Frauen und Männer sind verschieden – und das hat Folgen: Für alle Berliner Verwaltungen wurde im Januar zur Pflicht, geschlechtsspezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen. Der Bezirk Lichtenberg ist dabei bereits mit gutem Beispiel voran gegangen. Das so genannte „Gender Mainstreaming“ findet auch in der Stadtplanung und beim Wohnungsbau Anwendung. Aber nicht erst seit heute.
Ein Beispiel für neue Perspektiven ist der Vorplatz des S-Bahnhofs Wartenberg. Wie er einmal aussehen soll, wurde heiß diskutiert. In Beiräten sind Vertreter verschiedener Gruppen vertreten, darunter Behinderte, Senioren – und Frauen. Was zu Beginn einfach erschien, die Begrünung des Vorplatzes, musste unter Gender-Aspekten betrachtet modifiziert werden. Große Bäume und Büsche erschienen anfangs vielen attraktiv. Was aber, wenn spät abends eine Frau aus der S-Bahn steigt und alleine den Platz überqueren muss? Damit dieser Ort nicht zum Angstraum für Frauen wird, wurde auf die Büsche verzichtet. Nur Bäume mit dünnen Stämmen, hinter denen man sich nicht verstecken kann, werden nun dort gepflanzt.
Vier Pilotprojekte
Lichtenberg erhält für fünf Fördergebiete Geld aus dem Programm „Stadtumbau Ost“. Jedes dieser Gebiete hat einen eigenen Beirat. Ein Kernbeirat begleitet deren Arbeit auf Bezirksebene. „Ziel ist dabei, Transparenz und Bürgerbeteiligung zu schaffen“, sagt Regina Schmidt, Gleichstellungsbeauftragte in Lichtenberg. 2001 hat der Bezirk beschlossen, dass alle Ausschreibungen Gender-Kriterien beinhalten müssen. Die ersten Pilotprojekte starteten 2003.
Nun gilt dieser Rahmen für die gesamte Berliner Verwaltung. Im Städtebau wurden für vier Pilotvorhaben Gender-Kriterien und Checklisten zur Planung des öffentlichen Raums entwickelt, unter anderem am Alexanderplatz. Stadträume werden von Frauen und Männern unterschiedlich genutzt: Frauen fahren mehr Fahrrad und mit dem öffentlichen Nahverkehr, während Männer vor allem Auto fahren. Männer legen in erster Linie den Weg von der Wohnung zur Arbeit zurück, meist als Vollzeitbeschäftigte zur immer gleichen Zeit. Frauen hingegen bewegen sich auf unterschiedlichen Wegen, zu unterschiedlichen Zeiten – oft auch mit Kinderwagen.
Ob Menschen sich an öffentlichen Orten wohl fühlen, hängt davon ab, ob diese ihren unterschiedlichen Alltagsbedürfnissen entsprechen. „Beim Gender Mainstreaming geht es darum, das Bauchgefühl verschiedener Menschen schon bei der Planung im Kopf zu haben“, erläutert Sibylle Krönert, die Genderbeauftragte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Der Blick auf den Unterschied zwischen Frauen und Männern ist dabei nur der erste Schritt.“ Ob Senioren, Kinder, Behinderte oder andere Gruppen: Es kann noch weiter differenziert werden. Am Anfang stand die Geschlechtsfrage, weil diese Unterscheidung am offensichtlichsten ist.
Auch beim Blick auf eine Wohnung gibt es unterschiedliche Perspektiven: An Lage und Größe von Küche, Kinderzimmern und Waschräumen lässt sich der Stellenwert ablesen, den Planer der Kindererziehung oder Hausarbeit zumessen. Heute gilt es, Wohnräume flexibel an die Vielfalt von Lebensweisen anzupassen, gleiche Raumgrößen für alle Haushaltsmitglieder herzustellen und Wohnungsgrundrisse nutzungsoffen zu planen.
So neu ist das alles allerdings nicht. Bereits von 1994 bis 1998 hatte ein Frauenbeirat Gender-Kriterien für den Wohnungsbau entwickelt. Berlin hat nicht nur den öffentlichen Wohnungsbau eingestellt. Gender Mainstreaming gab es danach nur noch bei privaten Wohnungsprojekten. Und auch der Frauenbeirat ist aufgelöst worden. Unter dem schönen Namen Gender Mainstreaming wird mit guten alten Ideen ein neuer Anlauf genommen.
Lars Klaaßen
MieterMagazin 1+2/05
Auf dichte Vegetation wird verzichtet: Umbau eines Platzes am S-Bahnhof Wartenberg unter Gendergesichtspunkten
Foto: Rolf Schulten
Foto: Rolf Schulten
Gender Mainstreaming
Gender kommt aus dem Englischen und bezeichnet die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Frauen und Männern. Diese sind – anders als das biologische Geschlecht – erlernt und damit auch veränderbar. Mainstreaming (englisch für „Hauptstrom“) bedeutet, dass eine bestimmte inhaltliche Vorgabe, die bisher nicht das Handeln bestimmt hat, nun zum zentralen Bestandteil bei allen Entscheidungen und Prozessen gemacht wird.
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04.08.2013