein Wowereits zu weiteren Unternehmensverkäufen ist der Privatisierungs-Showdown erst einmal abgeschlossen. Vorläufig, denn es wurde mit Schreckschussmunition gefeuert. Erst im politischen Alltag der wieder aufgelegten rot-roten Koalition wird sich zeigen, ob das Nein ernst gemeint und von Dauer ist.
ah
MieterMagazin 12/06
Nachhaltige Stadtentwicklung und hohe Renditeerwartung gehen nicht zusammen
(hier: Berliner Börse)
Foto: Rolf Schulten
Stadtrendite ist für den Finanzsenator ein Fremdwort: Seniorenfreizeitstätte der Gesobau im Märkischen Viertel
Foto: Christian Muhrbeck
Der Stadtumbau Ost wäre ohne die städtischen Wohnungsunternehmen nicht durchführbar
(hier: Rückbau in der Havemannstraße)
Foto: Kerstin Zillmer
Na wat denn nu?
Auszüge aus dem Senatspapier für Finanzen September 2006:
„Die Gruppe mit den größten Marktzugangsproblemen, die Wohnungslosen, wird durch die städtischen Wohnungsunternehmen auch in der derzeit entspannten Marktsituation nicht entsprechend dem Bedarf versorgt.“ Aber: „Es erscheint nicht als sachgerechte Lösung, große öffentliche Wohnungsbestände vorzuhalten, um diese kleine gesellschaftliche Gruppe ohne räumliche Konzentration unterbringen zu können.“
„Maßnahmen zum Stadtumbau werden derzeit überwiegend von öffentlichen Wohnungsunternehmen übernommen. Sofern die bestehende Förderung in geeigneter Weise umgelenkt wird, kann diese Aufgabe – soweit erforderlich – durch private Unternehmen übernommen werden.“
28.07.2013